Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Im Wahljahr 2021 braucht die Politik Macher und nicht noch mehr Selbstdarsteller

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Bundestagswahl 2021 und Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Nie werden der Mittelstand und Familienbetriebe so wertgeschätzt wie in den Wochen vor einer anstehenden Wahl. Bevor das Maß an "Wichtigkeit" jedoch schwindelerregende Höhen annimmt, sollten vorher Erfahrungen aus der Realität einmal genauer angesehen werden. Unsere Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, widmet sich dieser Betrachtung in der heutigen Folge von "Neues von der Werkbank".

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

Wir haben sie wieder: Die Zeit der zahlreichen, fast inflationären Betriebsbesuche und des vermeintlichen „Austauschs“ mit der Basis . Am besten noch mit einem kleinen Schnappschuss oder einer tendenziell eher oberflächlichen Randnotiz in den sozialen Netzwerken garniert. Neben den Betriebsinhabern, die dadurch die Hoffnung gewinnen , dass ihre Sorgen und Nöte endlich Gehör finden und sie künftig als Wirtschaftspartner auf Augenhöhe wahrgenommen werden, gibt es aber auch viele, die einen Auftritt als Statist in einer kurzlebigen Werbekampagne kritisch sehen. Der Betrieb ist schließlich keine Kulisse für eine Inszenierung, sondern der Ort, an dem das später zu verteilende Steueraufkommen erwirtschaftet wird. Unternehmen und deren Mitarbeiter sorgen ein Leben lang für den „Betriebsstoff“ des gesellschaftlichen Zusammenlebens und verdienen daher nicht nur kurz vor einer Wahl Aufmerksamkeit und Gespräche . Generös gewährte Fördermittel haben sie zuvor hart erarbeitet. Das scheint bei manchen etwas in Vergessenheit geraten zu sein.

Der ideale Kandidat

Lassen Sie mich ein Anforderungsprofil an den Kandidaten meines Vertrauens entwickeln. Ich erwarte eine abgeschlossene Berufsausbildung, völlig egal, ob handwerklich oder akademisch. Nach der Bildung folgt dann die Praxis. Wer nie einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, muss sich sonst mühsam Kenntnisse über das „normale“ Leben anlesen. Ob es die Höhe des Spritpreises ist, der Unterschied zwischen Brutto- und Nettolohn, Gesundheitskosten, Kinderbetreuung und Infrastruktur… eigene Erfahrungen sind ein gutes Rüstzeug für die spätere politische Arbeit. Wer überfüllte Züge kennt, nutzt einen Dienstwagen als Werkzeug und nicht als Statussymbol.

Ein Parlament ist nicht der Ort zur Selbstfindung

Demokratie lebt von Mehrheiten, aber auch von Menschen, die eine (demokratische) Überzeugung haben und dafür brennen. Ich wünsche mir Mandatsträger, die ihr Mandat mit „Herzblut“ leben, Dinge bewegen wollen und erst dann den Konsens suchen. Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, mit klaren Anliegen und Überzeugungen, hart in der Sache, aber respektvoll im Umgang miteinander. Es braucht politische Debatten wie zu Zeiten von Wehner und Strauß. Unterschiedliche Positionen (kein Einheitsbrei) und das verbale Ringen um den besten Lösungsweg. Parlamente sind nicht die Orte zur Selbstfindung, zur Selbstdarstellung oder die Umgebung, um seine eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln oder gar erst zu finden. Mandatsträger, wie der Name schon sagt, haben mit ihrer Wahl ein Mandat bekommen und dies muss verlässlich, verantwortungsvoll und mit Respekt ausgeübt werden. Wer hat mich gewählt? Weshalb wurde ich gewählt? Und gestatten Sie mir noch eine weitere Frage: Wer bezahlt mich?

Nicht nur kurz vor Wahlen ein offenes Ohr haben

Es gibt sie. Es gibt Abgeordnete, die für ihr übertragenes Mandat brennen und sich nicht mit „man müsste, man könnte, man sollte“ zufriedengeben. Ob mit oder ohne großem medialen Echo treten sie für ihre Überzeugung, ihren Auftrag und unsere Anliegen ein. Sie haben eine klare Position, die gegebenenfalls auch in einem Kompromiss, also etwas abgespeckt, enden kann. Aber im Vordergrund steht das Anliegen, der Wählerauftrag, die Selbstverpflichtung und dann erst der Kompromiss. Diese Mandatsträger wissen, dass es nicht die Rose ist, die vor einer Bäckerei huldvoll „gewährt“ wird, die am Ende die Wählerstimmen bringt. Diese Vollblutpolitiker wissen ebenso, dass man nicht nur kurz vor einer Wahl ein offenes Ohr für offene Anliegen haben sollte. Bei ihnen werden nicht nur Sorgen und Nöte angehört oder mitgenommen, sondern reflektiert. Auch wenn die Umsetzung in der Praxis aufgrund der eigens kreierten Bürokratie oft schwierig ist, bleiben sie dran. Es sind nicht die gefüllten staatstragenden Aktenmappen, die die Rahmenbedingungen gestalten, sondern die Personen, die sich direkt und immer wieder einsetzen. Gespräche passieren auf Augenhöhe, haben Inhalt, sind ohne Worthülsen, dazu wertschätzend und finden vor allem nicht nur kurz vor einer Wahl statt.

Getane Arbeit als Visitenkarte

Parlamente brauchen gut ausgebildetes und motiviertes Personal, Persönlichkeiten, Macher. Mich interessiert nicht, warum etwas nicht funktioniert , sondern was gemacht werden muss, damit es funktioniert . Wer nicht den Mut hat, diese Frage zu stellen, ist in meinen Augen fehl am Platze. Bläher und Blender bewegen Luft, die getane Arbeit aber ist die Visitenkarte für die finale Stimmabgabe. Sie haben die Wahl und ich bitte Sie, machen Sie davon Gebrauch. Selbstdarsteller können wir uns nicht mehr leisten, aber Macher und Anpacker zu wählen, sind unsere Investition in die Zukunft.