Personal: Diese Urteile müssen Chefs kennen

In kaum einem anderen Rechtsgebiet müssen Handwerker so auf der Hut sein wie im Arbeitsrecht. Die jährliche Flut neuer Gesetze und Urteile verursacht Frust und Stress bei der praktischen Umsetzung.

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    Wer sich als Chef im ­Arbeitsrecht auskennt, spart Zeit und Energie.
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    „Arbeitgeber können sofort Konsequenzen aus einer Arbeitsverweigerung ziehen.“ Wolfgang Lipinski, ­Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt.
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    „Arbeitgeber sollten lieber einmal zu oft als zu wenig abmahnen.“ Gregor Dornbusch, ­Rechtsanwalt bei Baker & McKenzie.

Für viele Handwerksbetriebe ist das Arbeitsrecht ein schwarzes Loch. Im Bermuda-Dreieck zwischen Gesetzgeber, Bundesarbeitsgericht (BAG) und Europäischem Gerichtshof (EuGH) fällt es ihnen immer schwerer, ihre Rechte als Arbeitgeber klar zu erkennen. Das lässt sie in tiefe und dornige Haftungsfallen hineinlaufen.

Diskriminierung von Bewerbern

Ein Beispiel ist das seit 2006 geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Arbeitnehmer und Stellenbewerber vor diskriminierender Behandlung schützt. Seither haben die Arbeitsgerichte zahlreiche Einzelentscheidungen gefällt, die nur noch ausgewiesene Rechtsexperten verstehen. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Betrieben, die Bewerber diskriminierend ablehnen, drohen empfindliche Schadensersatzklagen. Möglich macht das § 15 AGG. Danach kann der abgewiesene und diskriminierte Bewerber bis zu drei Monatsgehälter Entschädigung verlangen. Ist er unter mehreren Bewerbern der am besten geeignete Kandidat gewesen, kann er noch viel höhere Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitgeber geltend machen.
Die Entschädigungszahlung muss der Arbeitgeber nach einer Entscheidung des BAG selbst dann zahlen, wenn er die Stelle gar nicht besetzt (Az.: 8 AZR 285/11). In dem Fall hatte ein Unternehmen per Annonce „zwei neue Mitarbeiter zwischen 25 und 35 Jahren“ gesucht. Ein 53 Jahre alter Mann bewarb sich erfolglos und machte daraufhin wegen unmittelbarer Benachteiligung aufgrund seines Alters eine Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 26 000 Euro geltend. Trotz mehrerer Gespräche mit anderen Bewerbern ließ der Arbeitgeber die Stelle am Ende unbesetzt.

Gefährliche Formulierungen in Stellenanzeigen

Bereits die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch ist nach Ansicht des BAG eine ungleiche Behandlung gegenüber anderen Bewerbern. Die Stellenausschreibung für Mitarbeiter „zwischen 25 und 35 Jahren“ lieferte dem Gericht ein Indiz dafür, dass die fehlende Einladung mit dem Alter des Bewerbers zusammenhing. Rechtsanwalt Alexander Otterbach aus der Kanzlei Flügler & Partner warnt: „ Altersangaben in einer Stellenausschreibung können weitreichende Konsequenzen für Handwerksbetriebe haben. Deshalb sollten Unternehmer bei der Formulierung der Anzeigen tunlichst darauf achten, diese neutral und objektiv zu gestalten und die im AGG genannten Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität nicht zur Grundlage einer Einstellungsentscheidung machen.“

Sorgen bereiten deutschen Arbeitgebern auch die sogenannten AGG-Hopper. Das sind Berufskläger, die sich auf Stellenanzeigen bewerben und im Anschluss an die Ablehnung den Arbeitgeber anschreiben und Schadensersatz wegen Diskriminierung verlangen.

Vorsicht vor Berufsklägern!

