Glänzende Zukunft

Studie | Das Handwerk ist besser als sein Ruf: Ein Gutachten des renommierten Prognos-Instituts belegt die Innovationskraft dieses traditionsreichen Wirtschaftszweigs.

Glänzende Zukunft

Ein unschlagbares Duo sind Innovation und Handwerk in der öffentlichen Wahrnehmung kaum. Im Gegenteil: Viele Menschen betrachten das Handwerk als Traditionsveranstaltung, die weder zeitgemäß noch zukunftsfähig ist. Wie sehr dieser Eindruck täuscht, belegt die Studie „Zukunft Handwerk!“ des renommierten Forschungsinstituts Prognos. Sie bescheinigt den deutschen Handwerksbetrieben, ein hervorragendes Umfeld für Innovationen zu bieten. Die Zahlen sprechen für sich: Jeder zweite der 1300 befragten Firmenchefs erklärte, in den letzten drei Jahren mindestens ein Innovationsprojekt forciert zu haben.

Allerdings handelt es sich dabei meist um die Weiterentwicklung existierender Produkte und Dienstleistungen. Dies ist die Stärke der Handwerker: Sie lösen die alltäglichen Probleme ihrer Kunden durch ebenso unkonventionelle wie pragmatische Vorschläge. Dafür müssen sie sich bestens mit modernen Materialien, aktuellen Verfahren und Zukunftstechnologien auskennen. Handwerker dienen als Mittler: Einerseits transportieren sie neue Technologie aus der Industrie über den eigenen Betrieb zum Kunden. Andererseits übernehmen sie Anpassungen und Weiterentwicklungen, die erforderlich sind, damit Innovationen überhaupt Anklang bei potenziellen Kunden finden. Immerhin jedes zweite Produkt, das in den vergangenen drei Jahren von den an der Studie teilnehmenden Firmenchefs auf den Markt gebracht wurde, war eine solche Modifikation.

Industrie und Hochschulen nutzen das Handwerk als Innovationsbeschleuniger. Es eröffnet nicht nur den Zugang zu Kunden, sondern bietet mit praktischen Erfahrungen bei der Anwendung von Produkten wertvolles Feedback. Die Möglichkeiten des Austauschs zwischen
Industrie, Wissenschaft und Handwerk werden aber zu selten genutzt. Nur zehn Prozent der befragten Unternehmer haben über einen längeren Zeitraum mit einer Forschungseinrichtung oder einer Hochschule zusammengearbeitet.

Das Prognos-Gutachten belegt, dass die Innovationskraft des Handwerks aus typischen Stärken der Branche herrührt. Neben hoher Kundenorientierung und dem Bestreben, immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein, ist die Philosophie der Selbständigkeit für die Innovationsbereitschaft des Handwerks ausschlaggebend. Ein Unternehmer muss den Markt mitgestalten, um zu überleben. Er muss sich im Kampf um die Gunst des Kunden durch Innovationen gegen Mitbewerber durchsetzen. Und Innovation setzt Wissen voraus. Deshalb hat im Handwerk die Qualifikation einen hohen Stellenwert. Lehrlinge werden durch das duale Bildungssystem in Schule und Betrieb optimal auf ihren Beruf vorbereitet. Und nach der Gesellenprüfung bieten Abschlüsse wie Meister oder Betriebswirt des Handwerks attraktive Anreize zur Weiterbildung. Hier werden unternehmerische Kenntnisse vermittelt, die zur Entwicklung von Innovationen bis zur Marktreife erforderlich sind.

Netzwerke sind enorm wichtig

Ebenso wichtig sind für die Innovationsstärke des Handwerks laut Prognos-Studie Netzwerke. Sie bildeten sich regional, überregional und gewerkeübergreifend, um komplexe Kundenwünsche erfüllen zu können. Auch neue Märkte könnten so besser erschlossen werden. Dazu gehöre etwa, dass Investitionen in Maschinen sowie Vertrieb und Marketing oft im Verbund stattfinden. So werde die individuelle Belastung reduziert, aber die Wirkung der Maßnahmen erhöht.

