Standort Großstadt Handwerker in der Stadt: Eine Hassliebe

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Steigende Mieten, volle Straßen, Stress mit den neuen Nachbarn: Für Betriebe wird die Arbeit in der Stadt immer schwieriger. Viele verlassen ihre alten Hinterhofwerkstätten und ziehen aufs Land oder ins Gewerbegebiet. Andere finden kreative Lösungen – und profitieren.

Olaf Zimmermann,  „Heizung Obermeier“
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des SHK-Handwerksbetriebs „Heizung Obermeier“ in der Münchener Innenstadt. - © Axel Griesch

Eigentlich habe er sich immer gut mit seinen Nachbarn verstanden, sagt Olaf Zimmermann. Seit 2003 ist der 58-Jährige Geschäftsführer des SHK-Handwerksbetriebs Heizung Obermeier in der Münchener Innenstadt. Nie hätten sich Anwohner über seinen Betrieb beschwert, versichert er. Bis vor zwei Jahren ein Zahnarzt aus einer bayerischen Kleinstadt in das oberste Stockwerk in der Thierschstraße zog. „Der neue Eigentümer macht uns die Hölle heiß“, so Zimmermann. Zu dreckig, zu laut, zu viele Lieferfahrzeuge. Die Liste der Beschwerden ist lang und liegt inzwischen beim Landgericht München. In gewisser Weise könne er solche Leute sogar verstehen, sagt Zimmermann. „Wer Millionen für eine Altbauwohnung in der City zahlt, will nicht, dass ein Handwerker nebenan arbeitet.“ Trotzdem nervt der ständige Nachbarschaftsstreit am Firmenstandort. „Es ärgert mich einfach, wie wir behandelt werden.“

Fälle wie die von Zimmermann in München gibt es inzwischen wohl in jeder deutschen Großstadt: Alteingesessene ziehen weg, kleine Wohnungen werden zu großen Lofts ausgebaut und an Besserverdienende vermietet. Die haben hohe Ansprüche an ihr Umfeld, schließlich zahlen sie viel Geld für ihre Wohnung in der Innenstadt. Handwerksbetriebe, die seit Jahrzenten in den Erdgeschossen und Hinterhöfen ihrem Gewerbe nachgehen, stören dann auf einmal. Sie passen nicht mehr in das Bild des hippen, gentrifizierten Wohnviertels. Gleichzeitig steigen die Mietpreise für Gewerbeflächen, und der Platz in den engen Innenstadtgassen wird noch knapper.

Viele Handwerker ziehen daraus inzwischen Konsequenzen: „In vielen Quartieren, besonders in den Innenstädten, verschwinden Backstuben, Fleischereien, Tischler- oder Kfz-Werkstätten aus den Straßen, weil sie sich die Miete der Geschäftsräume nicht mehr leisten können, aber auch weil es zu Nutzungskonflikten mit Anwohnern kommt, die sich an Geräuschen und Gerüchen aus Betrieben stören. Im Ergebnis haben wir dann vielfach reine Wohnghettos, eine gesunde Mischnutzung geht verloren“, erklärt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).

Fast jeder fünfte Handwerksbetrieb in der Innenstadt plant laut einer Befragung des ZDH, innerhalb der nächsten zwei Jahre den Standort zu wechseln. Als Ursachen gaben die Befragten etwa fehlende Erweiterungsmöglichkeiten am aktuellen Standort, Kündigung des Mietvertrages durch den Eigentümer der Immobilie oder zunehmende Nutzungskonflikte mit der Nachbarschaft an.

Lieber Wohnungen vermieten

Auch Heiner Fink hat seinen Spengler-Betrieb am Englischen Garten in München Anfang des Jahres aufgegeben. Der Eigentümer hatte seinen Pachtvertrag nicht verlängert . „Er wollte lieber Wohnungen vermieten“, sagt Fink. Fast 30 Euro pro Quadratmeter würden Vermieter in der Gegend heute für Mietwohnungen bekommen, so Fink. „Gewerbe ist da nicht mehr erwünscht.“ Früher habe sich in der Kaulbachstraße ein Handwerker an den nächsten gereiht. Mit seinem Spengler-Betrieb sei nun einer der letzten weggezogen. Eineinhalb Jahre lang suchte Fink, bis er eine geeignete Gewerbefläche im Münchener Umland für seine Werkstatt fand. Damit war er sogar recht schnell: Laut der ZDH-Befragung suchen mittelgroße Handwerksbetriebe mit zehn bis 49 Mitarbeitern im Schnitt 22 Monate nach einem neuen Betriebsstandort. In München können sich Betriebe im Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt für eine Gewerbefläche vormerken lassen. Aktuell stehen 300 Namen auf der Liste. Darunter vor allem Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe, aus Handwerk und Logistik.