Erst kürzlich hat die Staatsanwaltschaft München einen dort ansässigen Rechtsanwalt wegen Betrugs angeklagt. Der Advokat hatte sich selbst auf offene Stellen im Bundesgebiet beworben und danach insgesamt 128 Schreiben verschickt. Darin forderte er mehr als 1,7 Millionen Euro Schadensersatz von deutschen Arbeitgebern. Warum die Arbeitsgerichte AGG-Hoppern nicht so leicht das Handwerk legen können, erklärte der Richter am BAG Axel Breinlinger kürzlich rund 500 Personalverantwortlichen auf einer Arbeitsrechtstagung der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart: „Aus der bloßen Zahl der Bewerbungen kann nicht oder nur schwer auf eine unernsthafte Bewerbung geschlossen werden.“ Auf derselben Veranstaltung appellierte Gleiss-Lutz-Anwalt Jobst-Hubertus Bauer an die Justiz, den AGG-Hoppern wegen Rechtsmissbrauchs endlich das Wasser abzugraben. Einzelne Bewerber verschicken sogar mehrere Bewerbungen unterschiedlichen Inhalts an denselben potenziellen Arbeitgeber. Dabei machen sie sich in der einen Bewerbung jünger, als sie tatsächlich sind. Die andere Bewerbung enthält ihr wahres Alter. Erhält der ältere Bewerber ein Ablehnungsschreiben, klagt er sogleich auf Schadensersatz wegen angeblicher Altersdiskriminierung.

„Ich würde das verbieten. Das ist im Grunde genommen eine Sauerei“, spricht BAG-Richter Axel Breinlinger Klartext. Bislang, so Breinlinger, sei aber noch kein Fall bis hoch zum BAG gelangt. Allerdings landete kürzlich ein Fall vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein. „Inszenierte Testverfahren zur Klärung von Diskriminierungsfällen sind nach der Gesetzesbegründung zum Antidiskriminierungsgesetz zwar zulässig, müssen aber einen Auslöser haben, die Strafgesetze beachten und dürfen nicht rechtsmissbräuchlich sein“, betonte das Gericht (Az.: 3 Sa 401/13). In dem konkret entschiedenen Fall, in dem der Bewerber sogar Zeugnisse gefälscht hatte, schmetterten die Arbeitsrichter aus Kiel die Schadensersatzklage mit der Begründung ab, der Arbeitgeber habe zu Recht den jüngeren Bewerber auswählen dürfen, weil er über die aktuelleren Kenntnisse verfügt habe.

Fehlzeiten: Wenn Arbeitnehmer ständig krank sind

Ein dauerndes Ärgernis für Handwerksbetriebe sind auch die alljährlich erheblichen Fehlzeiten durch kranke Mitarbeiter. Allein für das Jahr 2013 registrierte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen über 40,5 Millionen Arbeitsunfähigkeitsfälle mit mehr als 522 Millionen Fehltagen. Ob wirklich alle Krankschreibungen gerechtfertigt waren, bleibt für viele Arbeitgeber eine Vertrauensfrage.

Selbst den krankschreibenden Arzt testen

In einem vom Arbeitsgericht München entschiedenen Fall schrieb der Arzt Mitarbeiter einer bestimmten Firma quasi automatisch krank, wenn sie dies wünschten. Der Arbeitgeber schickte daraufhin drei kerngesunde Testpersonen zu dem Arzt, der sie prompt krankschrieb. Dieses Testergebnis legte der Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess vor, nachdem er zuvor einem krankgeschriebenen Mitarbeiter gekündigt hatte, weil er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des betreffenden Arztes angezweifelt hatte. Auch die Münchener Richter hielten den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes für erschüttert (Az.: 22 Ca 11325/13). Die Folge: Der krankgeschriebene Mitarbeiter versäumte es, seine Arbeitsunfähigkeit anderweitig zu beweisen und verlor Prozess und Arbeitsplatz. Trotz mehrfacher Nachfrage des Gerichts konnte er seine Behauptung, er sei wegen Blutdruckproblemen drei Wochen arbeitsunfähig gewesen, nicht durch Tatsachen belegen. Seine Aussage, er habe sich zur Arbeitsaufnahme nicht in der Lage gesehen, hielt das Gericht für zu pauschal.

