Internationale Handwerksmesse 2020 Nachhaltigkeit: Gemeinsamer Einsatz für Betrieb, Umwelt und Gesellschaft

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Internationale Handwerksmesse und Nachhaltigkeit

Soziale Verantwortung, Umweltbewusstsein und nachhaltiges Wirtschaften sind allesamt Teil des Konzepts Nachhaltigkeit – und prägen als traditionelle Unternehmerwerte seit eh und je das Handwerk. Trotzdem lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen: Wie nachhaltig wirtschaftet der eigene Betrieb wirklich?

Timothy C. Vincent
Steinmetz Timothy C. Vincent stellt sich immer folgende Fragen: Wo kommt mein Arbeitsmaterial her? Unter welchen Bedingungen wurde es gewonnen? Und wie kann ich es am besten nutzen? - © Timothy C. Vincent

Bis das Material beim Handwerker ankommt, ist es schon durch viele Hände gegangen. Stein zum Beispiel wird im Steinbruch gewonnen, dann sortiert, bearbeitet, an Zwischenhändler verkauft und dann erst kommt es zu Steinmetzen wie Timothy C. Vincent . Er hat einen Betrieb in der Stadt Wetter im Ruhrgebiet und achtet bei seinem Einkauf auf die Wertschöpfungskette. Für ihn ist wichtig: Wo kommt mein Arbeitsmaterial her? Unter welchen Bedingungen wurde es gewonnen? Und wie kann ich es am besten nutzen?

Kunden fordern Nachhaltigkeit – auch im Handwerk

Solche Fragen werden für Handwerker immer wichtiger. Denn viele Kunden wollen immer nachhaltiger leben und einkaufen. 57 Prozent der Menschen in Deutschland interessieren sich stark für Nachhaltigkeit, zeigt eine Online-Umfrage des Unternehmens M-Group. Von den mehr als 1500 Befragten gaben 33 Prozent an, dass es ihnen sehr wichtig ist, Abfall zu vermeiden, 30 Prozent wollen verstärkt auf Plastik verzichten und für 25 Prozent sind regionale Produkte besonders wichtig.

Wer sich als Handwerksbetrieb also eine Marke als nachhaltiges Unternehmen aufbauen kann und aktiv damit wirbt, kann sich damit eine neue Kundengruppe sichern, ohne dabei etablierte Kunden zu vergraulen. Handwerker kommen in Zukunft also nicht am Thema Nachhaltigkeit vorbei und müssen sich auf neue Anforderungen der Kundschaft einstellen. Wie das funktionieren kann, zeigen Handwerker und Nachhaltigkeits-Initiativen auch auf der Internationalen Handwerksmesse .

Grundlegend gilt: Wer sich einen Ruf als nachhaltiger Handwerker aufbauen möchte, der muss sich mit drei Themenschwerpunkten auseinandersetzen. Ökologie, Ökonomie und Soziales .

Viele Handwerker setzen bereits heute einzelne Nachhaltigkeitsziele um, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind oder nicht gezielt damit werben. Für die meisten Unternehmer ist diese Verantwortung einfach eine Selbstverständlichkeit.

Denn Handwerker

  • bieten Arbeitsplätze in der Region
  • geben Wissen an die nächste Generation weiter
  • unterstützen die regionale Wirtschaft
  • erschaffen Unikate
  • reparieren und recyclen
  • prägen das Gesamtbild einer Region

Auch Hans-Peter Wollseifer, der Präsidentdes Zentralverbandsdes Deutschen Handwerks, teilt diese Ansicht: „Nachhaltigkeit liegt in der DNAdes Handwerks.“  

Dennoch gibt es noch viel Luft nach oben. Handwerker sollten sich nicht auf ihrem Ruf als verantwortungsbewusste Unternehmer ausruhen, findet Steinbildhauer und Nachhaltigkeits-Aktivist Vincent: „Viele schreiben dem Baugewerbe per se einen nachhaltigen Charakter zu, weil sie zum Beispiel Gebäude dämmen. Wenn ich das aber mit Styropor mache, fördere ich damit nur die Produktion von späterem Sondermüll.“

Das Beispiel zeigt: Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema. Besonders im Baugewerk sind die Auftragsbücher voll. Da hat kaum einer Zeit, zu hinterfragen, wo Ziegel und Zement herkommen und ob die Produktion so richtig nachhaltig war. Dementsprechend schlummert ein großes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit in Handwerksbetrieben .

