Rechtsform Verborgene Reize der Genossenschaften

Genossenschaften können viel mehr als Einkaufsbündelung. Aber Gründung und Betrieb verursachen Aufwand und Kosten. Das will der Gesetzgeber ändern. Welche Möglichkeiten diese Rechtsform bietet.

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    René Neubert (re.) führt die Genossenschaft Glückauf im Erzgebirge: ein Klempner- und Installateurbetrieb.
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    „Prüfungen und Pflichtmitgliedschaft schrecken viele von der Genossenschaft ab.“ Lars Schubert, Vorstand Genossenschaftsverband ­Thüringen-Sachsen e.V., Chemnitz.
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    „Weil Glückauf den Mitgliedern gehört, arbeiten wir anders, das ist gut für den Erfolg.“ René Neubert, ­Vorstandsvorsitzender der Glückauf eG.

Verborgene Reize der Genossenschaften

Auf den ersten Blick ist nicht viel Besonderes an Glückauf in Oelsnitz im Erzgebirge: ein Klempner- und Installateursunternehmen, allerdings mit 3,5 Millionen Euro Umsatz, mit 49 Arbeitnehmern und vier Azubis recht groß für die Branche. Aber es gibt etwas, das Glückauf von den anderen unterscheidet, es sind zwei Buchstaben hinter dem Firmennamen: „eG“. Das heißt „eingetragene Genossenschaft“ und bedeutet: „Glückauf gehört 38 der Mitarbeiter“, erklärt Vorstandsvorsitzender René Neubert, „und das macht einen Unterschied. Sie identifizieren sich stark mit dem Unternehmen“. Das sei in schwierigen Zeiten entscheidend fürs Durchhalten gewesen.

Jetzt läuft es seit fünf Jahren gut. Glückauf hat neue Geschäftsfelder wie Solarenergie erschlossen, die Mitglieder bekommen zusätzlich zum Gehalt wieder eine Ausschüttung. Neubert: „Für Glückauf ist das Genossenschaftsmodell ein wichtiger Erfolgsfaktor“. Aber der hat seinen Preis: Die eG muss Mitglied in einem Prüfungsverband sein, der die Geschäftsführung jährlich unter die Lupe nimmt – für 5000 Euro. Glückauf ist ein Beispiel, wie Unternehmer die eingetragene Genossenschaft (eG) für ihre Ziele nutzen können, eins von vielen (siehe Kasten). Dieses Potenzial wird noch zu wenig genutzt, finden Politiker aller Bundestagsparteien von Schwarz bis Rot.

Kostspielige Pflichten

Verantwortlich dafür machen sie die strengen und vor allem kostspieligen Pflichten einer eG: Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband für jährlich rund 100 bis 500 Euro, Gründungsprüfung für je nach Komplexität 500 bis 5000 Euro, laufende Prüfungen je nach Größe alle ein oder zwei Jahre. Das will ein Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium durch Erleichterungen für kleine Genossenschaftenändern. Aber auch jetzt schon ist die eG für viele interessant, „mit ihr geht fast alles, was mehrere zusammen erreichen wollen“, erklärt Lars Schubert, Vorstand des Genossenschaftsverbandes Thüringen-Sachsen e.V. (GVTS), Chemnitz, „nur für Einzelkämpfer ist das nichts“.

Allerdings ist eG nicht gleichbedeutend mit Aufgabe der Selbständigkeit. Das käme Kerstin Schilling nicht in den Sinn. Sie bietet mit ihrer Bestsidestory GmbH in Leipzig Beratung, Aufbau und Management von Online-Shops. „Was mein Unternehmen betrifft, will ich allein und schnell entscheiden.“ Genossin ist sie trotzdem und Vorstand der E-Commerce eG, die sie mitgegründet hat. So erweitert sie ihre geschäftlichen Möglichkeiten.

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    Genossenschaften
    18,7 Millionen Genossenschafts­mitglieder

Genossenschaft als Dachmarke

Die Hauptaufgabe der eG ist Marketing und Vertrieb für die derzeit neun Mitgliedsunternehmen, sie funktioniert für sie als Dachmarke. Sie entwickelt Projekte für Kunden und schnürt Pakete, zu denen andere Genossen beisteuern, was Bestsidestory nicht kann, etwa Suchmaschinen-Marketing. Für diese Dienste zahlen die Mitglieder der eG Provision, denn „solche Leistungen sind aus der Einlage – 500 Euro pro Mitglied – nicht zu finanzieren“, sagt Kerstin Schilling.

Was die eG dennoch von normalen Dienstleistern unterscheidet: „Wir warten nicht, bis der Markt bietet, was wir brauchen, wir bestimmen selbst, wohin die Reise geht.“

Kooperationen tun Handwerksunternehmen offenbar gut. Das senkt ihr Insolvenzrisiko statistisch klar unter das von konsequenten Einzelkämpfern, hat die Universität Münster he­rausgefunden. Dabei „spricht vieles dafür, Kooperationen in der Rechtsform der eG zu organisieren“, sagt Professorin Theresia Theurl, Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster. Denn „sobald das Projekt anspruchsvoller wird und etwa Geld für Werbung oder Akquisition braucht, ist eine rechtliche Form fast unverzichtbar“.