Kündigen oder abmahnen?

„Arbeitgeber sollten lieber einmal zu oft als zu wenig abmahnen.“ Gregor Dornbusch, ­Rechtsanwalt bei Baker & McKenzie. - © Rudi Feuser
Gregor Dornbusch, Rechtsanwalt bei Baker & Mc Kenzie

Wann kann nach einer Abmahnung gekündigt werden?

Eine Kündigung ist dann erst bei erneutem gleichartigem Verstoß des Mitarbeiters gegen seine Vertragspflichten erlaubt. „Das bedeutet nicht, dass der Mitarbeiter sein Fehlverhalten exakt wiederholen muss. Ausreichend ist, dass die Pflichtverletzungen aus demselben Bereich stammen, unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammengefasst werden können und somit die Abmahnungs- und die Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen“, erklärt Dornbusch.

Was muss in einer Abmahnung stehen?

„Der Arbeit­geber sollte die Internetnutzung am ­Arbeitsplatz explizit regeln.“ Ulrike Bischof, ­Rechtsanwältin bei Baker & McKenzie. - © Bischof
Ulrike Bischof , Rechtsanwälting bei Baker & McKenzie.

Eine pauschale Abmahnung ist unwirksam: Der Arbeitgeber muss das vertragswidrige Verhalten in dem Schreiben an den Mitarbeiter genau bezeichnen und ihn auffordern, das beanstandete Verhalten zukünftig zu unterlassen. Und noch einen weiteren Punkt sollten Handwerksbetriebe laut Rechtsanwältin Ulrike Bischof von Baker & McKenzie unbedingt beachten: „Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer selbst unmissverständlich klarmachen, dass bei weiteren Pflichtverstößen der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. So stellt beispielsweise der öffentliche Aushang am schwarzen Brett, wonach Diebstahl mit Kündigung geahndet wird, keine wirksame Abmahnung dar.“

Können mehrere Vorfälle in sogenannten Sammelabmahnungen zusammengefasst werden?

Schließlich warnt Rechtsanwältin Antje Burmester aus der Kölner Sozietät Ulrich Weber & Partner vor sogenannten Sammelabmahnungen: „Wer mehrere Sachverhalte in eine Abmahnung packt, riskiert, dass diese insgesamt unwirksam ist, wenn nur ein Sachverhalt unzutreffend dargestellt wurde.“ Wird etwa dem Arbeitgeber zugetragen, dass ein Mitarbeiter Alkohol am Arbeitsplatz konsumiert und nachfolgend Kollegen beleidigt, sollte er beide Vorwürfe in gesonderten Schreiben abmahnen.

Was ist eine Änderungskündigung?

Da die Kündigung bei einem Fehlverhalten des Mitarbeiters oder aufgrund Auftragsrückgangs immer das letzte anzuwendende Mittel sein darf, muss der Arbeitgeber prüfen, ob er den Mitarbeiter nicht unter veränderten Bedingungen wie geringerer Arbeitszeit und/oder niedrigerem Lohn, halten kann. Ist das der Fall, ist der Chef rechtlich dazu verpflichtet, statt der Kündigung eine sogenannte Änderungskündigung auszusprechen. Darin kündigt er das Arbeitsverhältnis, verbindet die Kündigung aber mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis unter geänderten, meist schlechteren Bedingungen fortzusetzen. Bis diese Maßnahme umgesetzt ist, vergehen aber schnell mehrere Monate.

Der Versetzungstrick

Wer den Mitarbeiter dagegen an einen anderen Standort versetzt, „kommt schneller zur Kündigung, wenn sich der Arbeitnehmer sträubt und deshalb innerhalb weniger Tage abgemahnt wird“, sagt Rechtsanwalt Stefan Lingemann von Gleiss Lutz. Der Grund: Laut BAG (Az.: 9 AZR 36/09) sind bei der Versetzung keine Ankündigungsfristen einzuhalten.

