Internationale Handwerksmesse 2020 Robotics: So hilft "Kollege Roboter" dem Handwerk

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Exoskelette stärken Malern und Maurern den Rücken, Roboter verlegen Fliesen, fräsen anspruchsvolle 3D-Konturen in Werkstücke und bohren über Kopf: Robotik kommt im Handwerk an. Auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) zeigen Robotik-Hersteller und Handwerker pragmatische Anwendungen der Technik für den Arbeitsalltag.

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    Robotik IHM 2020
    © HWK Unterfranken
    Robotik IHM 2020
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    IHM 2020 Robotik
    © Fred Schoellhorn
    Robotik kommt auch im Handwerk an. Auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) erfahren Handwerker, wie sie die neuen Technologien nutzen können.
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    Thomas Planer
    © Thomas Planer
    Thomas Planer, Projektleiter der Robonet-Initiative, bei der Handwerkskammern gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut IGCV an Robotern tüfteln, die für den Einsatz in kleinen und mittelgroßen Handwerksbetrieben geeignet sind.

Handwerk ist Berufung und Leidenschaft. Aber es gibt so einige Arbeiten, die im Alltag anfallen, die liebt wohl kein Handwerker. Über Kopf auf der Baustelle Bohrlöcher und Leitungen anbringen , auf dem Rücken liegend Fahrzeugteile montieren zum Beispiel – oder schwere XXL-Fliesen an die richtige Stelle hieven und verlegen. Da wundert es nicht, dass Entwickler und Hersteller von Roboter- und Assistenzsystemen genau für diese ungeliebten Arbeiten die ersten alltagstauglichen Handwerkers-Roboter auf den Markt bringen.

Bei vielen Robotik-Angeboten für Handwerker geht es vor allem darum, diese von körperlich anstrengenden – und dadurch oft auch gesundheitsschädlichen – Arbeitsschritten zu befreien oder die physische Belastung zumindest zu reduzieren.

Zwei grundverschiedene Robotik-Angebote: Exoskelette und autonome Roboter

Bei den Robotik-Anwendungen im Handwerk gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze. Die erste Idee: Exoskelette. Mit diesen bieten Roboterhersteller wie Comau, aber auch Prothesenhersteller wie Ottobock, gewissermaßen einen Roboteranzug für Handwerker an.

Wie helfen Exoskelette Handwerkern?

Exoskelette sind Hightech-Montagehilfen, die aus Platten zur Gewichtsverteilung sowie mit Seilzügen und anderen Hydraulik-Mechanismen bestehen. Handwerker ziehen sie wie ein Kleidungsstück über der Arbeitskleidung an, befestigen sie mit Gurten direkt am Körper. Dort sorgen sie dafür, dass ihr menschlicher Träger etwa bei Hebebewegungen zwanzig bis dreißig Prozent weniger Kraft aufwenden muss und auch bei körperlich anstrengenden Arbeitsschritten sehr genau arbeiten kann.

Das Exoskelett entlastet dabei den Rücken und die Gelenke. Spezielle Ergonomie-Skelette für Über-Kopf-Arbeiten stützen zum Beispiel insbesondere den Schulter- und Nackenbereich vor Überlastung.

Wer ausgerüstet mit den futuristisch anmutenden Exoskeletten über die Baustelle oder durch die Werkstatt stiefelt, kann sich derzeit allerdings noch auf einige Aufmerksamkeit von Kollegen und Kunden gefasst machen – denn die Anzüge, die Superkräfte verleihen, sind bislang noch vor allem in der Forschung und bei Industrieunternehmen im Einsatz.

Robo-Sitzgelegenheit: Exoskelett ersetzt sogar den Bürostuhl

Forscher und Entwickler arbeiten aber daran, die Roboter zum Anziehen immer leichter und flexibler zu machen und ihre Funktionen den natürlichen Körperbewegungen anzupassen. Je besser ihnen das gelingt, desto schneller werden die Exoskelette zum alltäglichen Werkzeug auf Baustellen und in Werkstätten werden.

Für Handwerker, die häufig zwischen sitzenden und stehenden Arbeitsschritten hin und her wechseln werden bereits ganz besondere Exoskelette getestet: So soll etwa der „Chairless Chair“ klassische Stühle ersetzen. Statt sich morgens auf einen Bürostuhl zu setzen und immer wieder zum Arbeiten an der Werkbank aufzustehen, zieht man dazu einfach ein Exoskelett an. Das unterstützt dann je nach Bedarf flexibel beim Sitzen oder beim Stehen und passt sich automatisch Körpergröße und Einsatzzweck an.

Auf Wachstumskurs: Zahl der Exoskelette in Unternehmen steigt

Die Zahl der weltweit eingesetzten Exoskelette wächst aktuellen Studien zufolge schnell – allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus. Weltweit sind derzeit noch nur rund 7.000 Exoskelette im Einsatz. Im Jahr 2030 sollen dann aber schon um die 200.000 Exoskelette in Unternehmen und auf Baustellen unterwegs sein.