Da bietet die eG eine klare Struktur. Und sie ermöglicht anders, als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), Haftungsschutz. Ein Vorzug gegenüber der GmbH ist ihre „demokratische“ Struktur: Grundsätzlich hat die Stimme eines jeden Mitglieds dasselbe Gewicht. „Die Großen können die Kleinen nicht dominieren, deshalb ist die Zusammenarbeit von Unternehmen unterschiedlicher Größe für alle attraktiv, wenn es allen nützt.“ Ein weiteres eG-Plus gegenüber GmbH und GbR ist die Flexibilität beim Mitgliederbestand: Ein- und Austritt ohne Notar und Registereintragung, beim Eintritt wird die Einlage gezahlt, beim Austritt zurückgezahlt, ohne Beteiligung am Wertzuwachs.

Niedrige Insolvenzquote

Trotz aller Vorteile wird die eG für Kooperationen noch wenig genutzt. Vielleicht ändert sich das, wenn die Reform Erleichterungen bringt. Da sind die Meinungen geteilt. Viele sagen, dass die Prüfungen verantwortlich für die legendär niedrige Insolvenzquote der eGs sind, sie lag 2011 bei 0,13 Prozent. René Neubert findet es gut, dass so bei Glückauf Schwachstellen frühzeitig aufgedeckt werden, „das schützt vor Betriebsblindheit“. Das ist ihm die 5000 Euro wert. Kerstin Schilling kann sich ein Leben ohne ganz gut vorstellen, „je weniger Aufwand, desto besser“. Immerhin können die Genossenschaftendiese Kosten beeinflussen. Als ein Prüfungsverband seine Gebühren anheben wollte, „gründeten 23 Mitglieder einfach einen neuen Verband, den GVTS“, berichtet Vorstand Schubert, „bei uns liegen die Kosten vergleichsweise im unteren Bereich“.

Obwohl die eG in der heutigen Form über 100 Jahre alt ist, hilft sie auch bei der Lösung neuer Probleme. Institutsdirektorin Theurl diskutiert derzeit mit Unternehmern das Projekt Cloud-Genossenschaft. „Mit der Cloud lässt sich zwar die ständig wachsende Datenfülle in den Griff bekommen, aber niemand vertraut das gerne Fremden an.“ Über eine eG könnten die Mitgliedsfirmen die für eine Cloud notwendige Größe erreichen, aber die Standards selbst bestimmen und die Kontrolle behalten.

Manchmal verleiht die Genossenschaftsidee der Fantasie Flügel. Derzeit wird zum Beispiel die Eisenbahngenossenschaft gegründet. Wer will, ist mit 100 Euro dabei. Ihr Ziel: Die Deutsche Bahn als Genossenschaft zu übernehmen. Ein ziemlicher Höhenflug.

Genossenschaften: Gemeinsam mehr erreichen

Sie wollen gemeinsam mit anderen Unternehmern etwas erreichen, was Sie einzeln nicht stemmen können? Eine eingetragene Genossenschaft bietet hierfür einen passenden Rahmen. Im Handwerk ist das Modell für viele Aktivitäten denkbar.

Was können Genossenschaften?

Das Modell eingetragene Genossenschaft bietet einen Rahmen für alle, die gemeinsam etwas erreichen wollen, das sie einzeln nicht stemmen können. Sie profitieren von der Kombination aus Mitsprachemöglichkeit und klaren Leitungsstrukturen, aus Flexibilität und Haftungsschutz.

Wie steht es um Vereinbarung von Familie und Beruf?

Mehrere Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern gemeinsam Kinderbetreuung oder auch Hilfe bei der Pflege von Verwandten, etwa durch Tagesstätten, Vermittlung von Tagesmüttern oder Pflegern. Das macht sie durch Familienfreundlichkeit zu attraktiveren Arbeitgebern, einzeln sind kleinere Betriebe dazu nicht in der Lage.

Was ist das besondere am Einkauf ?

Ein Klassiker, auch im Handwerk. So schaffen Betriebe sich gebündelte Marktmacht für günstigere Einkaufskonditionen. Sie unternehmen oft in Konkurrenz mit konventionellen Großhändlern. Der Vorteil Genossenschaft: Sie sind durch die organisatorische Einbindung näher an den Betrieben und ihren Bedürfnissen dran.

Was ist eine Gründerkooperation?

Unternehmensgründer ohne gefestigte Marktposition können durch Kooperation ihrem Auftritt mehr Gewicht geben, ohne ihre Selbstständigkeit zu verlieren, etwa durch gemeinsame Werbung, Angebotsbündelung verschiedener Gewerke, bei der Miete von Gewerberäumen oder einer gemeinsamen Infrastruktur bei Verwaltung oder Fuhrpark.

Was ist die Genossenschaft OSADL?

Maschinenbauunternehmen haben sich in der Genossenschaft OSADL zusammengetan, um die Entwicklung von auf die Bedürfnisse des Wirtschaftszweigs zugeschnittener Open-Source-Software voranzubringen. Sie zeigen die Eignung der Rechtsform für gemeinsame Ziele, wenn dafür auch finanzielle Mittel eingesetzt werden: OSADL vergibt auch etwa Entwicklungsaufträge.