Schattenwirtschaft: So funktioniert die Schwarzarbeit

Mit Tarnfirmen und fingierten Rechnungen organisieren kriminelle Banden illegale Beschäftigung. Steuerfahnder und Zöllner ­erklären dem handwerk magazin, wie die Hintertürgeschäfte genau laufen.

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    © ScottPaulsonPhotography/iStockphoto; Infografik: Peter Diehl
    Viele Hunde sind des Hasen Tod. Dank intensiver Fahndung kommt der Fiskus den Hintermännern auf die Spur.
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    „In Einzel­fällen haben wir Abdeckrechnungen in zweistelliger Millionenhöhe gefunden.“ Klaus Salzsieder, ­Pressesprecher der Bundesfinanzdirektion West.
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    © imago/Horst Rudel
    Über 500 000 Personenüberprüfungen führt der Zoll jährlich auf deutschen Baustellen durch.
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    © Sandra Heßing
    „Im Sozialrecht gibt es im Fall einer Selbstanzeige keine Straffreiheit.“ Franz Bielefeld, ­Steuerstrafrechtler und Partner der Kanzlei Baker Tilly Roelfs.

Drei Jahre und neun Monate Haft für einen Spediteur aus der Nähe von Augsburg. Nur einen Monat weniger für einen Bauunternehmer aus dem Kreis Böblingen. Drei Jahre für einen Malermeister aus Berlin-Wilmersdorf. Nahezu im Monatsrhythmus berichtet der Zoll derzeit über strenge Urteile gegen Unternehmer, die sich auf kriminelle Dienstleister eingelassen haben und von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) erwischt wurden.

Das System war in allen drei Fällen dasselbe: Kriminelle Banden lieferten den Firmeninhabern über ein Netzwerk von Scheinfirmen fingierte Rechnungen über Leistungen, die in Wahrheit von Schwarzarbeitern erbracht wurden. Somit sah es so aus, als hätten die Firmeninhaber ganz offiziell Subunternehmen beauftragt, um ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Dieses Modell erfreut sich in der deutschen Wirtschaft wachsender Beliebtheit. „Wir stoßen zunehmend auf solche Konstruktionen“, sagt FKS-Sprecher Klaus Salzsieder. Neben dem Baugewerbe seien etwa Fleischverarbeiter und Reinigungsfirmen betroffen. Und weitere Branchen dürften hinzukommen, vermuten Experten in der Finanzverwaltung, weil mit dem flächendeckenden Mindestlohn von 2015 an der Anreiz wächst, Schwarzarbeiter einzusetzen. Denn vor allem im Bausektor werden bislang nicht durchgängig 8,50 Euro gezahlt.

Aber wie genau funktioniert das Schwarzarbeitermodell? Und warum fliegen derzeit immer mehr Hintermänner auf – und mit ihnen ihre Kunden? Um das herauszufinden, hat das handwerk magazin mit Steuerfahndern und Experten vom Zoll gesprochen.

Der Trick mit den Abdeckrechnungen

Es gibt, das ist in den Gesprächen sehr schnell deutlich geworden, verschiedene Varianten des Modells. Im Kern funktioniert es jedoch meist wie folgt: Kriminelle Banden schleusen Schwarzarbeiter nach Deutschland und bieten sie Unternehmern kolonnenweise an, zum Beispiel als Gerüstbauer, Estrichleger oder Verputzer für Baustellen.

Ist die Arbeit erledigt, schicken die Hintermänner den Unternehmen die begehrten fingierten Rechnungen über die Leistungen. Man spricht auch von „Abdeckrechnungen“, weil sie Schwarzarbeit in der Buchführung „abdecken“. Schließlich sieht es für Steuerberater und Betriebsprüfer so aus, als habe ein Subunternehmen und nicht eine Schwarzarbeiter-Kolonne die Leistungen erbracht. „Die Unternehmer bezahlen die Rechnungen, erhalten das Geld aber abzüglich einer Provision für die Kriminellen in bar zurück“, berichtet eine Steuerfahnderin aus Norddeutschland.

Milliarden am Fiskus vorbei

Damit haben sie eine gut gefüllte Kasse, um Schwarzarbeiter zu bezahlen. Und sie sparen kräftig Lohnsteuern und Sozialabgaben. Allein der Bauunternehmer aus dem Kreis Böblingen, der für drei Jahre und acht Monate ins Gefängnis muss, betrog den Fiskus binnen fünf Jahren um 2,6 Millionen Euro.

Darüber hinaus hinterziehen Unternehmer Ertragsteuern, weil sie die fingierten Rechnungen als Betriebsausgaben geltend machen. Ein erhebliches Verlustgeschäft für den Fiskus also, zumal die Hintermänner oft auch noch bei der Mehrwertsteuer tricksen.

Die Gewerkschaft Verdi schätzt den Gesamtschaden für den Fiskus auf sage und schreibe zehn Milliarden Euro. Pro Jahr. FKS-Sprecher Salzsieder hat dazu keine „belastbaren“ Zahlen. Er macht jedoch deutlich, dass es um enorme Summen geht. „In einzelnen Fällen haben wir Abdeckrechnungen in zweistelliger Millionenhöhe gefunden“, sagt er.