Ist sich der Arbeitgeber nicht sicher, ob die Versetzung rechtmäßig ist, sollte er laut Lingemann die Versetzung und hilfsweise eine Änderungskündigung aussprechen. Soweit sich aus dem Arbeitsvertrag oder Tarifverträgen nichts anderes ergibt, ist der Arbeitgeber berechtigt, einen Mitarbeiter dauerhaft bundesweit zu versetzen. Einzige Voraussetzung: Die Tätigkeit muss fachlich gleichwertig sein.

Expertenrat für besondere Fälle

Antje Burmester, Rechtsanwältin bei ­Ulrich Weber & Partner. - © Oliver Schmauch
Antje Burmester, Rechtsanwältin bei Ulrich Weber & Partner

Antje Burmester: Nach der Rechtsprechung muss sich der Arbeitgeber die Krankmeldungen über drei Jahre anschauen, und erst wenn der Arbeitnehmer mehr als sechs Wochen pro Jahr jeweils kurz erkrankt ist, kann der Arbeitgeber kündigen.

Was gilt bei Langzeiterkrankungen?

Antje Burmester: Eine Kündigung ist hier nur möglich, wenn die Wiederherstellung der Gesundheit völlig ungewiss ist. Das kommt in der Praxis nicht so häufig vor.

Wie ist die Rechtslage bei Suchtproblemen?

Antje Burmester: Der Arbeitgeber muss hier vor einer Kündigung mindestens eine Entziehungskur anbieten und abwarten, ob sich der Mitarbeiter wieder berappelt.

Müssen Kündigungsgründe genannt werden?

Antje Burmester: Taktisch ist es klüger, keine Kündigungsgründe zu nennen, damit man später im Gerichtsprozess aus dem Vollen schöpfen kann.

Welche Faustformel gilt für Abfindungszahlungen vor Gericht?

Antje Burmester: Da gibt es große regionale Unterschiede. In strukturschwachen Regionen beträgt der Faktor 0,23 bis 0,3 multipliziert mit dem Bruttojahresgehalt geteilt durch 12. In Wirtschaftsmetropolen beträgt der Faktor 0,5. In das Bruttojahresgehalt sind alle Gehaltsbestandteile einzurechnen, also auch Nacht- und Erschwerniszuschläge. Der so ermittelte Betrag gilt pro Jahr der Beschäftigung.

Wann kann der Arbeitgeber trotz fehlendem Kündigungsgrund einen Auflösungsantrag stellen?

Antje Burmester: Das ist zum einen bei leitenden Angestellten möglich, wenn sie die Befugnis haben, Mitarbeiter selbständig einzustellen und zu entlassen. Das kann zum Beispiel auch der Filialleiter in einem Kleinbetrieb mit mehreren Außenstellen sein. Einen Auflösungsantrag können Arbeitgeber vor Gericht zudem stellen, wenn ein Mitarbeiter nach der Kündigung im Kollegenkreis pöbelt und den Betriebsfrieden nachhaltig stört .

Alte Arbeitsrechtsmythen

Manche Rechtslegende hält sich hartnäckig. Das gilt auch im Arbeitsrecht, wie nachfolgende Liste exemplarisch zeigt. Falsch ist ...

  • Jeder Arbeitnehmer hat Kündigungsschutz
  • Überstunden müssen immer bezahlt werden
  • Man darf auch mündlich, per Fax oder SMS kündigen
  • Es besteht immer ein Anspruch auf Abfindung
  • Urlaub kann man sich auszahlen lassen
  • Freistellen kann man immer
  • Ein Arbeitsvertrag bedarf der Schriftform
  • In der Krankheitsphase oder während des Urlaubs darf man nicht kündigen
  • Nicht genommener Urlaub wird automatisch ins Folgejahr übertragen
  • Abfindungen werden auf das Arbeitslosengeld angerechnet