Gewerbehöfe: Alte Hallen mit neuen Betrieben

Weil Handwerksbetriebe keine passenden Standorte finden oder sich die teuren Mieten nicht leisten können, investieren Kommunen und auch Immobilienentwickler wieder in diese Klassiker. Wo es Gewerbehöfe gibt und für wen sie sich eignen.

„Viele Vorteile meines ­Gewerbehofs habe ich erst im Lauf der Jahre erkannt.“ Reinhold Lederer, Schreinermeister im Münchner Gewerbehof Westend. - © Tanja Kernweiss

Mancher Handwerksunternehmer hätte gern einen Standort, der Arbeiten an jedem Tag zu jeder Uhrzeit mit jedem Werkzeug erlaubt. Für Reinhold Lederer ist dieser Wunsch seit rund 17 Jahren Realität. „Ich könnte am Heiligen Abend um 23 Uhr die Kreissäge hochfahren, ohne dass ein Anwohner protestiert“, erklärt der Münchner Schreinermeister. Als er sich 1999 selbständig machte, mietete er rund 130 Quadratmeter Werkstatt- und Lagerfläche im Münchner Gewerbehof Westend an. Hier stellt er mit zwei Mitarbeitern maßgeschneiderte Büro- und Wohnmöbel nach den Wünschen seiner Kunden her. „Viele Vorteile dieses Standorts habe ich erst im Lauf der Jahre erkannt“, räumt der Handwerksunternehmer ein. Weil der Gewerbehof verkehrsgünstig am Mittleren Ring liegt, kann Lederer fertige Möbel auf kürzestem Weg zum Kunden transportieren.

Austausch mit Kollegen

Die Präsenz von über 100 weiteren Mietern hilft im Alltag ebenfalls. „Ich kann bei einer benachbarten Druckerei auf die Schnelle Visitenkarten oder Prospekte ordern“, nennt Lederer ein Beispiel. Im Gegenzug fertigt er auf Zuruf Regale oder andere einfache Möbelstücke an. Sogar mit dem Wettbewerb pflegt der Unternehmer eine kollegiale Zusammenarbeit. „Rund vier bis fünf weitere Schreinerbetriebe gibt es im Haus“, sagt der Unternehmer. „Jeder arbeitet mit besonderen Geräten, die er auf Anfrage auch anderen zur Verfügung stellt.“

Verkehrsgünstige Lage in Innenstadtnähe, Synergieeffekte durch Unternehmenskooperationen, mietergerechte Flächen und Infrastruktur: Mit diesen Argumenten werben über 200 Gewerbehöfe im ganzen Bundesgebiet. Viele werden von öffentlich-rechtlichen Betreiberge-sellschaften geführt, an denen Kommunen und Kammern beteiligt sind. Auch private Investoren entdecken dieses jahrzehntealte Konzept wieder. In vielen Städten haben sie aufgelassene Fabriken umgebaut oder neue Objekte hochgezogen. Die Nachfrage ist vor allem in Ballungszentren groß. Weil gerade hier kleinere und mittlere Unternehmen Probleme haben, attraktive Innenstadtstandorte zu finden oder deren steigende Mieten zu zahlen, ziehen sie in den Klassiker um. Die Mieten für Produktionsflächen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) lagen im ersten Halbjahr 2015 bei 4,10 Euro je Quadratmeter im bundesweiten Durchschnitt, hat die Initiative Unternehmens­immobilien ausgerechnet.

Auch Werbeagenturen, Designstudios und andere Dienstleister mieten sich neuerdings in Objekte ein, die ursprünglich für produzierende Gewerke eröffnet worden sind. In manchem Hamburger Gewerbehof machen Handwerksunternehmen gerade einmal ein Drittel aus.

Aus der Innenstadt verdrängt

„Viele Handwerksbetriebe sind einem regelrechten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt“, beobachtet Erik Peuschel, Geschäftsleiter des Immobilienunternehmens Engel & Völkers in Hamburg. „Auch Unternehmen, die auf eigenem Grund und Boden arbeiten, müssen zunehmend Alternativen zu ihrem bisherigen Standort prüfen.“ Vorbei sind die Zeiten der sogenannten Hinterhofbetriebe, die mitten in gewachsenen Wohngebieten ihr Handwerk aus-üben. Viele Anwohner stören sich am frühen Arbeitsbeginn der Mitarbeiter oder an Lärm-, Geruchs- und Staubemissionen während der Arbeit. „Für diese Betriebe kann es eine sinnvolle Option sein, ihren bisherigen Firmensitz für gutes Geld zu verkaufen und einen neuen Standort für wenigstens zehn Jahre anzumieten“, so Pauschel. Wer jedoch langjährige Kundenbeziehungen erhalten will, sollte in der nahen Umgebung bleiben.

Vor allem in Kommunen, welche Gewerbegebiete fast ausschließlich am Stadtrand hochziehen, bieten sich Gewerbehöfe geradezu an. Allerdings müssen produzierende Unternehmen die örtlichen Bauten genau prüfen (siehe auch Expertentipps auf Seite 22). Viele Betriebe arbeiten mit schweren Maschinen, die nicht jedes Gebäude aufnehmen kann.