Finks Spengler-Betrieb liegt heute fast 30 Kilometer östlich von München in der kleinen Gemeinde Grasbrunn. Die alte Werkstatt zu verlassen und mit den 25 Mitarbeitern an den Stadtrand zu ziehen habe ihn vor allem emotional getroffen, so Fink. Schließlich hat Finks Großvater schon 1896 die ersten Bleche in dem Hinterhaus am Englischen Garten geformt und bearbeitet, bevor er den Betrieb an seinen Sohn vermachte, der ihn wiederum an seinen Sohn weitergab. Das Geschäft habe durch den Umzug jedoch kaum gelitten, sagt Fink. „Wir haben uns gut organisiert.“ Der wichtigste Faktor sei die Mobilität : Fast alle Baustellen, auf denen Fink und seine Beschäftigten arbeiten, liegen in der Münchener Innenstadt. Als die Werkstatt noch in dem Hinterhof am Englischen Garten war, sind viele von Finks Mitarbeitern mit dem Fahrrad zur Baustelle gefahren. Das geht jetzt nicht mehr, und mit dem Auto würde die Fahrt von Grasbrunn zum Kunden in der Münchener Innenstadt in der Rushhour mehr als eine Stunde dauern.

Parkzonen für Handwerker

Vor allem die Suche nach einem Parkplatz sei ein riesiges Problem. Die Parkplatzsituation gehört, laut der ZDH-Umfrage, zu den drei wichtigsten Standortfaktoren für Handwerker. „Die Kosten, um mit dem Auto in die Stadt zu fahren, sind mittlerweile nicht nur für unsere Mitgliedsbetriebe exorbitant hoch. Auch Kunden und Mitarbeiter verplempern unnötig Lebenszeit im Stau“, sagt Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Seine Kammer verhandle gerade mit der Stadt, um besondere Parkzonen nur für Handwerker an Hauptverkehrsstraßen auszuweisen. Dadurch solle der Fahrzeugverkehr auf leistungsfähigen Straßen gebündelt und so weit wie möglich von Nebenstraßen und aus Wohngebieten ferngehalten werden.

Fink und seine Mitarbeiter haben indes eine eigene, etwas unkonventionelle Lösung für das Parkplatz- und Stauproblem gefunden: Wer kein Werkzeug oder schweres Material transportieren muss, fährt mit der U-Bahn oder Straßenbahn. Andere Mitarbeiter würden Fahrgemeinschaften bilden, um morgens von zuhause zum Betriebssitz nach Grasbrunn zu kommen. So kann Fink auch nach dem Umzug schnelle Lieferzeiten garantieren. Sein Betrieb ist außerdem nicht von wechselnder Laufkundschaft abhängig. So konnte er seine Werkstatt in der Innenstadt aufgeben, ohne Aufträge zu verlieren. Das geht vielen Handwerkern anders. Laut der ZDH-Umfrage ist die räumliche Nähe zur Laufkundschaft der zweitwichtigste Standortfaktor für Handwerksbetriebe in Deutschland. „Betriebe, die von Laufkundschaft abhängig sind, werden in der Stadt viel eher wahrgenommen als auf dem Land“, sagt Henrik Scheller, Teamleiter Wirtschaft und Finanzen am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Das gilt auch für den SHK-Handwerker Olaf Zimmermann, der von Laufkundschaft stark profitiert. So würden größere Auftraggeber aus der Stadt Aufträge eher an Handwerker geben, die in der Nähe sind, so Zimmermann. Die Spaten-Brauerei in der Münchener Innenstadt etwa suchte einen Handwerker, der die Heizzentrale in dem Lokal saniert. „Unser Betrieb liegt gleich um die Ecke. Wenn mal Ersatzteile fehlten, konnten wir sie schnell aus dem Lager holen, ohne den Zeitplan zu gefährden.“ Das habe den Sachbearbeiter überzeugt, ihm den Zuschlag zu geben, sagt Zimmermann.

Auch bei der Suche nach neuen Mitarbeitern seien die zentrale Lage und die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ein Pluspunkt. Zehn Praktikanten hatte Zimmermann im vergangenen Jahr. Davon blieben jedoch nur zwei, um eine Ausbildung bei ihm zu beginnen. „Wenn Betriebe aus dem Alltag der Jugendlichen verschwinden und sie dadurch Handwerksarbeit gar nicht mehr sehen und erleben können, dann verwundert es nicht, dass sie bei ihrer Berufswahl das Handwerk gar nicht mehr auf dem Schirm haben“, sagt Schwannecke.

Für Zimmermann ist es keine Option, seinen Betrieb in der Münchener Innenstadt zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Die Vorteile des City-Standortes überwiegen die Nachteile. München sei so etwas wie eine Hassliebe für ihn, sagt er: Einerseits werden die Bedingungen in der Innenstadt immer schwieriger, andererseits profitiert er enorm von der Nähe zu Kunden und Mitarbeitern.

