Kolumne Mitarbeiterführung von Barbara Seidl, 9. Folge Jahresgespräche richtig führen: Kein Blick zurück im Zorn!

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Die Geschäfte laufen prima und Sie haben wirklich keinen Spielraum für überflüssiges Ge­rede? Zum Start ins neue Jahr sollten Sie sich dennoch die Zeit dafür nehmen, schließlich leidet auch das Team unter Stress und Zeitdruck. Ein offenes Gespräch deckt nicht nur Schwachstellen auf, sondern kann auch dabei helfen, die dringend benötigten Fachkräfte langfristig im Betrieb zu behalten.

Jahresgespräch, Mitarbeitergespräch
Ein Jahresgespräch bei guter Atmosphäre in der Werkstatt – die Münchner Personalexpertin und Autorin Barbara Seidl weiß aus langjähriger Erfahrung, worauf es ankommt. - © romankosolapov - stock.adobe.com

Bei vielen Chefs im Handwerk ist das Mitarbeitergespräch nach Erfahrung von Barbara Seidl ähnlich beliebt wie ein Zahnarztbesuch: „Kaum einer will es, keiner liebt es, und danach ist jeder froh, es wieder überstanden zu haben.“ Die Expertin für Personal und Organisationsberatung in München hat jahrelang mit ihrem Mann eine Bäckerei geführt. Sie kennt die Vorbehalte gegen die „Quasselrunden“ genauso wie das riesige Potenzial an Chancen, das viele Chefs Jahr für Jahr ungenutzt lassen.

Nur jeder vierte Betrieb im Handwerk nutzt Jahresgespräche

Ein Blick auf die Ergebnisse der Manufactum-Studie von Würth, bei der bundesweit über 700 Handwerker ihre Einschätzung zu den wichtigsten zukünftigen Erfolgsfaktoren abgegeben haben, zeigt, was die Expertin meint: Von den Top-10-Betrieben im Handwerk führen 38 Prozent regelmäßige Gespräche über die Arbeitsleistung der Mitarbeiter, im Durchschnitt aller Betriebe setzt nur jeder vierte auf dieses wichtige Instrument zur Motivation und Förderung. Ein Versäumnis, das sich nach Einschätzung von Expertin Seidl auch negativ auf die Mitarbeiterbindung von Fachkräften auswirkt: „Gerade hier können regelmäßige Gespräche wesentlich zur Identifikation des Mitarbeiters mit dem Betrieb beitragen.“ Schließlich müssen auch die Mitarbeiter in diesen krisengeplagten Zeiten mit Unsicherheit und steigenden Preisen umgehen. Sich die Sorgen und Nöte anzuhören, individuelle Lösungen zu entwickeln oder im Ernstfall sogar finanzielle Hilfe anzubieten kann im harten Kampf um qualifizierte Fachkräfte durchaus ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sein.

Phase 1: Das Gespräch professionell vorbereiten

Planen Sie für jedes Gespräch bis zu zwei Stunden Zeit ein, und informieren Sie die Mitarbeiter zwei bis drei Wochen vor dem Termin. Bewährter Zeitpunkt ist der Jahresbeginn als motivierender Auftakt in ein neues Arbeitsjahr, bei Auszubildenden ist zudem das nahende Ende der Ausbildungszeit ein idealer Zeitpunkt. Wenn Sie erstmalig zum Jahresgespräch einladen, sollten Sie das Ziel, den Nutzen und den Ablauf der Gespräche vorab etwa per Rundschreiben oder Aushang am Schwarzen Brett bekannt geben. Vor jedem Einzelgespräch ist es wichtig, detaillierte Informationen (etwa über Fehlzeiten, Weiterbildungen, Gehaltsentwicklung, Reklamationsquote etc.) zum jeweiligen Mitarbeiter zusammenzutragen. Wählen Sie einen hellen und freundlichen Raum aus, in dem Sie störungsfrei sprechen können. Sorgen Sie für Getränke, und halten Sie Unterlagen und Arbeitsmaterialien (Stift, Papier und Visualisierungsmedien wie Flipchart oder Tablet) bereit.

Wichtig: Jahresgespräche sind Chefsache. Gibt es eine zweite Führungsebene, kann auch der direkte Vorgesetzte – nach den Vorgaben und Regeln des Chefs – das Gespräch führen.