Hier bringen öffentlich-rechtliche Betreibergesellschaften gerne ihre Standorte ins Spiel. „Unsere mehrgeschossigen Gebäude haben bis zu 70 Zentimeter dicke Stahlbetondecken und können bis 1500 Kilogramm pro Quadratmeter tragen“, sagt Rudolf Boneberger, Geschäftsführer der Münchner Gewerbehof- und Technologiezentrums GmbH (MGH). „Das entspricht den Standards für Luftschutzbunker.“ Auch bei der Raumgestaltung haben die Mieter von öffentlich-rechtlichen Höfen weitgehend freie Hand: Sie dürfen zum Beispiel Entlüftungsanlagen einbauen oder zusätzliche Wände hochziehen.

Keine Mietsubventionen

Die Mieten selbst bewegen sich im ortsüblichen Niveau. Die öffentlichen Gesellschafter wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass sie ihre Mieter subventionieren. Allenfalls für Existenzgründer gibt es in den ersten Jahren leichte Vergünstigungen. Dabei treiben höhere Deckenlasten, Lastenaufzüge und andere Sonderausstattungen die Bau- und Umbaukosten um bis zu 30 Prozent nach oben. „Viele private Investoren sind zu solchen Mehrkosten nicht bereit oder werden diese an die Mieter weitergeben“, erklärt MGH-Chef Boneberger die Vorteile der öffentlich-rechtlichen Gewerbehöfe.

Betreiber, die zu solchen Mehrkosten nicht bereit sind, greifen zu einem einfachen Kniff. Sie bauen ebenerdige Gewerbehöfe. Natürlich funktioniert das nur bei entsprechend preiswerten Grundstückspreisen auf der grünen Wiese. Wer in seinen Werksräumen regelmäßig Kunden empfängt, zieht ohnehin Flächen im Erdgeschoss vor, lautet das immer wiederkehrende Argument.

25 Prozent billiger

Ein typisches Beispiel ist der 2013 errichtete Handwerker- und Gewerbehof Babelsberg bei Potsdam. Rund um einen Innenhof mit Straßenzufahrt ließ die städtische Technologie und Gewerbezentren Potsdam (TGZP) GmbH insgesamt 13 Werkhallen mit integriertem Büro- und Sanitärtrakt hochziehen. „Jede Halle ist teilbar und kann mietergerecht umgebaut werden“, erklärt Geschäftsführer Steffen Schramm. „Die Mieten liegen um wenigstens 25 Prozent unter dem ortsüblichem Niveau.“ Eine Folge des Standorts: Der Handwerker- und Gewerbehof liegt außerhalb der Potsdamer Innenstadt unweit einer Schnellstraße mit direkter Anbindung an die Bundesautobahn.

Für Mieter René Batzer ist dieser Platz genau richtig. „Mein Betrieb hat überörtliche Kunden unter anderem in Berlin, Hamburg und Leipzig“, sagt der Tischlermeister, der sich auf die Restauration von alten Möbeln und denkmalgeschützten Dächern spezialisiert hat. Allenfalls an der Hallengröße äußert Batzer Kritik. „Ich benötige eigentlich 300 statt 200 Quadratmeter Fläche.“ Das jedoch ist mit der standardisierten Bauweise nicht möglich.

Mit diesem Problem steht Batzer nicht allein da. Ab einer festgelegten Größe ist in nahezu jedem Gewerbehof auch für langjährige Mieter kein Platz mehr im Haus. So legt MGH jedem Unternehmen, das mehr als 1000 Quadratmeter benötigt, den Auszug nahe und hilft auch bei der Standortsuche. „Für diese Zielgruppen gibt es ausreichend geeignete Flächen, welche sich durch gleich hohe Mieten auszeichnen und weitere Wachstumspotenziale eröffnen“, formuliert Boneberger. Solchen Mietern bleibt die Gewissheit, dass Gewerbemieten für Objekte außerhalb von Wohn- und gemischten Gebie-ten an vielen Standorten inflationsbereinigt kaum gestiegen sind.

Vielleicht auch deshalb glauben einzelne Großstädte wie Stuttgart, auf Gewerbehöfe weiterhin verzichten zu können. „Wir haben trotz mehrerer Vorstöße bislang keine geeigneten Standorte gefunden“, teilt Dietrich Pelka, Baurechtsreferent bei der Handwerkskammer Region Stuttgart auf Anfrage mit.

Für wen Gewerbehöfe geeignet sind

Rudolf Boneberger, Geschäftsführer der MGH-Münchner Gewerbehof- und Technologiezentrumsgesellschaft, erklärt, was Handwerksbetriebe beachten müssen, wenn sie in einen Gewerbehof einziehen wollen.

1. Vor allem für Unternehmen, die mit bau-, nutzungs- und immissionsrechtlichen Standortproblemen kämpfen, sind Gewerbehöfe attraktiv. Wichtig ist aber die Umgebung: Die Zufahrt sollte möglichst nicht durch ein Wohngebiet erfolgen.

2. Jeder Gewerbehof schreibt Mindest- und Höchstflächen vor. Wer weniger als 30 und mehr als 1000 Quadratameter benötigt, ist in der Regel nicht willkommen. Prüfen Sie bei Bauten mit standardisierten Hallen, ob Aufteilung und Zuschnitt bestimmt werden können.

3. Für produzierende Betriebe sind nicht nur hohe Deckenlasten, Lastenaufzüge und breite Flure wichtig. Wer regelmäßig Betriebe mit zahlreichen Endkunden sind Gewerbehöfe eher ungeeignet.