Mit Gefühl zu neuen Aufträgen

Seniorenmarketing | Obwohl die Generation der 50- bis 60-Jährigen rasant wächst, wird diese Kundengruppe oft sträflich vernachlässigt. Für Sie die perfekte Chance, mit etwas Fingerspitzengefühl lukrative Kunden zu gewinnen.

Mit Gefühl zu neuen Aufträgen

Treu und anspruchsvoll – diese Eigenschaften hat Metzgermeister Stefan Scholl schon immer bei seiner älteren Kundschaft geschätzt. Im vergangenen Jahr wurde ihm das zunächst auf ganz neue Weise bewusst. „Ich habe beobachtet, dass nach und nach mehrere langjährige Stammkunden ausblieben. Weil meine Mitarbeiter und ich uns das nicht erklären konnten, rief ich die Leute an und fragte nach den Gründen“, berichtet der Inhaber der Metzgerei Wilhelm Scholl im siegerländischen Neunkirchen-Zeppenfeld.

Dabei stellte sich heraus: Die Kunden waren keineswegs unzufrieden mit den Produkten oder der Bedienung des 1929 gegründeten Familienbetriebes, „sie kamen einfach aus Altersgründen nicht mehr zu uns ins Geschäft“, fasst der 38-Jährige das Resultat der Befragung zusammen: „Die einen konnten oder wollten nicht mehr Auto fahren, die meisten keine schweren Einkaufstaschen mehr tragen, fast alle klagten über Gehprobleme oder andere gesundheitliche Einschränkungen.“ Aus diesen Zwängen heraus waren die Senioren notgedrungen auf näher gelegene Geschäfte umgestiegen oder ließen sich Fleisch- und Wurstwaren von Angehörigen oder Bekannten mitbringen, die woanders einkauften.

Die kleine Telefonumfrage war die Geburtsstunde des Seniorenservices der Metzgerei Scholl. „Ich bot allen Angerufenen an, die gewünschten Waren künftig jeden Freitag oder Samstag frei Haus zu liefern; die Bestellungen können bis zum vorhergehenden Tag telefonisch aufgegeben werden. Seitdem sind die allermeisten wieder treue Kunden in unserem Geschäft“, freut sich der Handwerksmeister.

„Es lohnt sich, um die Senioren zu kämpfen“, bekräftigt Gundolf Meyer-Hentschel. Bereits seit 1985 untersucht der Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam mit seiner Frau Hanne in einem eigens gegründeten Institut die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels. Ihre Arbeit sei großenteils noch immer ein Kampf gegen Vorurteile, verrät der Altersforscher. So halte sich bei Unternehmern und Werbeprofis weiterhin hartnäckig die Ansicht, ältere Menschen würden kein Geld mehr ausgeben, kämen aufgrund ihres Alters als langfristig attraktive Zielgruppe kaum in Betracht und rechtfertigten deshalb keine besonderen Marketinganstrengungen.

Das Geld sitzt oft locker

„Alle drei Annahmen sind grundfalsch“, versichert Meyer-Hentschel: „Die über 55-Jährigen besitzen rund die Hälfte des Geldvermögens und haben weitaus mehr zur freien Verfügung als die vielumworbenen jungen Familien. Sie sind die Kundengruppe, die in den nächsten Jahren am stärksten wachsen wird. Und dank der gestiegenen Lebenserwartung kann ein 60-jähriger Neukunde einer Firma heute durchschnittlich noch fast 20 Jahre als Käufer erhalten bleiben.“ Bei jüngeren Kunden, die wechselbereiter sind, häufiger umziehen und sich des Öfteren auf veränderte berufliche oder familiäre Situationen einstellen müssten, sei eine so langfristige Kundenbeziehung bedeutend unwahrscheinlicher.

Unterschätzt werde auch die Konsumbereitschaft der Senioren: „Ältere Menschen geben gern Geld aus“, weiß Gundolf Meyer-Hentschel aus zahlreichen Studien, „allerdings verändern sich ihre Ansprüche. Und die zu erkennen fällt jüngeren nicht immer leicht.“

Mit seinem „Age Explorer“ bietet das Saarbrücker Meyer-Hentschel-Institut seit 1994 insbesondere Unternehmern, Produktentwicklern und Kundendienstmitarbeitern eine Möglichkeit, sich in die Situation älterer Menschen hineinzuversetzen. Der an einen Astronautenanzug erinnernde Alterssimulator macht Einschränkungen von Seh- und Hörvermögen, von Kraft und Beweglichkeit im höheren Alter erlebbar.

„Gerade Bauhandwerkern bietet die Zielgruppe 55plus besondere Umsatzpotenziale“, bekräftigt Andreas Reidl, Inhaber der Nürnberger Agentur für Generationen-Marketing (A.GE). So wohne über die Hälfte der Senioren in den eigenen vier Wänden. Eine Quote, die weit über der anderer Altersgruppen liegt. „Die Bereitschaft, hier zu investieren, ist ebenfalls überdurchschnittlich. Zudem ist dabei statt Selbermachen Profi-Arbeit gefragt“, weiß Reidl.

Komfort ist keine Altersfrage

Vor diesem Hintergrund rief A.GE mit Partnern wie Villeroy & Boch und der Postbank die Zukunftsinitiative „Wohnen im Bestand“ ins Leben. Diese will laut Reidl die Bedürfnisse gezielt aufgreifen und „zeigen, wie die eigenen vier Wände so umgestaltet werden können, dass sie auch bis ins hohe Alter ein ansprechendes Zuhause bieten können“.

Dabei gilt fast immer: „Was Älteren hilft, steigert auch den Wohnkomfort für Jüngere“, wie Elektrikermeister Jochen Grüning aus Eschwege betont: „Der Bewegungsschalter fürs Treppenhauslicht oder die bodengleiche Dusche möchten auch die weniger betagten Mitbewohner nicht mehr missen“. Dies sei gerade für jüngere Senioren (unter 60) ein wichtiges Kaufargument, „denn die wenigsten gestehen sich altersbedingte Schwächen ein“, verriet der 44-Jährige bei einem Seminar im Rahmen des Projektes „50plus“ der Handwerkskammer Kassel.

Auch ließen sich Senioren nicht ohne weiteres für neue Produkte begeistern: „Am überzeugendsten wirkt, was die Kunden selbst ausprobieren können“, erklärte er.

Bei der Werbung mit Begriffen wie etwa „Senioren“, „Best Ager“ oder Ähnlichem rät er zur Vorsicht: „Selbst 70-Jährige fühlen sich dadurch oftmals nicht angesprochen.“ Erst wenn die altersbedingten Beschwerden nicht mehr zu ignorieren seien, setze eine Identifikation mit diesen Begriffen ein.

„Dann wird eine entsprechende Werbung jedoch sehr positiv aufgenommen“, hat Stefan Scholl festgestellt. Sein „Senioren-Service“ hat sich in und um Neunkirchen-Zeppenfeld schnell herumgesprochen.

Wenig Aufwand, viel Nutzen

Pro Woche gehen heute durchschnittlich 50 Bestellungen ein, zum Durchschnittswert von etwa 30 Euro: „Durch die Kooperation mit einem Bäcker liefern wir inzwischen auch Backwaren und Milch. Damit haben wir sogar viele neue Kunden gewonnen“, freut sich der Chef. Der Mehraufwand für den Service hält sich nach seiner Aussage zudem in Grenzen: „Unsere Autos sind ja ohnehin ständig unterwegs.“ K

Frank Pollack

kerstin.meier@handwerk-magazin.de