Raus aus dem Zeitkorsett

Arbeitszeitmodelle | Flexible Arbeitszeiten stärken die Wettbewerbs-fähigkeit und reduzieren Kosten. Gleichzeitig profitieren Betriebe von der gestiegenen Motivation ihrer Mitarbeiter.

Raus aus dem Zeitkorsett

Rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche arbeiten die Beschäftigten von Sondermann Brot im sauerländischen Drolshagen. In der Großbäckerei gibt es ein Drei-Schicht-System mit qualifizierter Gleitzeit, wodurch die Produktion 24 Stunden am Tag laufen kann. Die flexiblen Arbeitszeiten wurden nötig, als die Geschäftsführung der Bäckerei vor drei Jahren auf Expansionskurs ging und gleichzeitig nicht auf Frische und Qualität der angebotenen Backwaren verzichten wollte. Schon vor der Umstrukturierung leisteten die Beschäftigten zu viele Überstunden, die erweiterte Produktion und Belieferung der neuen Filialen mit frischen Produkten wären im starren Zwei-Schicht-System nicht möglich gewesen. Die Geschäftsführer des Unternehmens, die 29-jährige Nicole Sondermann und ihr Vater, führten daher ein flexibles Arbeitszeitsystem ein, bei dem die Mitarbeiter sowohl ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen als auch innerhalb des Betriebs flexibel eingesetzt werden. Der Arbeitsbeginn ist nicht vorgegeben, fast stündlich fängt eine neue Schicht an. Interne Schulungen gewährleisten, dass jeder Mitarbeiter für die Arbeit in verschiedenen Bereichen qualifiziert ist. So können die Beschäftigten ihre Lieblingsarbeitszeit verwirklichen und gleichzeitig alle Arbeitsplätze besetzt werden.

„Die flexible Arbeitszeit hat dem Unternehmen nur Vorteile gebracht“, sagt Nicole Sondermann. Durch die ununterbrochene Produktion werden alle Filialen mehrmals täglich frisch beliefert. Die Bäckerei kann so die in Nordrhein-Westfalen bis 22 Uhr verlängerten Ladenöffnungszeiten voll ausnutzen. Auch die Leistung und Motivation der Mitarbeiter ist mit den flexiblen Arbeitszeiten spürbar gestiegen. Die Mitarbeiter fühlen sich für die verschiedenen Arbeitsbereiche verantwortlich und können sich stärker mit dem Unternehmen identifizieren. Es gibt deutlich weniger Krankmeldungen, die Fluktuation ist geringer und vor allem: Die Backwaren haben eine höhere Qualität als vorher. Zudem ist die Suche nach neuen Mitarbeitern einfacher geworden, weil die flexible Arbeitszeitregelung für viele qualifizierte Bewerber interessant ist.

„Mit flexiblen Arbeitszeiten stärken Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeit“, bestätigt Ulrike Hellert, Leiterin des Zeitbüros NRW. Betriebe könnten länger öffnen, Termine besser einhalten und ihre Maschinen auslasten. Auch Auftragsschwankungen bereiteten weniger Probleme: Bei Auftragsspitzen machen die Beschäftigten Überstunden, die jedoch nicht extra bezahlt werden, sondern auf ein Zeitkonto wandern. In auftragsschwachen Wochen gleichen die Mitarbeiter dieses Konto durch Freizeit oder Weiterbildungen wieder aus.

Leistung steigt

Unternehmer profitierten außerdem von der höheren Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter – durch die gewonnene Zeitsouveränität und oft größere eigene Verantwortung für Tätigkeitsbereiche seien die Beschäftigten leistungsbereiter und nutzten ihre Arbeitszeit effektiver. Auch die Notwendigkeit, sich stärker abzusprechen und Abläufe besser zu planen, erhöhe die betriebliche Effektivität und reduziere Kosten.

