Schadenersatz: Handwerker haften für nachlässige Eltern

Ihren nächsten Kontrollgang durch den Betrieb sollten Handwerksmeister mit den Augen eines Kleinkindes durchführen. Grund ist ein neues Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Danach haften Handwerker, wenn sich ein Kleinkind im Publikumsbereich verletzt.

© Carpierable/Fotolia.com

Handwerksbetrieben mit Publikumsverkehr und öffentlichen Verkaufsflächen droht ein unkalkulierbares juristisches Nachspiel, wenn Kunden über Materialien stolpern oder sich an laufenden Maschinen oder herumliegenden Werkzeugen verletzen. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm (Az.:6 U 186/13), das sich zwar ausdrücklich auf ein Einzelhandelsgeschäft bezieht, dessen Entscheidungsgründe aber eins zu eins auf Handwerksbetriebe mit Publikumsverkehr übertragen werden können. Nach dem Richterspruch verletzt ein Modegeschäft seine Verkehrssicherungspflicht, wenn es seine Auslagen auf einem Warenständer präsentiert, der von einem vierjährigen Kleinkind mit geringem Kraftaufwand gekippt werden kann und somit die Gefahr erheblicher Verletzungen begründet.

Kleinkind erleidet schwere Augenverletzung

Entsprechend verurteilte das Gericht in dem konkreten Fall den Geschäftsinhaber zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld an ein derart verletztes Kind. Dieses hatte in dem Laden zunächst in der Spielecke gespielt, während die Eltern dort einkauften. In einem von ihren Eltern nicht beobachteten Moment begab sich die Kleine zu einem Warenständer in der auf derselben Etage befindlichen Herrenabteilung, in der sich ihre Eltern aufhielten. An dem ca. 1,60 m hohen, mittels Rollen leicht zu bewegenden Ständer waren Gürtel aufgehängt, die zum Verkauf angeboten wurden. Das Mädchen zog an einem Gürtel und brachte so den Ständer zum Kippen. Dieser fiel auf das Kleinkind und fügte ihm aufgrund eines hervorstehenden Zinkens eine schwere Augenverletzung zu, die operativ behandelt werden musste und möglicherweise eine dauerhafte Schädigung des Sehnervs des linken Auges mit einer verminderten Sehkraft zur Folge hat.

Gefahrenquelle nicht beseitigt

Das beklagte Modehaus verteidigte sich vor Gericht damit, in Bezug auf den Warenständer keine Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben, und verwies außerdem auf die nach seiner Ansicht unzureichende Beaufsichtigung des Kindes durch ihre Eltern.  Das Gericht drehte den Spieß einfach um: Das Modegeschäft habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es habe Gürtel auf einem Warenständer angeboten, der bei einer geringen Zugbelastung von nur 800 Gramm, die auch ein Kleinkind ausüben könne, zum Umstürzen gebracht werden konnte. Für diese Erkenntnis hatte das Gericht sogar eigens einen Sachverständigen befragt.

Kurze Momente der Unaufmerksamkeit

Aufgrund der Beschaffenheit des Ständers mit den als Haltevorrichtung für die Gürtel dienenden Zinken habe die Gefahr erheblicher Verletzungen bestanden, wenn der Ständer umfalle, monierte das Gericht. Diese Gefahrenquelle habe das beklagte Modehaus beseitigen müssen. Darauf dürften Kunden vertrauen, die das Modehaus gemeinsam mit ihren Kindern aufsuchten. Modegeschäfte lenkten die Aufmerksamkeit von Eltern bewusst auf die präsentierten Waren und nicht auf Gefahren, die vom Mobiliar für Kinder ausgehen könnten. Hinzu komme, dass Kinder im Alter der Klägerin kurze Momente der Unaufmerksamkeit ihrer Eltern dazu nutzten, ihrem Spieltrieb entsprechend ihre Umgebung zu erkunden und aus kindlicher Neugier ohne die gebotene Vorsicht auch an Einrichtungen oder Waren zu ziehen.

Spielecke für Kinder entlastet nicht vor eigener Haftung

Der Verkehrssicherungspflicht des Modegeschäftsinhabers steht nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen, dass kleine Kinder regelmäßig ständiger Aufsicht der Eltern bedürfen. Die gebotene elterliche Aufsicht könne nur solche Sicherungsmaßnahmen entbehrlich machen, die von den Eltern unschwer zu beherrschen seien. Auf die von dem Gürtelständer ausgehende Gefahr treffe das nicht zu, weil Eltern nicht damit rechnen müssten, dass eine derartige Ladeneinrichtung bereits bei einem leichten Ziehen ihres Kindes umfalle. Auch entlastet es den Ladeninhaber laut Richterspruch nicht, dass er eine Spielecke für Kinder eingerichtet hatte. „Diese diente nicht dazu, Kinder vom Warenangebot fernzuhalten, sondern sollte den Eltern die Möglichkeit verschaffen, sich verstärkt dem Warenangebot zuzuwenden, sofern es die Umstände des Ladenbesuchs zuließen“, schlussfolgerte das Gericht.

Keine Mithaftung der Eltern

Selbst eine Mithaftung der Eltern des Mädchens lehnte das Gericht ab. Begründung: Den Eltern sei keine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorzuwerfen, weil sich das Kind auf dem Weg der lediglich ca. 5 m entfernten Spielecke zu den in Sichtweite befindlichen Eltern befunden habe, als sich der Unfall ereignete. Im Übrigen stehe nicht fest, dass die Eltern den Unfall hätten verhindern können, weil bereits ein einmaliges kurzes Ziehen an einem Gürtel des Ständers bei ungünstiger Ausrichtung der Rollen den Ständer kippen lassen konnte. Ein derartiges kindliches Verhalten lasse sich auch bei ununterbrochener Nähe und Beaufsichtigung durch die Eltern nicht sicher verhindern.

Fazit: Handwerksbetriebe sollten alle Waren, Werkzeuge und Einrichtungsgegenstände sichern, die nicht niet- und nagelfest angebracht sind, sofern auch nur die entfernte Gefahr besteht, dass Kinder sich daran beim Spielen verletzen könnten. Außerdem sollte das Personal zu besonderer Aufmerksamkeit gegenüber Kindern aufgefordert werden, die von ihren Eltern unbeaufsichtigt auf dem Betriebsgelände spielen.