Zimmermann sucht deshalb nach Lösungen, um auch in Zukunft sein Handwerksunternehmen in der Münchener Innenstadt betreiben zu können. Vor Kurzem kaufte er sich ein Hybrid-Auto, bald will er sich ein Lastenfahrrad mit E-Motor zulegen. Damit kann er Staus umfahren, muss nicht lange nach Parkplätzen suchen, ist schneller beim Kunden. Außerdem produziere er damit deutlich weniger Lärm und Abgase beim Be- und Entladen im Hof, so Zimmermann. Ein Zugeständnis an den Zahnarzt aus dem fünften Stock.
„Um Streit mit Nachbarn von Anfang an zu vermeiden, sollten Handwerker präventiv das Gespräch suchen und beispielsweise die Bedeutung der Handwerker und produzierenden Unternehmen für die Wertschöpfung in der Stadt hervorheben“, sagt Scheller vom Difu. Andere Betriebe gehen sogar noch weiter, berichtet Joachim Lentes, Leiter des Team Digital Engineering beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). So habe etwa ein metallverarbeitendes Unternehmen, das vom IAO beraten wurde, eine neue Fabrikhalle direkt neben eine Wohnsiedlung in Fellbach bei Stuttgart gebaut – ohne dass es Ärger mit den Anwohnern gab. Mit der urbanen Lage kam das Unternehmen vor allem seinen Mitarbeitern entgegen. Die S-Bahn-Station ist nur wenige Gehminuten entfernt und auch der Autobahnzubringer ist für die Angestellten, die mit dem Auto kommen, schnell erreichbar. Nur die Nachbarn der nahgelegenen Passivhaussiedlung waren erst nicht sehr begeistert. „Zunächst gab es viel Kritik aus der Nachbarschaft“, sagt Lentes. Doch die Sorge vor dem Lärm habe sich schnell zerstreut, so Lentes. Denn obwohl hier mit Metall gearbeitet wird, hören die Nachbarn kaum etwas davon.

Die Lastwagen werden etwa nicht draußen, sondern in der schallisolierten Halle bepackt. Und die Abluft, die bei der Produktion entsteht, wird nicht zu den Wohnhäusern, sondern zur Straße umgeleitet. Durch den Lärmschutzwall, der den Mitarbeiterparkplatz begrenzt, bekommen die Nachbarn nicht mal etwas vom Schichtwechsel mit. „Der Betrieb hat sich auch überlegt, welchen Mehrwert er den Nachbarn bieten kann“, sagt Lentes. So verzichtete das Unternehmen etwa bewusst auf einen Grundstückszaun, damit Anwohner eine Grünanlage und einen Spielplatz auf dem Betriebsgelände frei nutzen können. Auch eine Stromtankstelle steht den Anwohnern zur Verfügung.

Kooperieren statt konkurrieren

Doch kleinere Handwerksbetriebe können sich solche Investitionen meist gar nicht leisten. In Zukunft werde es daher immer mehr Kooperationen zwischen Unternehmen in der Stadt geben, prognostiziert Scheller vom Difu. „Zwei Betriebe können sich eine Werkstatt oder Lagerhalle teilen, um das finanzielle Risiko zu minimieren“, sagt Scheller. Etwa in von den Städten eingerichteten Gewerbehöfen oder in offenen Werkstätten, sogenannten FabLabs. So lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Handwerker müssen sich Maschinen nicht selbst in eine große Halle in der Stadt stellen. Und sie können von dem Knowhow und den Innovationen profitieren, die junge Unternehmen und andere Handwerksunternehmen in die Städte tragen.

Standortfaktoren: Das brauchen Stadtwerker

Diese drei Faktoren sind für die meisten Handwerksbetriebe bei der Auswahl des Betriebsstandorts entscheidend für den Erfolg.

  1. Gute Anbindung an das Straßennetz
    Laut einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks legen vor allem Gesundheitshandwerke sowie Bauhaupt- und Lebensmittelhandwerke Wert auf eine gute Anbindung. So können sie schnell beim Kunden sein, eine pünktliche Lieferung garantieren und sind gut für Lieferanten erreichbar.
  2. Räumliche Nähe zur Laufkundschaft
    Wer heutzutage einen Handwerker sucht, holt sein Smartphone aus der Tasche und öffnet seine Suchmaschine. Damit Betriebe in der Trefferliste weit vorne sind, ist eine zentrale Lage von Vorteil. Handwerksbetriebe, die ihre Erzeugnisse oder Dienstleistungen direkt im Laden verkaufen, können daher von einer urbanen Lage stark profitieren.
  3. Stellplatzangebot
    Parkplätze sind knapp in deutschen Städten, erst recht für Handwerker mit ihren oft großen und sperrigen Fahrzeugen. Ein wichtiger Faktor bei der Suche nach einem Betriebsstandort in der Stadt ist deshalb die Parksituation. Die Städte müssen auf das steigende Verkehrsaufkommen reagieren, fordern Vertreter des Handwerks. Die Handwerkskammer für München und Oberbayern etwa verhandelt gerade mit der Stadt München, um Parkzonen nur für Handwerker entlang der Hauptverkehrsstraßen auszuweisen. In fast jeder Stadt können Handwerker einen Parkausweis für Handwerksbetriebe beantragen. Damit können sie etwa im eingeschränkten Halteverbot oder auf Bewohnerparkplätzen parken. In München kostet der erste Parkausweis 265 Euro im Jahr, jeder weitere 250 Euro.

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