Exklusiv-Interview zu Führung, Fachkräftemangel und Firmenstrategie Reinhold Würth: "Ich fühle mich ja heute noch als Verkäufer"

Seit 70 Jahren arbeitet Reinhold Würth in und an seinem Unternehmen. Er hat aus dem väterlichen Kleinbetrieb, dem „Schrauben Würth“, einen modernen Weltkonzern gemacht. Hier der zweite Teil des Interviews aus unserer März-Ausgabe.

Reinhold Würth
Reinhold Würth - © Claudia Cardinale
Kann die Digitalisierung das Handwerk speziell für junge Menschen wieder attraktiver machen? Etwa durch die Perspektive demnächst Technik wie Beobachtungs-, Reinigungs- und Maler-Drohnen, Mauerroboter, autonome Maschinen einzurichten, zu steuern und zu warten?

Das Handwerk hat eine unglaubliche Vielfalt … In allen Bereichen splitten sich die Fachgebiete immer weiter auf, es gibt immer mehr Spezialisierung. Doch die einen wissen von den anderen immer weniger. Dafür wissen sie in ihrem Fachgebiet unglaublich viel. Doch die Randgebiete fallen ab. Das ist im Handwerk noch nicht so stark ausgeprägt. Denn die Handwerker sind noch vielfach Allrounder. Die müssen heute eine NC-gesteuerte Maschine bedienen, müssen mit komplizierten Messgeräten umgehen können und haben immer noch ihre elektrischen Bohrschrauber und Sägen.

Und das nicht nur fachlich ...

Der Handwerker ist auch deshalb ein Allrounder, weil er mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen zusammenkommt. Und das ist ein Riesenvorteil gegenüber Menschen, die nur in einem Büro arbeiten. Das ist ja ähnlich wie in meinem Beruf. Ich fühle mich ja heute noch als erster Verkäufer des Unternehmens. Ich bin ja bis vor einigen Jahren selbst verkaufen gegangen und werde das dieses Jahr übrigens auch noch einmal mit meinen Enkeln zusammen machen.

Das ist sicher sehr interessant.

Da lernen Sie alle Typen kennen. Sie glauben nicht, was es da alles gibt: Die Arroganten, die Bescheidenen, die den Mund nicht aufkriegen, die Choleriker, die Sanguiniker. Und das schöne ist: Sie eignen sich eine unglaubliche Menschenkenntnis an. Das heisst: Wenn ich heute etwa eine Stunde mit einem Menschen zusammen bin und mit dem rede, dann kann ich mir ein gutes Bild machen, was das für ein Charakter ist. Und diese Seite des Lebens fehlt natürlich dem Wirtschaftsprüfer, der sein ganzes Leben nur Häkchen macht. Diesen Teil macht das Handwerk ganz besonders interessant, dass man eine Fülle von Lebenserfahrungen bekommt, die der in der Industrie angesiedelte Mensch einfach gar nicht zu sehen bekommt.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Choleriker vielleicht ausstirbt, weil sich das die Mitarbeiter heute nicht mehr bieten lassen.

Wenn er keine Verbindung zum Internet hat, dann wird er wieder cholerisch (Lacht). Aber ernsthaft: Gerade in Zeiten digitaler Kommunikation wird die richtige Unternehmensführung wichtiger –  gerade weil die Informatik eine rationale Welt ist, während die Wirtschaft auch im Handwerk nicht durch die Maschinen gemacht wird, sondern durch die Menschen. Der Handwerker muss ein gutes Gefühl haben, auch für seine Kunden. Muss auf die Wünsche seiner Kunden eingehen und dazu braucht er Gefühle, Emotionen und Beobachtungen. Die Leistungsbereitschaft der Angestellten im Handwerk ist enorm stark von der Kultur des Handwerksbetriebs abhängig. Ich meine schon, dass unter Erfolg, mit Schrauben 13,6 Milliarden Euro umzusetzen, wie wir das letztes Jahr gemacht haben, zu 70 Prozent nicht auf das Produkt zurückzuführen ist, sondern auf die Art, wie wir mit Kunden und Menschen umgehen. Ich bin immer ein großer Verfechter davon gewesen, dass man die Leistung der Mitarbeiter mit Dank, mit Anerkennung, mit Respekt, mit Hochachtung zur Kenntnis nimmt und das den Menschen auch sagt. Nicht wie bei den Schwaben, die sagen ja: „Nicht geschimpft ist gelobt genug“.

Respekt und Anerkennung ist auch ein modernes Management- und Führungsprinzip.

Ja, es darf aber nicht aus dem Lehrbuch kommen und nur als Fassade praktiziert werden. So funktioniert das nicht. Die eigene Einstellung muss authentisch sein und dann kommt das an.

Muss der moderne Unternehmer ein Philanthrop sein? Muss man Menschen lieben, um sie erfolgreich zu führen?

Ich glaube schon. Menschenfeinde sind keine guten Handwerker. Doch die gibt es auch. Das ist wie in jeder Branche: Da gibt es etwa Mediziner, die sind menschlich unmöglich, sind aber absolute Koryphäen auf ihrem Gebiet. Da nimmt man halt diese Eigenschaft in Kauf, weil man weiß, dass man dafür eine gute Beratung oder Therapie bekommt. So ist das auch im Handwerk. Das andere Extrem: Der charmante und zuvorkommende Handwerker, der aber nur schlechte Qualität abliefert, wird es nicht weit bringen.

Ihr Unternehmen will künftig seine Akku-Maschinen selbst produzieren. Auch in anderen Bereichen produzieren Sie zunehmend selbst. Welche Felder wollen Sie künftig mit Eigenentwicklungen selbst abdecken?

Wir sehen Geräte wie die erwähnten Akkuschrauber, aber auch Winkelschleifer, Sägen, Bohrhämmer. Bei unseren eigenen Akkuschraubern, die wir ja schon im Verkauf haben, kommen wir im Augenblick nicht mit liefern nach.

Im Markt der Elektrowerkzeuge haben Sie dann natürlich auch neue Wettbewerber wie Hilti oder Festool.

Das waren schon immer unsere Kollegen und Wettbewerber.

Das sind ja auch keine Märkte, in denen es große Lücken gäbe.

Ja, klar. Doch man kann sich differenzieren durch Qualität, durch bessere Funktionen und Features.

Hängt diese Diversifikation auch davon ab, ob man zu attraktiven Bedingungen ein Unternehmen übernimmt, was über das entsprechende Know-how verfügt?

Nein, das spielt keine Rolle. Wir haben einen tollen Partner gefunden, der seit Jahrzehnten in diesem Bereich tätig ist. Wir haben in diesem Joint-Venture 51 Prozent und bilanzieren das als Beteiligung.

Herr Würth, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Vita Reinhold Würth

Geboren am 20. April 1935 im schwäbischen Öhringen, verheiratet, drei Kinder. 1949 Eintritt als Lehrling in die väterliche Schraubengroßhandlung. 1952 Abschluss der Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann. Übernimmt 1954 die Geschäftsleitung des Zwei-Mann-Betriebs mit einem Jahresumsatz von umgerechnet 80.000 Euro. 1994 Rückzug aus der operativen Geschäftsführung der Würth-Gruppe. Übernahme des Beiratsvorsitzes der Würth-Gruppe. 2006 Übergabe des Beiratsvorsitzes an Bettina Würth. Reinhold Würth bleibt Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats.