Neuer Tarifdschungel

Gesundheitsreform | Seit 1. April bieten die Kassen neue Wahl-tarife an. Gesunde mit gutem Einkommen können mehrere Hundert Euro sparen. Doch die Auswahl des richtigen Tarifs fällt schwer.

Neuer Tarifdschungel

Es wird diskutiert und spekuliert. Die ersten Neuerungen der Gesundheitsreform sind zum 1. April in Kraft getreten, die letzten sollen bis 2009 realisiert werden. Doch mancher Experte zweifelt daran, dass alles wie beschlossen kommt. Zum Beispiel will die Regierung Ende 2008 einen einheitlichen Beitragssatz für die gesetzlichen Krankenkassen bekannt geben. Er könnte sich zum Sprengstoff im Wahlkampf entwickeln. Grund: Es ist eher unwahrscheinlich, dass er unter 15 Prozent liegt.

Auch der geplante Gesundheitsfonds ist umstritten. Rolf Stuppardt, Vorstandsvorsitzender des IKK-Bundesverbandes in Bergisch-Gladbach, erklärt: „Durch den Gesundheitsfonds und den Einheitsbeitragssatz werden viele Probleme geschaffen.“ Hans-Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, hält es daher für wahrscheinlich, dass „Änderungen an der Reform folgen werden“.

Fakt ist, dass die Gesundheitsreform die Kassenlandschaft seit April durch neue Wahltarife aufmischt. Die DAK bietet 15 verschiedene Tarifvarianten an. Bisher standen solche Angebote nur den freiwillig Versicherten offen, Selbständigen und Arbeitnehmern mit einem Einkommen über 47700 Euro im Jahr. Jetzt können alle gesetzlich Versicherten wählen.

Beispiel Barmer: Sie hat 18 Wahltarife im Angebot. „Wir haben bei unserer Palette sehr sorgfältig darauf geachtet, dass sich für jeden Versicherten Bonus- und Einsparoptionen bieten. Weil ein Chroniker keinen Tarif zur Beitragsrückerstattung braucht, umgekehrt der kerngesunde Mittdreißiger aber keinen Bonus aus dem Chronikerprogramm, sind unsere Tarife so vielfältig“, erklärt Holger Langkutsch, Verwaltungsvorsitzender der Kasse. Für alle Mitglieder gibt es den Tarif F100. Die Prämie beträgt 100 Euro im Jahr, wenn der Versicherte einen maximalen Selbstbehalt von 150 Euro trägt. Oder Tarif F200: Der Patient erhält 100 Euro Prämie plus einen Zusatz von 100 Euro, wenn er bis zu 150 Euro seiner Kosten selbst trägt und sich gesundheitsbewusst verhält.

Die DAK bietet neue Selbstbehalt-Tarife mit verschiedenen Geld- und Sachprämien bis zu 550 Euro im Jahr an. Dazu kommen weitere Individualtarife, die daran gekoppelt sind, dass der Versicherte an medizinischen Versorgungsformen (nur mit Überweisung vom Hausarzt zum Spezialisten) teilnimmt. Es locken Geld- und Sachprämien bis zu 140 Euro im Jahr. Freiwillig Versicherten bietet die DAK eine Rückerstattung von 300 Euro, wenn sie ein Jahr lang nicht zum Arzt gehen, im Folgejahr gibt es 420 Euro und im dritten sogar 540 Euro.

Die Beispiele zeigen: Die Auswahl des richtigen Tarifs wird für die Versicherten schwierig. Die Kassen empfehlen daher, sich in der Geschäftsstelle zuerst beraten zu lassen, weil viele Angebote den Versicherten für drei Jahre binden. Selbst ein Wechsel der Kasse ist dann ausgeschlossen – sogar wenn diese die Beiträge erhöht oder ab 2009 eine Zusatzprämie fällig wird.

Die Leistungen der gesetzlichen Kassen bleiben nach der Reform zu 95 Prozent gleich. Das ist die logische Folge des Solidarsystems. Die Bundesregierung bekundet, dass dies die „erste Gesundheitsreform ist, durch die keine Zuzahlungen erhöht oder Leistungsbereiche ausgeschlossen werden“. Einschränkungen ergeben sich trotzdem. Ein Überblick.

Schönheit: Wer nach einer Schönheitsoperation oder einem Piercing beziehungsweise einer Tätowierung eine Entzündung bekommt, kann von der Kasse an den Kosten beteiligt werden. Rolf Stuppardt kritisiert: „Fraglich ist aber, wann und nach welchen Kriterien eine angemessene Beteiligung erfolgen soll.“

Chroniker: Künftig müssen jüngere chronisch Kranke zwei Prozent Zuzahlung leisten, wenn sie sich nicht therapiegerecht verhalten. Ansonsten bleibt die Grenze bei einem Prozent vom Jahresbruttoeinkommen.

Selbständige: Wer als Unternehmer oder Selbständiger bisher auf jeglichen Krankenschutz verzichtet hat, muss einen Vertrag abschließen. Es gilt zu unterscheiden: Seit 1. April besteht bei den gesetzlichen Kassen Versicherungspflicht. Heißt: Falls der Unternehmer vor seinem Austritt Mitglied des gesetzlichen Sys-tems war, hat er Anspruch auf den Schutz seiner alten Kasse. Wichtig: Wer ohne Absicherung bleibt, muss nicht gezahlte Beiträge ab Versicherungspflicht (1. April 2007) nachüberweisen. Fünf Prozent Säumniszuschlag darf die Kasse erheben. Wer die Beiträge nicht aufbringen kann, erhält einen Zuschuss vom Staat. Positiv: Der Mindestbeitrag für Selbständige ist zum 1. April gesunken. Bislang gingen die Kassen von 1837,50 Euro monatlichem Mindesteinkommen als Bemessungsgrundlage aus. Wer weniger hatte, konnte seinen Beitrag nicht reduzieren. Jetzt sind es nur noch 1225 Euro, multipliziert mit dem Kassensatz ergibt sich der Monatsbeitrag.

Ehemals privat Versicherte können dann ab 1. Juli den Standardtarif bei einer Gesellschaft wählen. Der Standardtarif bietet die Leistungen der gesetzlichen Kassen. Der Beitrag darf nicht höher sein als der maximale Beitrag bei einer Gesetzlichen mit einem durchschnittlichen Beitragssatz. Ab 2009 muss jeder Bürger, also auch Privatpatienten, einen Versicherungsschutz vorweisen. Ab dann wird der Standardtarif zum sogenannten Basistarif. Die Einzelheiten dazu werden derzeit noch in den Gremien diskutiert.

Sicher ist: Die Beiträge werden nach Alter und Geschlecht variieren. Maximal wird er bei etwa 500 Euro monatlich liegen, so schätzen Experten. Für junge und gesunde privat versicherte Handwerksunternehmer wird vermutlich ein Tarif mit hoher Selbstbeteiligung und reduzierten Leistungen (kein Chefarzt, nur Zweibettzimmer) gegenüber dem neuen Basistarif die bessere Variante sein. Vorerkrankungen spielen beim Basistarif keine Rolle. Die Gesellschaften haben schon gegen den Basistarif protestiert. Sie schätzen, dass die Beiträge für alle Privatpatienten im Schnitt um zehn Prozent steigen werden. Grund ist, dass die Versicherungen jeden in den Basistarif aufnehmen müssen und bei Vorerkrankungen keinen Zuschlag verlangen dürfen. Der Knackpunkt für die Prämienentwicklung wird sein, wie viele den Tarif dann nutzen.

Monika Leu

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de