Raus aus der Überstundenfalle

Zeitarbeit | Die Kapazitäten ohne teure Überstunden erhöhen? Seit der Lockerung der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor drei Jahren bietet Zeitarbeit für kleine Betriebe vielfältige Chancen.

Raus aus der Überstundenfalle

„Handwerk und Zeitarbeit sind eine schlagkräftige Kombination“, findet Norbert Kobiela. Aus den Vorzügen der beiden Branchen schweißte der gelernte Metallbaumeister 2004 das Geschäftsmodell für sein eigenes Unternehmen „MSA Kobiela e.K.“ in Itzehoe zusammen. Dabei konnte der Handwerker auch auf Erfahrungen als Niederlassungsleiter einer Hamburger Leiharbeitsfirma zurückgreifen.

„Durch die Kombination von Handwerk und Zeitarbeit können wir extrem flexibel auf den Markt reagieren“, erklärt der 41-Jährige. „Statt eines klassischen Werkvertrags bieten wir beispielsweise Industriekunden in bestimmten Fällen an, unsere Mitarbeiter für die Erledigung eines Auftrags auszuleihen. Dabei führt die Bauabteilung des Auftraggebers selbst die Aufsicht, wir haben kein Gewährleistungsrisiko, und der Kunde spart fast ein Drittel der Arbeitskosten.“

Dass Kobiela die Mitarbeiter, die er verleiht, auch aus der eigenen Werkstatt kennt, wissen die Entleiher besonders zu schätzen, ebenso seine Praxisnähe als Handwerksmeister. „Ich weiß, welche Fragen ich stellen muss, damit am Ende die richtigen Leute auf der Baustelle stehen“, bringt der 41-Jährige einen seiner Wettbewerbsvorteile auf den Punkt.

Als ein Kunde kürzlich zum Beispiel vier MAG-Schweißer „ohne nähere Informationen“ anforderte, setzte sich Kobiela mit dem zuständigen Bauleiter in Verbindung. „MAG-Schweiß-Befähigungen haben alle meine Mitarbeiter. Doch bei dem Gespräch stellte sich heraus, dass mit einem speziellen Fülldraht und überwiegend in einer Zwangsposition über Kopf gearbeitet werden musste“, berichtet der Handwerker. „Für diese Arbeiten besaßen nur zwei meiner Leute ausreichend Praxiserfahrung. Ich sagte dem Kunden jedoch zu, bis zum Auftragsbeginn im Dezember zwei weitere Mitarbeiter dafür zu trainieren.“

Unbeschränkter Verleih

Schlechte Erfahrungen mit der Zeitarbeitsbranche beruhen häufig auf solchen Kommunikationsproblemen, hat Norbert Kobiela festgestellt: Aber auch Vorurteile, mangelnde Information und eine gewisse Schwellenangst gegenüber der Leiharbeit stellt er gerade bei Kollegenbetrieben immer wieder fest: „Das Handwerk ist sich der Potenziale, die hier schlummern, noch viel zu wenig bewusst.“

Das belegen auch die Zahlen: Zwar verzeichnete die Zeitarbeit in den letzten Jahren in allen Bereichen deutliche Zuwächse, vor allem dank tiefgreifender Verbesserungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen. So entfielen mit den Hartz-Gesetzen 2003 die Beschränkung der Verleihdauer und verschiedene Verbote. Darüber hinaus sorgte der neu eingeführte Gleichbehandlungsgrundsatz und die seither üblichen Tarifverträge für ein verbessertes Image der Branche. Doch während die Zeitarbeit seit 1995 insgesamt um 157 Prozent, in Büro- und IT-Berufen sogar um 244 Prozent zulegte, betrug der Zuwachs im Handwerksbereich nach Angaben des Interessenverbandes Zeitarbeit (IGZ) lediglich 37 Prozent. „Der Anteil von Schlossern und Mechanikern unter allen Zeitarbeitnehmern sank in diesem Zeitraum von einem stattlichen Viertel auf weniger als ein Siebentel“, gibt IGZ-Pressesprecher Marcel Speker zu bedenken.

Die Ursachen sind vielfältig. „Viele Handwerker glauben, wir könnten nur Hilfskräfte zur Verfügung stellen“, nennt Albert Neuner, Inhaber der Firma Neuner Personaldienstleistungen im oberpfälzischen Nittenau, einen Grund für die Zurückhaltung im Handwerksbereich. Auch Kirchenmalermeister Martin Eis aus dem bayerischen Lappersdorf „wäre nie auf die Idee gekommen, in einer Zeitarbeitsfirma nach einem Restaurator zu fragen“, wie er bekennt.

Spitzenkraft für 6 Monate

Seit ein Zufall ihn mit Neuner ins Gespräch brachte, hat sich das gründlich geändert. Wenige Tage, nachdem der Handwerker dem Personalprofi im letzten Frühjahr von seinem Fachkräftedefizit berichtet hatte, kam Neuner in Eis’ Werkstatt, um ihm einen Kirchenmaler mit über 40-jähriger Berufserfahrung vorzustellen. „Der Mann beherrscht diverse Maltechniken, ist ein versierter Vergolder und Experte für Kalkfassungen, kurzum: eine Idealbesetzung“, schwärmt Martin Eis über seinen neuen Mitarbeiter auf Zeit. Etwa ein halbes Jahr lang verstärkte der Kirchenmaler das 15-köpfige Team der Restaurierungswerkstätten Eis.

Zeitweise entlieh der Firmenchef sogar noch einen weiteren Maler mit Erfahrungen bei Kalk- und Stuckarbeiten von Albert Neuner. „Auf diese Weise konnten wir die Auftragsflut in den Sommermonaten bewältigen, ohne bergeweise Überstunden anzuhäufen“, freut sich der Firmenchef. Mit etwa 20 Euro pro Stunde kosteten ihn die zusätzlichen Fachkräfte „alles in allem etwa so viel wie vergleichbare festangestellte Mitarbeiter“.

„Je kleiner ein Betrieb ist, desto mehr kann er von Zeitarbeit profitieren“, bekräftigt Yvonne Hiemann, Geschäftsführerin von Hiemann Personalservice in München. Ihr 1994 gegründetes Unternehmen hat sich auf Personaldienstleistungen für kleine und mittelständische Firmen spezialisiert.

Keine teure Mehrarbeit

„Wenn in einem fünfköpfigen Team nur ein Mitarbeiter ausfällt, fehlen auf einen Schlag 20 Prozent der normalen Kapazität. Um die Aufträge ihrer Kunden trotzdem zu erfüllen, sähen die Chefs kleiner Firmen zumeist nur einen Weg: Das erhöhte Arbeitspensum „irgendwie“ auf die vorhandenen Mitarbeiter umzulegen. „Dabei wächst zuerst das Überstundenkonto, dann die Unzufriedenheit, nicht selten der Krankenstand und auch die Fehlerquote“, beschreibt Yvonne Hiemann die in vielen Firmen immer wiederkehrende Abwärtsspirale, „und am Ende wird der Kunde oftmals doch enttäuscht“. Zeitarbeit biete einen Ausweg aus diesem Teufelskreis. Dass dieser Weg vom Handwerk bisher wenig genutzt wird, liegt nach Überzeugung von Jens-Hermann Fricke, Leiter der Projekt- und Servicegesellschaft der Kammer Hannover, nicht nur an den Handwerkern selbst. Auch die Zeitarbeitsbranche müsse sich noch stärker auf die Bedürfnisse der Betriebe einstellen, da sehr individuelle Lösungen gefragt sind.

Frank Pollack

kerstin.meier@handwerk-magazin.de