Organisation: Raus aus der Multitasking-Falle

Firma, Familie und Freizeit – Chefs wollen alles gleichzeitig schaffen. Doch das Gehirn kann nicht parallel arbeiten, sodass Multitasker oft kläglich scheitern. Wie Sie dennoch Ihre Produktivität ankurbeln.

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    © Jens Nieth
    Michael Porst , Geschäftsführer der Schreinerei Isenberg, kennt die Nachteile des Multitasking.
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    „Der Mensch kann nicht zwei Aufgaben gleichzeitig erledigen, auch wenn er das möchte.“ Manfred Spitzer, ­Hirnforscher an der Universität Ulm.
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    © Chart: handwerk magazin
    Fast zwei Drittel der Mitarbeiter halten das gleichzeitige Erledigen von Arbeiten für einen Stressfaktor.

Raus aus der Multitasking-Falle

P roduktionsfreigaben und Lieferantenverhandlungen, Mitarbeitergespräche und der Umbau seines Privathauses: Michael Porst weiß oft nicht, wo ihm der Kopf steht. Der Mit-Geschäftsführer der Schreinerei Wulf Isenberg im hessischen Twistetal-Berndorf ist zwischen Büro und Baustelle, Smartphone und PC, Telefon und Tablet im Dauereinsatz. Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter, Sohn, Patentochter und Fußballkumpels: Alle wollen etwas von dem 34-Jährigen. „Die Versuchung, möglichst alles auf einmal erledigen zu wollen, wird immer größer“, sagt der gelernte Zentralheizungs- und Lüftungsbauer. Viele seiner Kunden erwarteten nach ihrem Anruf bereits nach vier bis fünf Stunden ein fertiges Angebot mit Preiskalkulation und Zeichnung. „Liefern wir das nicht, sind wir weg vom Fenster“, so der Unternehmer. Dazu komme der Anspruch an sich selbst, „möglichst alles mit links zu schaffen“.

Porst ist nicht allein. Handwerksunternehmer gleichen modernen Tausendsassas in einem Spinnennetz aus Erwartungen. Zwischen Kundenmeetings und Kindergarten, Personalbesprechungen und Papierkram, Schulungen und Schulaufführungen wollen sie alles auf einmal erledigen. Galt Multitasking einst als Frauendomäne, spüren heute verstärkt Männer ihre Verantwortung für Simultanarbeit.

Männer in der Frauenfalle

Eine ganz schlechte Idee, wie Fachleute finden. „Männer sollten nicht in dieselbe Falle tappen wie Frauen“, warnt Corinne Baumgartner, Geschäftsführende Partnerin der Beratungsgesellschaft Conaptis in Zürich. Frauen stressten sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Anspruch, multitaskingfähig zu sein. Und genauso lange scheiterten sie daran. „Multitasking ist ein Kampf gegen Windmühlen“, so die Psychologin. Und den könne geschlechtsunabhängig niemand gewinnen.

Dennoch sehen sich Firmenchefs in Zeiten von zunehmender Arbeitsdichte und steigendem Wettbewerbsdruck einem immer weiter wachsenden Berg von Aufgaben ausgesetzt. Dazu kommen ständige Arbeitsunterbrechungen durch Nachrichten auf Smartphones, Notebooks & Co. Gefühlt agiert man in ständiger Rufbereitschaft. Handwerksunternehmer gehören zur besonders gefährdeten Spezies. „Die Märkte verlangen oft eierlegende Wollmilchsäue“, sagt Professor Gunther Friedl, Leiter des Ludwig Fröhler Instituts in München.

Außerdem gehöre Multitasking zum Selbstbild vieler Handwerker. Das bestätigt auch Rolf Papenfuß, Leiter des Referats Unternehmensführung
des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
(ZDH) in Berlin. „Handwerksunternehmer sind erfahren im Multitasking, denn sie müssen nicht nur ihr Handwerk verstehen, sondern auch Managementaufgaben beherrschen.“ Doch Vorsicht: Auch erfahrene Meister können bei dem Versuch scheitern, alles auf einmal zu erledigen. „Falscher Stolz führt schnell in die Sackgasse – oder in den Burn-out“, warnt Forscher Friedl.

