Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Konjunkturpaket – eine Steuersenkung, die bürokratische Vollbeschäftigung auslösen wird

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Coronavirus und Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Erkennt die Politik mit der kurzfristigen Senkung der Mehrwertsteuer endlich die selbst auferlegten Fesseln der Bürokratie? Oder verharrt sie darin, es gut zu meinen, aber die Folgen in der Praxis einfach auf die Schreibtische der anderen zu verlagern? Unsere Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, hat sich mit der aktuellen Wirtschaftslage in der neuen Folge von „Neues von der Werkbank“ genauer befasst.

Ruth Baumann, Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg
Die studierte Politologin und Handwerksunternehmerin Ruth Baumann vertritt seit 2008 als Präsidentin die Unternehmerfrauen im Handwerk in Baden-Württemberg (ufh). - © Antoinette Steinmüller Fotostudio

Fakt ist: Der Wirtschaftsmotor mit seinen Arbeitsplätzen soll stimuliertwerden. Dieses Vorhaben ist redlich, verständlich und nach Corona auch sicher nötig. Die Frage ist nur nach dem Wie? Die in Aussicht gestellte Mehrwertsteuersenkun g im Rahmen des von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturprogramms ist sicherlich ein richtiger Ansatz, der gleichzeitig aber auch Fragen aufwirft. Wie soll diese also in der Kürze der Zeit ordnungsgemäß umgesetzt werden und kommt sie dann überhaupt noch beim Endverbraucher an?

Wie groß ist das Vertrauen in die Konjunktur?

Der Wahrheitsgehalt dieser Fragen mag schmerzen, aber vielleicht helfen sie auch, das angestrebte Ziel zu erreichen. Bei hochpreisigen Konsum- und Investitionsgütern können 3 % Steuerersparnis beim Kunden vielleicht den Geldbeutel für einen schönen LED-Großbildschirm, ein neues Auto oder gar ein geschmackvoll eingerichtetes Badezimmer etwas lockern. Viele haben jedoch derzeit Angst um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes und so wird erst die Zukunft zeigen, wie groß das Vertrauen in die Konjunktur wirklich ist bzw. das eventuell gesparte Geld die Kauflust steigert. Ebenso gehen in den Betrieben erste Anrufe ein, die die Rechnung für bereits beauftragte Arbeiten erst ab Juli wünschen. Menschlich verständlich, steuerrechtlich falsch.

Eine Umstellung, die nicht mal eben so funktioniert

Der Mehrwertsteuerimpuls soll die Wirtschaft ankurbeln, nur leider, so schön es sich für den Steuerzahler anhören mag, so einfach ist es nicht. Glaubt jemand allen Ernstes, dass in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli sämtliche elektronischen Aufzeichnungssysteme mit Kassenfunktion und zertifizierter technischer Sicherheitseinrichtung bundesweit mal eben schnell auf 16 % Mehrwertsteuer umgestellt werden können? Wohlgemerkt, wir reden von jeder Kasse bundesweit. Ist man der Meinung, dass sämtliche Speisekarten der so gebeutelten Gastronomie für sechs Monate mit geändertem Umsatzsteuersatz kurzerhand neu gedruckt werden? Hat jemand die Hoffnung, dass alle bepre isten Waren im Einzelhandel (es gibt noch Betriebe, die etikettieren) über Nacht geändert werden, um es dann nach sechs Monaten erneut zu tun? Sollte man schon heute nach alten Quittungen und Rechnungsformularen schauen, die vielleicht noch den - einst überholten und nun wieder aktuellen - Steuersatz aufweisen?

Jeder, der eine Steuerumstellung im Betrieb bereits erlebt hat, weiß, welche Fußangeln sich in der Praxis ergeben können. Und ob das geänderte Formular für die Umsatzsteuermeldung überhaupt seitens der Behörden rechtzeitig zur Verfügung steht, darf bezweifeltwerden. In der Buchhaltung sind sämtliche Erlös- und Aufwandskonten doppelt (mit unterschiedlichen Steuersätzen) zu führen, da diese ja unterjährig zweimal gewechseltwerden. Aufträge mit Abschlagszahlungen stimulieren buchhalterische Exzesse. Wo bleibt da der Aufschrei des Normenkontrollrats? Vielleicht gab es ihn, aber er verhallte ungehört im Blätterwald der Bons.

Willkommen im wahren Leben!

Die von der Politik gewünschte Stimulierung der Wirtschaft droht an den selbst gestalteten bürokratischen Finessen zu scheitern. Jetzt wird man merken, dass man nicht mal eben schnell Dinge, so gut sie auch gemeint sind, umsetzen kann. Willkommen im wahren Leben! Und es wird wahrscheinlich auch Unternehmen geben, die die geplante Steuersenkung eher als „Schmerzensgeld“ für die vergangenen Wochen, denn als Kostensenker sehen werden.

Wie wäre es mit Alternativen?

Was könnte man also tun? Für eine kurzfr istige Steuersenkung im minimalen Bereich stehen Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis. Das ist reine Oberflächenkosmetik oder Klatschen auf dem Balkon. Wer ernsthaft die Konjunktur beatmen will, weiß, dass es mit sechs Monaten nicht getan ist. Eine dauerhafte Reduzierung der Mehrwertsteuer von Strom auf 7 % wäre zielführender: es betrifft alle, ist bei der Digitalisierung nötig und zeigt zudem, dass der Staat nicht am Verbrauch von Energie Geld verdienen will. Dazu ergänzend eine (verlässliche) Senkung der Lohn- bzw. Einkommensteuer, damit mehr Netto vom Brutto bleibt. Möglichkeiten zur schnellen und unbürokratischen Steuersenkung gibt es angesichts der Vielzahl von Steuern in Hülle und Fülle. Wirtschaftsmotor und Wirtschaftsstandort brauchen dringend Entlastung. Nur in der angedachten Weise könnten sie durch Bürokratie erstickt werden oder als Strohfeuer enden. Die Zielrichtung stimmt, die Umsetzung sollte jedoch (schnell) nachgebessert werden.

Langfr istige Coronavirus -Folgen brauchen langfr istige Wirtschaftspolitik, dann läuft der Motor, stottert nicht und sorgt für Arbeitsplätze und Steueraufkommen.