Hellert rät Unternehmern, die flexible Arbeitszeiten einführen möchten, zu überlegen, welches Modell die individuellen Bedürfnisse ihres Betriebs am besten abdeckt. Sie müssten analysieren, wie sich Umsätze oder Aufträge über bestimmte Zeiträume verteilen und welche Öffnungs- oder Servicezeiten ideal sind. Die üblichen Arbeitszeitmodelle unterscheiden laut Hellert zwischen der Dauer der Arbeitszeit, wie zum Beispiel Teilzeit, Kurz- oder Mehrarbeit, und der Lage und Verteilung der Arbeitszeit, wie Gleitzeit, Jahresarbeitszeit oder Schichtarbeit. Im Handwerksbereich beliebt seien die unterschiedliche Formen von Arbeitszeitkonten, mit denen sowohl Dauer als auch Lage der Arbeitszeit flexibel gestaltet werden können. Besonders bei Kurzzeitkonten empfiehlt Hellert das Festlegen von Ober- und Untergrenzen für die Höhe des Zeitsaldos. Diese Steuerung verhindere zum Beispiel, dass Mitarbeiter lange Zeit ausfallen, weil sie angesammelte Überstunden abbauen müssen.

Der folgende Überblick stellt häufig verwendete Formen flexibler Arbeitszeit kurz vor:

Bei Gleitzeit existiert eine tägliche oder wöchentliche Regelarbeitszeit. Ist einfache Gleitzeit vereinbart, wählt der Arbeitnehmer Arbeitsbeginn und -ende selbst; die tägliche Arbeitsdauer steht jedoch fest. Bei qualifizierter Gleitzeit bestimmen die Mitarbeiter sowohl Lage als auch Dauer der Arbeitszeit selbst. Je nach Vertrag werden Überstunden vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen.

Bei Jahresarbeitskonten wird aus der vertraglichen Arbeitszeit die durchschnittliche Jahresarbeitszeit errechnet. Mitarbeiter gleichen ihr Konto über das Jahr aus, je nachdem wie viel Arbeit im Betrieb anfällt. Durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen können Betriebe Kosten senken. Jahresarbeitszeitkonten eignen sich besonders für Branchen mit starken saisonalen Schwankungen, beispielsweise das Bau- und Ausbaugewerbe.

Die Vertrauensarbeitszeit bietet sich bei Heimarbeitsplätzen oder einer sehr ergebnisorientierten Tätigkeit von Mitarbeitern an. Dabei erfassen Mitarbeiter ihre Zeiten selbst und gleichen Abweichungen eigenverantwortlich aus.

Langzeitkonten sind separate Arbeitszeitkonten, welche die zusätzlich zur vertraglich vereinbarten Arbeitszeit geleisteten Stunden erfassen. Das entstandene Arbeitszeitguthaben können Mitarbeiter entweder für einen zeitweiligen Ausstieg aus dem Berufsleben, zum Beispiel als Familienpause, oder für den vorzeitigen Ruhestand nutzen.

Automatisch oder manuell

Bei allen Formen von Zeitkonten müssen geleistete Arbeitsstunden genau erfasst werden. Beliebt sind automatische Zeiterfassungssysteme, wobei Magnetkarten- oder Funkchip-Systeme die klassische Stempeluhr mittlerweile ablösen. Viele kleine Unternehmen erfassen die Zeiten manuell – durch Eintragen der Kommen- und Gehenzeiten, zum Beispiel in Tabellenprogramme. Betriebe mit Außendiensttätigkeiten können mobile Zeiterfassungssysteme nutzen. Diese funktionieren mit einem speziellen mobilen Erfassungsgerät oder einem gewöhnlichen Handy. Die elektronische Zeiterfassung bietet dabei nicht nur Vorteile für das Führen der Arbeitszeitkonten, die Daten lassen sich auch für das Nachkalkulieren von Aufträgen nutzen.

sandra.rauch@holzmannverlag.de