Die Prognos-Studie stellt aber gleichzeitig fest, dass das Innovationspotenzial des Handwerks nicht voll genutzt wird, weil Einzelkämpfertum weiter verbreitet ist als der Netzwerkgedanke. So entstünden keine Synergieeffekte. Dabei ist klar, dass Einzelkämpfer beim Kunden oft weniger effizient und professionell arbeiten als ein Netzwerk von Spezialisten.

Kooperation mit Universitäten

Intensiviert werden sollte künftig die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen, so die Prognos-Experten. Das Handwerk verschenke die Chance, Problemlösungen für die Bedürfnisse seiner Kunden zu entwickeln. Auch der Austausch mit Herstellern und Anbietern aus der Industrie dürfe nicht mehr so vernachlässigt werden wie bisher. Handwerksunternehmer sollten in Zukunft gegenüber großen Geschäftspartnern selbstbewusster auftreten. Es seien schließlich ihre Betriebe, mit denen sie die Produkte an den Kunden bringen und die vor Ort für Beratung und Gewährleistung verantwortlich sind.

Außerdem empfehlen die Prognos-Gutachter den Firmenchefs, noch stärker
Nischen zu besetzen. Gerade der rasche Wandel in Technik und Gesellschaft erlaube es dem Handwerk, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Die Zielgruppe der Senioren beispielsweise werde künftig immer wichtiger. Um solche Märkte zu erschließen, müssten aber auch neue Vertriebs- und Kommunikationsformen wie das Internet stärker genutzt werden. Das Handwerk könnte bedeutend mehr Innovationen realisieren – allerdings müsse der Unternehmer dafür bei der Sache bleiben und ein Vorhaben auch durchziehen, statt es bei der Idee zu belassen.

Als ein großes Hindernis für die Entwicklung von neuen Produkten, Dienstleistungen und Verfahren haben die Prognos-Experten die Strukturen in vielen Handwerksbetrieben ausgemacht. Der von den Befragten am häufigsten genannte Grund, warum innovative Ideen nicht umgesetzt werden, war die Betriebsgröße: Kleine und mittelgroße Firmen konzentrieren sich überwiegend auf das Tagesgeschäft und haben kaum Kapazitäten für die strategische Entwicklungsarbeit.

Zweiter Hinderungsgrund ist die Finanzierung. Durch ihre schwache Eigenkapitalbasis können sich viele Unternehmer die nötigen Investitionen in Innovationen nicht leisten. Fremdmittel sind ihnen kaum zugänglich. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat in einer eigenen Studie ermittelt, dass der Kontokorrentkredit für das Handwerk das wichtigste Finanzierungsinstrument ist. Zu schlechten Konditionen werden Kleinbeträge aufgenommen, die schnell abgezahlt werden müssen. Durch Basel II werden kleine Unternehmen hier noch weiter benachteiligt. Weil für Investitionen in Innovationen vorab nur schwer ein Return on Investment zu kalkulieren ist, sind schlechte Ergebnisse beim Bankenrating programmiert.

Hier muss die Politik unbedingt gegensteuern, wenn sie die potenzielle Innovationskraft des Handwerks entfesseln will. Die Prognos-Studie und mit ihr die Handwerksorganisationen fordern deshalb, mittelständischen Betrieben den Zugang zu Kleinkrediten zu erleichtern und die Verfahren zu entbürokratisieren. In dem nächsten Schritt sei es dann notwendig, die Forschungs- und Förderpolitik des Bundes und der Länder viel stärker auf das Handwerk auszurichten. Dazu aber müssten die Handwerksorganisationen stärker in den politischen Planungsprozess einbezogen werden. Angedacht sind unter anderem regelmäßige Round-Table-Gespräche zum Thema „Zukunft Handwerk!“, an denen Vertreter aus Politik und Handwerk teilnehmen sollen. Dort müsste dann beraten werden, was zu tun ist, um die Rolle des Handwerks als „Motor für Innovationen“ zu unterstützen und auszubauen.

Maike Emmel

frank.wiercks@handwerk-magazin.de