Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Planlos in die Planwirtschaft – darum ist der Mittelstand "mütend"

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Coronavirus und Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Änderungen unserer Sprache spiegeln oft die Realität wider, beispielsweise als ein Hilferuf aus der Mitte unserer Gesellschaft. Der neue Begriff "mütend" ist einer dieser Fälle, findet unsere Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg. Mehr dazu lesen Sie in einer neuen Folge "Neues von der Werkbank".

Ruth Baumann, Landesvorsitzende ufh Baden-Württemberg
Die studierte Politologin und Handwerksunternehmerin Ruth Baumann vertritt seit 2008 als Präsidentin die Unternehmerfrauen im Handwerk in Baden-Württemberg (ufh). - © Antoinette Steinmüller Fotostudio

Viele Mittelständler sind in diesen Tagen „mütend“, ein Mischwort aus müde und wütend, ob der aktuellen Zustände. Es gibt Gewerke, wie beispielsweise die Nahrungsmittelbranche, die bedingt durch die Pandemie eine erhöhte Nachfrage erfahren. Doch mit der Freude über die Wertschätzung geht auch das Erreichen des Leistbaren einher. Sicher, das ist Jammern auf hohem Niveau, aber gehört nun mal zur Wahrheit dazu. Es darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele auch um die nackte Existenz, also das Überleben des eigenen Betriebes fürchten. Die Hilferufe der Gastronomie, Hotellerie und auch des Einzelhandels sind immer verzweifelter. Was bei mir aus beiden Positionen aufschlägt, ist, dass man „mütend“ ist.

Bestandsaufnahme: stürmische Zeiten

Nach über einem Jahr mit Corona stoßen die Kräfte und die Geduld allmählich an ihre Grenzen. Zunächst war es das Warten auf einen Impfstoff, den man – und das ist wirklich eine Leistung – in der Zwischenzeit auch hat. Jetzt aber scheitert es an der trägen Verwaltung und der Überforderung der einzelnen Abteilungen, diesen direkt und schnell zu verabreichen. Die verschiedenen „Glanzleistungen“ bezüglich Masken und Kontakt-Apps lasse ich hierbei mal außen vor. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wohl manche „Macher“ in beschaulichen Zeiten überflüssig, in schweren Zeiten überfordert sind. Wohltemperierte Worte in Sonntagsreden können nicht die Taten in stürmischen Gewässern ersetzen. Lockdowns sollten nach einem Jahr Umgang mit Corona endlich Geschichte sein. Man darf bei der empfundenen Planlosigkeit der Politik nicht die Hände in den Schoß legen, um Lösungen abzuwarten. Das haben wir schon gelernt! Die Erfindung des ersten Klopapier Flagshipstores in Deutschland (Blum-Jundt in Emmendingen), um Mode verkaufen zu können, ist ein eindrückliches Beispiel dafür. Handel ist Wandel, 130 Jahre Firmengeschichte erlebt man nicht mit einem „weiter so“. Doch auch dieser unter Einhaltung aller bekannten Hygienevorschriften abgesetzte Wachruf, der bundesweit für Aufsehen und Nachahmer sorgte, ist bereits Geschichte – eingefangen von der Verwaltung.

Blinder Aktionismus statt lösungsorientierte Vorgehensweise

Es mag hilfreich sein, Betriebe in die Bekämpfung von Corona einzubinden. Vor dieser Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, die nicht nur aktuell von den Mittelständlern gelebt wird, drückt sich niemand. Aber daraus Pflichten abzuleiten, ist angesichts des eigenen Versagens sehr vermessen. Rechtliche Grundlagen und Vorgaben sind bis dato wachsweich: Kann ich Mitarbeiter zwingen? Wer haftet? Woher sollen die Tests bei den sich abzeichnenden Engpässen kommen? Und wie steht es um die Kosten? Heute lassen wir uns als Tester zertifizieren, morgen müssen wir vielleicht noch impfen. Und das, obwohl wir normalerweise nicht einmal wissen dürfen, woran unser Mitarbeiter erkrankt ist. Das erinnert mich eher an blinden Aktionismus oder eine Beschäftigungstherapie, denn an eine lösungsorientierte Vorgehensweise.

Werden Betriebe einer Planwirtschaft geopfert?

Wer in vollem Wissen über die fragile Finanzsituation, die sinkenden Steuereinnahmen, die uferlose Bürokratie und die gescheiterte Ertüchtigung der Infrastruktur, die bisherige „Chefsache“ auf unsere Schreibtische ablegt und Zukunftschancen in Nebensächlichkeiten wie Gender-Sternchen sieht, deklassiert Unternehmen zu Experimentierfeldern der Verwaltung. Hausaufgaben zu machen, bedeutet nicht, den Staatsapparat ständig aufzublähen und neue (Kanzler-)Paläste zu bauen. Es macht uns „mütend“ zu sehen, wie unsere (eigentlich erfolgreichen) Betriebe einer Planwirtschaft geopfert werden, die uns an den Tropf des Staates zwingt, während die Notendruckpresse Tag und Nacht rotiert.

Aktuelle Zustände reflektieren

Wer die modernen Medien nicht nur dazu nutzt, inhaltslose und überflüssige Banalitäten zu verbreiten, kann einen Blick über den Tellerrand werfen. Mahnende Rufe aufgrund der aktuellen Zustände bei uns, verdienen Reflexion : wirtschaftliche Verlierer der Pandemie (schließlich haben nicht nur wir das Virus), Sanierungsfälle, gepaart mit der ungeschlechtlichen und unbegrenzten Vermehrung des Regierungs- und Verwaltungsapparates.

Schonungslose Inventur des Ist-Zustandes

Unsere Interessensvertreter wurden von uns gewählt, um Schaden von uns abzuwenden und nicht auf unsere Betriebe abzuwälzen. Die abgeführten Steuern finanzieren, im Vertrauen auf dieses Handeln darauf, das Ganze. Die Defizite, die die Pandemie aufgedeckt hat, sind keine Legitimation für Planwirtschaft und Verbote, sondern Verpflichtung zu einer schonungslosen Inventur des Ist-Zustandes. Das Bemühen um Lösungen, hinreichend aus Arbeitszeugnissen bekannt, reicht nicht aus. Mandat und Steuergelder werden als Vertrauensvorschuss, zeitlich begrenzt, übertragen. Wenn man damit nicht umgehen kann und sich für die kommenden Generationen hemmungslos verschuldet, macht uns das „mütend“.