Schluss mit dem Jugendwahn

Mitarbeiter | Bereits 2020 wird jeder zweite Arbeitnehmer älter als 50 Jahre sein. Dem drohenden Fachkräftemangel begegnen Sie am besten, wenn Sie auf die Stärken der Älteren bauen.

Schluss mit dem Jugendwahn

Ab dem vierzigsten Geburtstag haben Stellenbewerber bei Lutz Krause gute Chancen. „Ohne die Leistung und Erfahrung älterer Mitarbeiter kann kein Betrieb langfristig erfolgreich sein“, sagt der Berliner Unternehmer – in vielen anderen Betrieben ist das Alter bei der Stellensuche dagegen ein K.-o.-Kriterium. Krause ist Gründer der „Initiative Handwerk“, eines Zusammenschlusses von Handwerksbetrieben in Berlin und Brandenburg, die sich verpflichten, bevorzugt Arbeitnehmer über 45 Jahre einzustellen. „Ich sehe es in meinem eigenen Bekanntenkreis: Große Teile der älteren Bevölkerung spielen am Arbeitsmarkt keine Rolle mehr, obwohl sie noch einiges leisten können und wollen“, beschreibt der Geschäftsführer der Punkt Innenausbau GmbH die Gründe für sein Engagement. Der 54-Jährige ist tief in Berlin verwurzelt und möchte nicht tatenlos zusehen, wie die Arbeitslosigkeit in der Region immer größer wird und qualifizierte Handwerker die verbleibenden Jahre bis zur Rente mit Arbeitslosengeld II überbrücken müssen. In der Hälfte aller Betriebe in Deutschland arbeitet heute niemand mehr, der älter als 50 ist – angesichts des steigenden Altersdurchschnitts der Bevölkerung eine fast schon paradoxe Situation. Für die in der Initiative versammelten Unternehmen wirbt Krause durch gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit um Aufträge. Dabei soll das soziale Engagement, besonders bei öffentlichen Auftraggebern, als Gütesiegel wirken. „Zusammen ist es leichter, größere Aufträge zu bekommen, die Auslastung steigt, und wir können mehr Mitarbeiter beschäftigen“, sagt Krause. Die Unternehmen der Initiative konnten so 2006 insgesamt 15 neue Arbeitsplätze schaffen; neun davon wurden mit Älteren besetzt.

Sechser im Lotto

Lutz Krause selbst hat in seiner Firma im letzten Jahr drei ältere Mitarbeiter eingestellt. Der Älteste von ihnen ist mit 56 Jahren Maler- und Lackierergeselle Hartmut Rotter, der seine neue Tätigkeit als eine Art Lottogewinn sieht. Sechs Jahre hat er eine feste Anstellung gesucht; oft wurde er abgelehnt, weil er in seinem Alter „nicht mehr ins Team passe“. Bei Punkt Innenausbau passt er ins Team, weil Krause das Zusammenspiel von Jung und Alt als unentbehrlich für qualitativ hochwertige Arbeit und das Vertrauen der Kunden betrachtet. Natürlich seien die Jungen dynamischer, trotzdem gäbe es viele Tätigkeiten, die ein älterer Mitarbeiter aufgrund seiner langjährigen Erfahrung einfach besser und schneller könne. „Beim Fensterlackieren hält kein Junger mit den Älteren mit“, sagt Lutz Krause. Jüngere Mitarbeiter könnten von den Älteren viel lernen, indem sie ihnen auf die Finger schauten. Diese Tandemlösungen hätten besonders viel Erfolg, wenn die Älteren sich bemühten, aktiv ihr Wissen weiterzugeben und die jüngeren Kollegen nicht nur für Zuarbeiten zu benutzen. Auch für die immer wichtiger werdende Kundengruppe der über 50-Jährigen seien ältere Mitarbeiter von Vorteil: „Unsere Kunden werden immer älter und schätzen es, wenn sie ein Handwerker der eigenen Altersgruppe betreut“, hat Krause beobachtet. Wer dasselbe Alter habe, wisse, was seine Kunden wollten, und spräche zudem dieselbe Sprache.