Um sich einen ersten Überblick darüber zu verschaffen, wie es um die Nachhaltigkeit im eigenen Betrieb steht, sollten sich Handwerker zunächst mit den drei Grundpfeilern beschäftigen und Schwachpunkte ausfindig machen:

Nachhaltige Ressourcen

Wer nachhaltig arbeitet, der schont seine Umwelt. Handwerker sollten darum beim Einkauf darauf achten, wo ihre Materialen herkommen und wie diese später einmal entsorgt werden können. Das ist auch für Steinbildhauer Vincent sehr wichtig. Er hat darum den Verein „Handwerk mit Verantwortung“ gegründet, der mehr Austausch unter Handwerkern ermöglichen soll. Auf Kundenseite will Vincent den Verein als Marke etablieren und Auftraggebern und Käufern so eine Orientierungshilfe bei der Suche nach nachhaltigen Produkten und Leistungen sein. Wer Mitglied in seinem Verein ist, der muss zum Beispiel genau aufschlüsseln können, woher die eingesetzten Materialen kommen. Nur so können Handwerker überhaupt erkennen, ob sie nachhaltige Ressourcen verwenden oder nicht.

Derzeit neigen viele Unternehmer beim Einkauf zu einem Trugschluss: „Nur weil ein Handwerker bei einem regionalen Zwischenhändler einkauft, heißt das noch lange nicht, dass das Material ebenfalls aus der Nähe stammt“, erklärt Vincent. Wenn er Stein einkauft, erfragt er beim Zwischenhändler, wo dieser herkommt. „Oft kommt das Material aus Fernost, obwohl wir so viel Stein in Europa zur Verfügung haben.“ Der Import aus weit entfernten Regionen produziert viel CO².

„ Handwerker, die wissen, von wo ihre Materialen kommen, beweisen nicht nur fachliche Expertise und Umweltbewusstsein, sondern geben dem Kunden auch ein gutes Kaufgefühl“

Wer nachhaltig wirtschaften will, muss sich also mit der kompletten Wertschöpfungskette seines Produkts beschäftigen. Und auch wenn dieses Wissen in manchen Fällen schwer zu erlangen ist, zahlt es sich doppelt aus: „ Handwerker, die wissen, von wo ihre Materialen kommen, beweisen nicht nur fachliche Expertise und Umweltbewusstsein, sondern geben dem Kunden auch ein gutes Kaufgefühl“, sagt Steinmetz Vincent.

Soziale Fairness

Zur eigenen Umwelt gehören nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch die Gesellschaft. Handwerker beeinflussen mit ihrer Arbeit maßgeblich ihre Region. Viele Betriebe engagieren sich stark lokal, sponsern zum Beispiel Vereine oder unterstützen Schulen und Kindergärten. Doch Nachhaltigkeit beginnt im Betrieb, und zwar bei den eigenen Mitarbeitern.

Wer sein Personal sozial verantwortlich führt, für den sind folgende Punkte grundlegend:

  • Alle Mitarbeiter werden gleichbehandelt, keiner wird benachteiligt
  • Die Arbeit ist langfristig sowohl physisch als auch psychisch zumutbar
  • Unternehmer fördern persönliche Stärken
  • Es gilt ein hoher Standard für Arbeitssicherheit
  • Der Betrieb kümmert sich um die Gesundheit der Mitarbeiter und unterstützt diese soweit möglich
  • Die Mitarbeiter haben eine gute Work-Life-Balance
  • Den Mitarbeitern stehen verschiedene Weiterbildungen zur Verfügung

Einige dieser Punkte mögen den ein oder anderen Handwerker vor die große Frage stellen: „Und wie mache ich das?“ Besonders bei kleinen Betrieben reicht es in vielen Fällen, einfach Offenheit gegenüber den Mitarbeitern zu signalisieren. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter nun das Kind früher von der Kita abholen muss, können sich Chef und Mitarbeiter zusammensetzen und ein neues Arbeitszeitmodell vereinbaren. Wenn ein Mitarbeiter anfragt, ob er zu einer Schulung gehen kann, sollten Unternehmer nicht direkt Nein sagen, weil sie das volle Auftragsbuch im Blick haben. Besser ist es, mit dem Mitarbeiter einen passenden Termin auszuwählen und zu überlegen, wie die Schulungsinhalte die eigene Arbeit verbessern können.