Multitasker machen mehr Fehler

Welche Folgen das ständige Aufgaben-Hopping haben kann, hat jüngst ein Psychologenteam der Universität Leipzig herausgefunden: Multitasker fühlen sich erschöpft, frustriert und überfordert. Die Bearbeitungszeiten für die jeweiligen Aufgaben nehmen zu statt ab, parallel dazu steigt die Anzahl der  Fehler. „Multitasker trainieren sich zudem eine Aufmerksamkeitsstörung an“, warnt Hirnforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm. Psychologieprofessor David Strayer von der Universität Utah wies in einer aktuellen Studie sogar nach, dass just die Menschen, die sich als Multitasking-Profis fühlen, es schlechter beherrschen als bekennende Monotasker, die ihre Aufgaben bewusst nacheinander erledigen.

Trotz der Expertenwarnungen hat sich die Synchronarbeit längst in den Alltag eingeschlichen. Wie der „Stressreport Deutschland 2012“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt,  müssen bereits 58 Prozent aller Mitarbeiter verschiedenartige Aufgaben gleichzeitig betreuen (siehe Chart Seite 35). In Firmen, die eine Restrukturierung durchlaufen haben, sind es sogar 68 Prozent.

In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und berufliche Belange die Arbeitnehmer übers Smartphone rund um die Uhr verfolgen, verwundert der gefühlte Synchronarbeits-Stress nicht wirklich. Da Schreinermeister Michael Porst die Gefahren der Multitasking-Welt kennt, hatte er gute Vorsätze. Schön diszipliniert wollte er nur dreimal am Tag seine Mails checken.

„Einige meiner Kollegen schaffen das“, sagt Porst. Doch bei ihm selber wurde daraus nichts. „Spätestens seit mich die Mails auch per iPhone, iPad und Notebook überall erreichen, öffne ich sie immer sofort.“ Es könnte ja etwas Wichtiges sein. Dabei weiß auch Porst: Nicht jedes Piepsen bedeutet einen Notfall. Im Tagesgeschäft ist man eben manchmal einfach nur für eine Ablenkung dankbar.

Platz für Entspannung bieten

Wie in jedem Betrieb gibt es davon genug – nicht nur für Chefs, auch für ihre Mitarbeiter. Porsts Verwaltungsangestellte etwa müssen an drei Monitoren zwischen diversen Aufgaben hin- und herswitchen. „Multitasking verlangt niemand“, stellt der Chef klar, „dafür aber geistige Flexibilität, Eigenmotivation und Organisationstalent.“ Wer diese Talente mitbringt, könne sich die Aufgaben so einteilen, dass er sie nach seinem eigenen System bearbeitet.

Ein guter Ansatz, wie Fachleute finden. „Kluge Chefs geben die tägliche Aufgabenflut nicht ungefiltert an ihre Mitarbeiter weiter“, sagt etwa ZDH-Experte Papenfuß. Die bessere Strategie: Mitarbeiter für die steigenden Anforderungen fit machen und zugleich genug Raum für Entspannung bieten. Den rund 33 Mitarbeitern in der Schreinerei Wulf Isenberg zum Beispiel stehen verschiedene Entspannungsmöglichkeiten zur Verfügung – ein Ruheraum, fünf (!) Teeküchen und außerdem viele Spielgeräte wie Tischkicker, Dartscheiben oder ein Basketballkorb. Außerdem achtet Porst darauf, dass das Lob für gute Leistungen in dem ganzen Stress nicht untergeht. „Wenn man acht Vorgänge gleichzeitig auf dem Schirm hat, bleibt oft wenig Zeit zum Freuen“, so Porst. Um das Arbeitstempo etwas zu entschleunigen, trifft sich das Team ein- bis zweimal pro Woche nach Feierabend zu einem kleinen Umtrunk.

Um die private Aufgabenfülle zu bewältigen, hat sich der Familienvater auch etwas einfallen lassen. Die Treffen mit seinem 13-jährigen Sohn aus einer früheren Beziehung verbringt er im Fitnessstudio – und zwar dreimal pro Woche. Porst schmunzelt: „So tue ich gleichzeitig etwas für Bauch und Familie.“ Immerhin ein kleiner Erfolg in Sachen Multitasking.