Eine Kette von Scheinfirmen

Die Firmen, mit denen die Kriminellen die Rechnungen ausstellen, laufen in der Regel nicht auf ihre eigenen Namen. „Da fungieren Strohmänner als offizielle Eigentümer“, berichtet die Fahnderin. „Das sind meist arme Schlucker, die für kleines Geld ihren Namen hergeben.“ In der Regel würden sie nach der Firmengründung direkt wieder in ihre Heimat fliegen, meist Süd- oder Osteuropa.

Und die Kriminellen belassen es nicht bei einer Scheinfirma, sondern schalten ganze Ketten von ihnen hintereinander. Auf diese Weise entstehen undurchsichtige Firmengeflechte, die Außenstehende kaum überblicken können. Das zeigt ein aktueller Fall aus Hessen: Im Raum Gießen und in der Rhein-Main-Region durchsuchten 300 Beamte Ende Juli 24 Wohnungen und Geschäftsräume. Dabei nahmen sie den serbischen Drahtzieher eines „Schwarzarbeiterrings“ fest, der gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern mindestens sechs Scheinfirmen betrieb, wie Michael Bender vom Hauptzollamt Gießen berichtet.

Erst die Kriminellen, dann die Kunden

Zudem inhaftierten die Beamten die beiden Geschäftsführer eines Unternehmens, das in ganz Hessen Einkaufszentren gebaut und Schwarzarbeit mithilfe von Abdeckrechnungen kaschiert hatte. Derzeit werten die Beamten der eigens für diesen Fall gegründeten Sonderkommission „Adria“ die bei den Razzien sichergestellten Unterlagen aus und befragen die Beschuldigten sowie mindestens acht weitere Beteiligte.

„Wir gehen davon aus, dass wir auf etliche weitere Unternehmen stoßen, die Rechnungen von dem Netzwerk bezogen haben“, sagt Bender. Etlichen Firmeninhabern steht damit in den kommenden Monaten unangenehmer Besuch bevor. „Wenn wir erst mal die Organisatoren geschnappt haben, erwischen wir meistens auch die Kunden“, erzählt ein Ermittler. Entweder, weil die Hintermänner in der Hoffnung auf Strafmilderung reden. Oder weil die Namen der Unternehmen, die Abdeckrechnungen bezogen haben, irgendwo in den sichergestellten Dokumenten auftauchen.

Es dürfte deshalb manchen in Angst und Schrecken versetzen, dass derzeit reihenweise Banden auffliegen. Am 29. April zum Beispiel durchsuchten mehr als 620 Zöllner, Polizisten und Steuerfahnder in den frühen Morgenstunden 35 Wohnungen und Büros im Großraum Frankfurt und in Berlin. Sie nahmen mehrere Verdächtige fest, denen die Sonderkommission „Hades“ vorwirft, Bauarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien mit gefälschten slowenischen Pässen nach Deutschland geschleust zu haben. Zudem hätten sie „ein Geflecht von Schein- und Servicefirmen“ zur Ausstellung von Abdeckrechnungen betrieben. Weitere Razzien dürften folgen. „Wir bearbeiten zunehmend große, komplexe Fälle“, berichtet Bender.

Kooperation statt Konfrontation

Aber wie kommen die Ermittler auf die Spur der Kriminellen? Oft beginnt es mit einer routinemäßigen Baustellenkontrolle, bei der die FKS-Ermittler Schwarzarbeiter ausfindig machen. Bisweilen werden aber auch Betriebsprüfer misstrauisch, weil sie in einer Baufirma auf verdächtig hohe „Fremdleistungen“ vermeintlicher Subunternehmer stoßen und die zugehörigen Rechnungen anzweifeln.

In solchen Fällen kann es ganz schnell gehen – wenn der betroffene Unternehmer auspackt. Was Experten dringend empfehlen: „Frühzeitige und umfassende Kooperation“ sei in solchen Fällen extrem wichtig, um das Strafmaß zu reduzieren, sagt Steuerstrafrechtler Franz Bielefeld, der Partner der international tätigen Kanzlei Baker Tilly Roelfs in München ist.

Für eine Kooperation mit den Behörden müssten Mandanten jedoch „entscheidungsstark“ sein – was nicht immer der Fall sei, so Bielefeld. Auch ein Ermittler berichtet, dass er immer wieder auf Unternehmer stößt, die mauern. „Das liegt manchmal auch daran, dass sie Angst vor ihren kriminellen Geschäftspartnern haben“, sagt er. Das seien nämlich bisweilen „unangenehme Zeitgenossen“.

Mit der üblichen Mauertaktik dürften also die wenigsten durchkommen. Denn Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen gibt’s genug, wenn die Fahnder erstmal den ersten Kunden und mit ihm mindestens eine Abdeckrechnung samt Namen der Scheinfirma haben.

So hat Hamburg im vergangenen Jahr eine eigene Spezialeinheit mit 13 Steuerfahndern ins Leben gerufen, die sich in enger Abstimmung mit der FKS allein solchen Fällen widmet. Für die Kriminellen und ihre Kunden wird’s also zunehmend ungemütlicher.