Phase 2: Mit Small-Talk eine gute Atmosphäre schaffen

Die ersten fünf bis zehn Minuten dienen dazu, dass der Mitarbeiter in Ruhe am Ort und beim Thema ankommt und sich gedanklich vom Alltagsgeschäft löst. Durch eine freundliche Begrüßung und den üblichen Small Talk schaffen Sie eine angenehme und freundliche Atmosphäre, die die Basis für eine erfolgreiche Gesprächsführung darstellt. Nach dem Warm-up wird der Übergang zur Hauptphase eingeleitet und der Rahmen für das Gelingen des Vier-Augen-Gesprächs geschaffen. Dazu gehören einführende und sachliche Worte über Ablauf und Struktur des folgenden Gesprächs, die Klärung organisatorischer Fragen (Getränke, Zeitrahmen), kurze Anmerkungen zu einzelnen Gesprächspunkten sowie zu vorausgegangenen Aktivitäten und Gesprächen. Beim Jahresgespräch sind die Aufgaben klar verteilt: Der Vorgesetzte führt das Gespräch, setzt die Regeln der Gesprächsführung und legt die jeweiligen Ziele pro Mitarbeiter fest.

Tipp: Stellen Sie vorab Fragen zusammen, die Sie besprechen wollen! Bei mehreren Mitarbeitern mit ähnlichen Tätigkeiten lohnt sich ein Muster-Fragenkatalog, den Sie dann jeweils noch auf den jeweiligen Gesprächspartner abstimmen.

Phase 3: Die Sicht des Mitarbeiters anhören

Fordern Sie den Mitarbeiter auf, das abgelaufene Jahr aus seiner Perspektive zu schildern: Was lief gut? Wo hakte es? Gab oder gibt es größere Schwierigkeiten? Wie schätzt der Mitarbeiter seine Leistung ein? Was hat sich im Vergleich zum letzten Gespräch verbessert/verschlechtert? Hören Sie aufmerksam zu, bevor Sie Ihre Sicht der Dinge darstellen. Bewerten Sie die allgemeinen Anforderungen an die Position (Stellenbeschreibung) und die Umsetzung der vereinbarten Ziele. Lob und Anerkennung sind die Basis für die Bindung und Motivation der Mitarbeiter. Angemessene, konstruktive Kritik schafft für den Mitarbeiter die Möglichkeit zur Reflexion, zur Verbesserung und zur Verhaltensänderung.

Tipp: Sie müssen nicht mit jedem MItarbeiter das Gleiche besprechen. Je individueller Sie auf jeden eingehen, desto mehr können Sie bewirken.

Phase 4: Die Perspektiven gemeinsam entwickeln

Die bei der Beurteilung festgestellten Defizite und eine in Zukunft noch zu erfüllende Leistungssteigerung sowie Verhaltensänderungen ergeben die Inhalte für den nächsten Teil des Jahresgesprächs: die Feststellung des Entwicklungs- und Förderbedarfs. Halten Sie fest, in welchen Bereichen sich der Mitarbeiter weiterentwickeln möchte und sollte. Beachten Sie dabei nicht nur die betrieblichen Belange, sondern vor allem auch die individuellen Karrierewünsche und Aufstiegschancen sowie etwaige bislang nicht angesprochene Potenziale. Konkrete Vereinbarungen über interne und externe Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen leiten im Gespräch über zu den Zielvereinbarungen für das kommende Jahr.

Wichtig: Gerade junge Mitarbeiter brauchen Perspektiven. Warten Sie nicht bis zum Abschluss der Ausbildung, um darüber zu sprechen.

Phase 5: Die Ziele konkret abstecken

Neue Zielvereinbarungen sind das Bindeglied und der Maßstab für das bisher Erreichte, dem neuen Gewünschten und dem zukünftig Möglichen. Wurden die Ziele gut erreicht, können Sie neue, weiterhin herausfordernde Ziele vereinbaren. Ist dies nicht der Fall, macht es Sinn, über Veränderungen der Ziele nachzudenken, die Schritte kleiner zu machen oder noch konkreter die Anforderungen zu besprechen. Fassen Sie zum Schluss noch einmal alle Vereinbarungen und Maßnahmen mündlich zusammen und halten Sie diese schriftlich fest. Eine Ausführung ist für die Personalakte bestimmt, eine weitere für den Mitarbeiter. Gesprächsprotokoll und Maßnahmenplan sind die (verbindliche) Basis für die weitere Zusammenarbeit.

Tipp: Halten Sie die Gesprächsergebnisse schriftlich fest. So beugen Sie dem „Quasselbuden-Image“ vor und haben eine Basis zur Beurteilung.