Der faire und wertschätzende Umgang miteinander schafft einen nachhaltig positiven Eindruck und steigert die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Und je glücklicher die eigenen Mitarbeiter sind, desto besser ist der Rufdes eigenen Betriebs in der Region.

So macht das auch Steinbildhauer Vincent: „Wir setzen uns jeden Tag im Team zusammen und besprechen auf Augenhöhe, was es zu tun gibt und wie wir das angehen. Da gibt es kein Gefälle zwischen Chef, Mitarbeiter und Azubi.“ Auch private Interessen kommen dabei nicht zur kurz. Die Auszubildende seines Betriebs wollte zum Beispiel zur Fridays-for-Future-Demo . Als nachhaltiger Handwerker hat Vincent nicht lange überlegt und ihr für diesen Tag frei gegeben – ohne im Gegenzug einen Urlaubstag abzuziehen. Gesten wie diese machen ihn zu einem guten Arbeitgeber, findet Vincent. „Seit mein Betrieb existiert, habe ich keine Nachwuchsprobleme. Im Gegenteil: Zuletzt musste ich drei Bewerbern für eine Azubistelle absagen“, erzählt der Steinbildhauer.

Nachhaltige Finanzen

Handwerker geben ihr Geschäft meist an die nächste Generation weiter und tragen damit bereits einen großen Teil zur nachhaltigen Entwicklung der regionalen Wirtschaft bei. Zusätzlich bieten sie langfristige Arbeitsplätze. Was Unternehmer zusätzlich beachten sollten, sind Einsparpotenziale . Denn auch wenn vielen die Umstellung auf nachhaltigere Materialen oder flexiblere Personalstrukturen wie ein großer Berg Arbeit vorkommen, zahlt sich das Investment in vielen Fällen aus. Denn zufriedene Mitarbeiter sind produktiver, wie eine repräsentative Umfragedes Marktforschungsunternehmens Appinio zeigt. Dort gaben 55 Prozent an, dass schlechtes Management sie am produktiven Arbeiten hindert. Häufige Probleme dabei sind ein Mangel an offener Kommunikation, keine klar definierten Ziele oder Überforderung.

Hilfe auf dem Weg zum nachhaltigen Handwerksbetrieb

Damit Unternehmer einfacher erkennen, wo ihre Stärken beim Thema Nachhaltigkeit liegen und wo sie nachbessern können, arbeitet die Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) derzeit an einer digitalen Lösung – dem Nachhaltigkeits-Navigator . Künftig sollen Unternehmer auf der Webseite einen umfangreichen und gewerkeübergreifenden Fragebogen ausfüllen. Die Checkliste zeigt den Handwerkern dann, wo noch Luft nach oben ist, und was ihre Stärken sind, die sie dann zum Beispiel aktiv bewerben können.

Wer sich seine Nachhaltigkeit zusätzlich durch ein Siegel bestätigen lassen will, der erhält ebenfalls Unterstützung von der ZWH. Denn was für große Unternehmen heute bereits Pflicht ist, ist für kleine und mittelständische eher eine Kür. „Wer sich nicht mit den passenden Formulierungen auskennt und weiß worauf es ankommt, tut sich schwer beim Aufsetzen eines Nachhaltigkeitsberichts“, sagt Christine Avenarius. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der ZWH und begleitet das Projekt „Nachhaltiges Handwerk“ – oder auch „Handwerk hoch N“ genannt. Dieser Bericht ist zwingend erforderlich, wenn Unternehmer zum Beispiel das Siegeldes Deutschen Nachhaltigkeitskodex tragen und damit werben wollen. „Wir wollen mit dem Nachhaltigkeits-Navigator Handwerkern unter die Arme greifen und so den Zugang zum Siegeldes Deutschen Nachhaltigkeitskodex ermöglichen“, sagt Avenarius.

Die ZWH versucht darum in den Nachhaltigkeits-Navigator eine Möglichkeit einzubauen, mit der auch kleinere Unternehmen künftig ohne allzu großen Aufwand Nachhaltigkeitsberichte erstellen können. Das Programm soll dann auf Basisdes beantworteten Fragebogens fertige Textbausteine für einen Nachhaltigkeitsbericht zusammensetzen. Handwerker können diese dann individuell auf ihren Betrieb zuschneiden. Ein Siegel wie dieses kann ein positives Signal an Kunden sein und zeigen, dass der Betrieb sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt hat.