Die Beschäftigung Älterer im Handwerk stößt aber auch an Grenzen. „Körperlich schwere Arbeiten sind ab einem gewissen Alter mühsam“, sagt Krause. Gerade in Berufen des Bau- und Ausbaugewerbes sei ein Großteil der auszuführenden Tätigkeiten körperlich anstrengend, und nicht alle Beschäftigten könnten von der Baustelle in die Planung oder Kundenakquise wechseln.

Systematisch vorgehen

„Der schwindende Nachwuchs und die zu verrichtende schwere körperliche Arbeit können das Handwerk mittelfristig vor große Beschäftigungsprobleme stellen“, bestätigt Hans-Jürgen Dorr, Demographieberater im Programm „Regionale Beratung und Qualifizierung in NRW“ (rebequa). Dorr rät Betrieben, das Demographieproblem systematisch anzugehen. „Eine strukturierte Personalplanung ist das A und O für die Zukunftsfähigkeit des Betriebs“, sagt er. Unternehmen sollten zuerst eine genaue Altersstrukturanalyse erstellen. Diese Aufstellung zeigt, wie sich die Mitarbeiter auf die unterschiedlichen Altersgruppen verteilen und welche Situation sich in fünf oder zehn Jahren ergibt. Der Unternehmer sieht auf einen Blick, wer in den nächsten Jahren ausscheidet und welche Funktionen nicht mehr abgedeckt sind. Auf die Altersanalyse müsse eine systematische Personalentwicklung aufbauen. Die bisher übliche Praxis, Mitarbeiter hin und wieder zu einem Seminar zu schicken, hält Experte Dorr für wenig hilfreich. Eine über mehrere Jahre angelegte Planung der Weiterbildung für jeden einzelnen Mitarbeiter verhindere dagegen den Aufbau von Wissensdefiziten und fördere die Motivation. Früher habe gegolten: „Je älter ich werde, desto weniger kann ich“. Heute müsse darüber nachgedacht werden, welche Stärken Ältere gegenüber Jungen haben und wie sie im Betrieb am effektivsten eingesetzt werden können. Und dass im Alter die Lust am Lernen sinke, kann Dorr aus seiner Beratungspraxis nicht bestätigen. Die meisten Beschäftigten seien für eine Förderung sehr dankbar.

Monotonie vermeiden

Neben der strukturierten Weiterbildung rät Hans-Jürgen Dorr zu einer Arbeitsorganisation, die auf die Bedürfnisse aller Mitarbeiter eingeht. Unternehmer sollten verhindern, dass gesundheitlich belastende Tätigkeiten wie zum Beispiel Über-Kopf-Arbeit lange Zeit monoton ausgeübt würden, denn dabei seien Verschleißerscheinungen geradezu vorprogrammiert. Mitarbeiter – und zwar auch die jungen – dürften gar nicht erst krank werden und bestimmte Arbeiten nicht mehr ausführen können. Neben dem Wechsel von Tätigkeiten verlängere auch der bewusste Einsatz von Maschinen die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, für viele körperlich schwere Tätigkeiten gäbe es mittlerweile maschinelle Unterstützung. Oft brächten auch schon kleine Dinge eine spürbare Verbesserung: Leistungsstärkere Glühlampen passen zum Beispiel die Beleuchtung an empfohlene DIN-Werte an, der Hinweis auf Präventivkurse der Krankenkassen motiviert Mitarbeiter, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Durch vorbildliche Arbeitsorganisation und aktives Gesundheitsmanagement hätten Unternehmen zudem Vorteile bei der Nachwuchssuche: Schon heute interessierten sich viele Fachkräfte verstärkt für Betriebe, die sich um Personalentwicklung und den langfristigen Erhalt der Gesundheit ihrer Mitarbeiter bemühen.

sandra.rauch@holzmannverlag.de