Hindernislauf im Turbokapitalismus

Rumänien | Niedrige Lohnkosten, kaum Sprachbarrieren und 16 Prozent Pauschalsteuer machen das neue EU-Mitglied extrem attraktiv. Doch das Land hat noch einiges aufzuholen.

Hindernislauf im Turbokapitalismus

E Kriechtempo. Ein Pferdefuhrwerk, das sich wegen des Gegenverkehrs kaum überholen lässt, gehört zum Alltag auf Rumäniens Bundesstraßen. Und so wird die Fahrt vom frisch herausgeputzten Städtchen Sibiu in das 55 Kilometer entfernte Medias zum knapp zweistündigen Abenteuer.

Stau und Verkehr sind in Rumänien ein fast so beliebtes Thema wie anderswo das Wetter. Doch das Land setzt große Hoffnung auf den EU-Beitritt. Er soll die notwendigen Investitionen in Straßen und Schienen ermöglichen, die sich bis zum Jahr 2013 auf 31 Milliarden Euro belaufen werden. Denn sonst kommt der Turbokapitalismus ins Stocken, der im Land inzwischen herrscht.

Für das durchschnittliche Wachstum Rumäniens von fünf Prozent in den vergangenen Jahren gibt es mehrere Gründe. Allen voran stehen die geringen Lohnkosten. 2,08 Euro inklusive Nebenkosten pro Stunde zahlt etwa der Schuhproduzent Rieker in Lugoi seinen rumänischen Arbeiterinnen. Ein Facharbeiter ist für 200 bis 500 Euro netto im Monat zu bekommen. Zudem hat Rumänien 2005 seine Steuern gesenkt und erhebt seitdem eine einheitliche Pauschalsteuer von 16 Prozent auf Erträge. Die Marketingwirkung dieser Maßnahme ist enorm. Denn seitdem zieht das Karpatenland ausländische Investoren magisch an. „Ein weiterer Grund, der für ein Engagement in Rumänien spricht, sind die geringen Gründungsformalitäten für eine GmbH“, sagt Hannes Kerst, der seit neun Jahren Unternehmer nach Rumänien begleitet (siehe Interview). So ist eine rumänische S.R.L mit einer Stammeinlage von 57 Euro in 20 Tagen im Handelsregister eingetragen. Die Kosten für die Dienstleistung um die Gründung der GmbH belaufen sich nach Kersts Erfahrung auf maximal 1800 Euro.

Besonders im Banat, im Westen des Landes rund um Temeswar, und in Siebenbürgen, in dessen Zentrum Sibiu liegt, sind deutsche Unternehmen gern gesehene Investoren. Noch heute ist hier die erste Fremdsprache Deutsch. Es ist durchaus üblich, dass Schüler das deutsche Gymnasium besuchen und auf Deutsch unterrichtet werden.

Das Wunder von Sibiu

Sinnbild des rumänischen Turbokapitalismus ist Bürgermeister Klaus Johannis. 2004 haben die Bürger von Sibiu den deutschstämmigen Physiklehrer mit fast sozialistischen 88,7 Prozent erneut ins Amt gewählt. Seitdem geben sich deutsche Delegationen in Johannis’ Amtsstube die Klinke in die Hand.

Böse Zungen behaupten, dass zu seinem Wahlerfolg auch die Straffung der öffentlichen Verwaltung beigetragen habe in Kombination mit seiner investorenfreundliche Politik. Diese hat die besteuerbare Basis um 50 Millionen Euro erweitert. „Das kommt allen Bürgern zugute“, sagt Johannis stolz. Weiteren Geldsegen soll der Tourismus bringen. Denn Sibiu ist dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt.

Strategisch planen

Einer der deutschen Investoren ist Jörg Kenngott, dessen gleichnamige Treppenfirma in Medias seit 2005 mit 90 Mitarbeitern produziert. „Niedrige Kosten und der Zugang zum Rohstoff Buchenholz waren für den Gang nach Rumänien ausschlaggebend“, sagt Geschäftsführer Kenngott. Doch schon ein Jahr später hat sich für das aus Heilbronn stammende Unternehmen die Situation verändert. Rumänien ist schon heute für Kenngott Treppen ein kleiner, aber wachsender Absatzmarkt.

Zwar gibt der Unternehmer unumwunden zu, dass das erste Jahr nicht leicht war. Doch dank seines erfahrenen Projektleiters ist schließlich die Personalauswahl sowie der Aufbau einer ersten und zweiten Führungsebene in der rumänischen Dependance gelungen.

„Jedes Auslandsengagement muss richtig vorbereitet sein und eine strategische Ausrichtung haben“, sagt Dietmar Schneider. Der Außenwirtschaftsberater der Handwerkskammer München warnt vor unrealistischen Vorstellungen, vor allem wenn niedrige Löhne und günstige Einkaufskonditionen locken. „Wer nur billig im Kopf hat, sich jedoch keine Gedanken über Zahlungsmoral, Lieferfristen und Verträge macht, wird zwangsläufig Probleme bekommen.“

Doch auch äußere Umstände können ein Engagement in Rumänien gefährden. So hat das Land Nachholbedarf beim Kampf gegen Korruption und bei der Effizienz der Gerichte. Justizministerin Monica Macovei hat zwar schon viel bewirkt. Das bestätigt ihr auch der EU-Monitoringbericht vom September 2006. Doch bei der inneren Einstellung von Menschen stößt sie häufig an Grenzen. Ein Beispiel für diese Grenzen ist ihre Anekdote über die PCs. Sie wurden gekauft, damit alle Gerichte und Staatsanwaltschaften Online-Zugriff auf Rechtsvorschriften und Urteile haben. Als sich die Ministerin in einem Fall vom Einsatz der gelieferten Rechner überzeugen wollte, staunte sie: Ihr wurde versichert, dass alle gelieferten Geräte noch da wären. Allerdings waren sie nicht in Gebrauch, sondern sicher weggeschlossen.

gudrun.bergdolt@handwerk-magazin.de