Einsatzmöglichkeit Nummer zwei: Autonome Roboter

Einen noch deutlich längeren Weg bis zum alltäglichen Praxiseinsatz hat die zweite Variante der Robotik-Unterstützung für Handwerker vor sich: … In Forschungsprojekten wie der Initiative Robonet 4.0 entwickeln Experten autonome Roboter, die als weitgehend eigenständige Kollegen in Werkstatt und auf der Baustelle aktiv werden. „Anders als etwa bei einem Exoskelett können diese Roboter lästige und körperlich anspruchsvolle Arbeiten wie das Bohren über Kopf komplett übernehmen“, erklärt Thomas Planer, Projektleiter der Robonet-Initiative, bei der Handwerkskammern gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut IGCV an Robotern tüfteln, die für den Einsatz in kleinen und mittelgroßen Handwerksbetrieben geeignet sind.

In der Praxis funktioniert das so: „Ein autonomer Roboter wird dazu zum Beispiel mit BIM-Daten aus der Bauplanung programmiert“, erklärt der Robonet-Projektleiter. „Der Roboter findet auf der Baustelle automatisch die richtigen Stellen für die Deckenbohrlöcher und führt die Bohrarbeiten direkt durch.“ Der menschliche Kollege läuft entspannt hinterher und schiebt nur noch die Dübel in die fertigen Löcher. „Mit Blick auf den Fachkräftemangel im Bau- und Ausbauhandwerk kann der Einsatz solcher Roboter sich schon bald an vielen Stellen lohnen“, sagt Planer.

Allerdings geht der Experte nicht davon aus, dass bald jeder Bauhandwerks-Betrieb einen der je nach Ausstattung und Einsatzzweck rund 50.000 bis 150.000 Euro teuren Roboter sein Eigen nennen wird. „Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass einzelne Handwerker oder Dienstleister sich auf den Einsatz und Betrieb solcher Robotersysteme spezialisieren werden und diese dann als Roboter-Dienstleister für andere Betriebe anbieten.“

Anders sehe das etwa im Schreinerhandwerk aus: „In Handwerksbranchen wie dem Holz- oder auch Modellbau arbeiten viele Betriebe bereits heute mit teuren Hightech-Maschinen wie etwa der klassischen CNC-Maschine.“ Der Schritt zum Roboter-Einsatz ist da nicht mehr sehr weit. Und: Im Praxistest hat sich gezeigt, dass auch komplexe Roboter durchaus mit den bereits bekannten CAD-Daten programmiert werden können. „Wenn das gelingt, baut das viele Berührungsängste gegenüber Robotern ab“, sagt Planer. Denn viele Handwerksunternehmen hätten bislang noch ein Vorurteil: Um Roboter zu bedienen, muss man programmieren können oder eigene, hochbezahlte Programmierer einstellen. „Unsere Pilotprojekte zeigen, dass das nicht der Fall ist“, berichtet Planer.

Aber welchen Mehrwert bietet ein Roboter gegenüber einer klassischen CNC-Maschine? „Schreiner oder Modellbauer können mit diesen Robotern zum Beispiel komplexe 3D-Figuren fräsen, mit denen eine klassische CNC-Technik überfordert wäre“, erklärt Planer.

Eine Hürde gibt es dabei allerdings, räumt er ein: „Die meisten Roboter, die heute auf dem Markt sind, müssen aus Gründen der Arbeitssicherheit in einem Käfig stehen.“ Um den Roboter-Kollegen hinter Gittern in der eigenen Werkstatt unterzubringen, braucht es viel Platz – der in vielen Unternehmen fehlt. Auch deshalb stehen bislang nur rund 1 bis 2 Prozent der verkauften Roboter in Handwerksbetrieben – der Löwenanteil der neuen Robotik-Technologien kommt in Industrieunternehmen zum Einsatz.

Marktbeobachter erwarten, dass die Roboter in Zukunft häufiger im Handwerk mitarbeiten – dabei aber vor allem bei spezialisierten Handwerksbetrieben zum Einsatz kommen. „Die Entwicklung könnte ähnlich verlaufen wie bei der Laserschneide-Technologie: Heute gibt es viele Unternehmen, die mit hochspezialisierten Maschinen Teile zuschneiden und diese dann an andere Handwerksbetriebe zuliefern“, sagt Robonet-Experte Planer.

Der Vorteil einer solchen Entwicklung: Wer sich auf per Roboter gefertigte Teile, Produkte oder Dienstleistungen spezialisiert und sich als Zulieferer positioniert, kann die teuren Maschinen besser auslasten. „Dann rechnet sich die Investition in diese anspruchsvolle Technologie natürlich schneller.“