Gesundheitsförderung für Handwerker

Wilfried und Mark Niemann, Geschäftsführer eines Traditionsbetriebs aus Nordrhein-Westfalen, haben ein systematisches Gesundheitsmanagement eingeführt. Sie haben erkannt: Wer sich wohlfühlt, kann mehr leisten. Die Arbeitnehmer sind motivierter und seltener krank.

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    Wilfried und Mark Niemann (v.l.) haben eine hydraulische Tragehilfe angeschafft, die Thomas Brosend nutzt.
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    Fast ein Drittel der Ausfalltage entfällt im Handwerk auf Muskel- und Skeletterkrankungen, Ausfallursache Nummer eins sind dabei Rückenleiden.
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    „Das Hauptproblem in unserem Betrieb ist der Rücken.“ Hans-Dieter Morrkopf engagierte eine Wirbelsäulentrainerin für sein Autohaus.
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    „Schon mit kleineren Aktionen können Chefs durchaus viel erreichen.“ Dirk Ditchen, Experte für Rückengesundheit beim Institut für Arbeitsschutz.

Vorbeugen mit System

Die Äpfel, das Joggen, die Gymnastikübungen – bei vielen Gesundheitsaktionen haben die 104 Mitarbeiter von Niemann Möbelteile aus Preußisch Oldendorf erst geschmunzelt, dann aber doch mitgemacht. „Weil es was bringt“, wie Detlef Kopke, Gesundheitsbeauftragter des Zulieferers für Küchenfronten und Arbeitsplatten, zusammenfasst. Beim jüngst demontierten Zigarettenautomaten lag die Sache schon schwieriger: „Mit der Anti-Raucher-Kampagne machen sich die Chefs gerade etwas unbeliebt“, sagt Kopke. Doch Wilfried und Mark Niemann, Geschäftsführer des Traditionsbetriebs aus Nordrhein-Westfalen, lassen sich nicht beirren. „Manchmal braucht es ein bisschen sanfte Gewalt“, sagt Kopke, der alle Gesundheitsaktionen organisiert. „Immerhin nehmen mehr als 20 Prozent der Raucher am angebotenen Entwöhnungskurs teil.“

Seit 2008 hat Niemann Möbelteile ein systematisches Gesundheitsmanagement eingeführt. Auslöser war eine Erkenntnis, die Seniorchef Wilfried Niemann über viele Jahre gewonnen hat: „Wer die Wertschöpfung erhöhen will, muss seine Mitarbeiter wertschätzen und als wichtigstes Kapital behandeln.“ Kurz: mehr Erfolg durch gesunde und zufriedene Mitarbeiter. In Zusammenarbeit mit der Krankenkasse IKK Classic hat Niemann Möbelteile gesundheitliche Brennpunkte identifiziert: Gegen Rückenbeschwerden wird Gymnastik und Muskelaufbautraining angeboten. Die Tischler in der Fertigung stehen heute auf gelenkschonenden Matten. Beim Heben schwerer Platten helfen hydraulische Tragehilfen, in den Büros wurden Tisch- und Sitzhöhen ergonomisch angepasst. Es gibt gemeinsame Radtouren, eine Laufgruppe und Yoga-Kurse zur Stressbewältigung. Und neuerdings nur noch zwei Plätze, an denen geraucht werden darf. Natürlich mache nicht jeder mit, sagt Detlef Kopke. Ausgezahlt hat sich das Engagement aber auf jeden Fall: „Die Motivation des Teams ist gestiegen, und wir haben weniger Erkrankungen als früher.“

Im Schnitt ist jeder Beschäftigte 18 Tage krank

Ausfalltage zu minimieren ist eines der Hauptziele betrieblicher Gesundheitsvorsorge, schließlich geht hier viel Geld und Produktivität verloren. Im Schnitt war 2011 jeder Beschäftigte im Handwerk knapp 18 Tage krankgeschrieben, so Zahlen der IKK Classic. Etwa 30 Prozent dieser Ausfalltage entstanden durch Erkrankungen von Muskeln, Skelett und Bindegewebe. Einer Krankheitsgruppe, die in Deutschland jährlich einen Ausfall von 16 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung verursacht und durch die allein 2009 rund 26000 Menschen vorzeitig aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Verbunden mit dem demografischen Wandel und Nachwuchsmangel in vielen Branchen ist Gesundheitsvorsorge daher längst eine Notwendigkeit, auch wenn sie oft noch vernachlässigt wird.

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Gesundheitsmanagement hilft Arbeitnehmern und Arbeitgebern

„Richtig umgesetztes Gesundheitsmanagement ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten“, sagt Stefan Ammel, Präventionsexperte bei der IKK Classic. „Ein positiver Einfluss auf das Betriebsklima ist immer erkennbar. Und mit mehr Zufriedenheit und Motivation sinken meist auch die Fehlzeiten.“ Für die Einführung empfiehlt Ammel einen kompetenten Ansprechpartner, der mit dem Betrieb geeignete Maßnahmen entwickelt. „Unternehmen sollten zu Beginn Prioritäten setzen“, sagt Ammel. „Wer mehrere Probleme auf dem Zettel hat, wählt am besten zuerst jenes, bei dem sich zügig Verbesserungen erzielen lassen - das schafft Akzeptanz.“

Stressfaktoren im Unternehmen reduzieren

Im Kern gehe es darum, dass möglichst alle Beschäftigten ihre beruflichen Belastungen genau kennen, denn Beschwerden entstünden oft durch die Kombination von individuellem Verhalten und negativen Einflüssen aus Arbeitsbedingungen. „Man setzt immer an beiden Seiten den Hebel an“, erklärt Präventionsexperte Ammel. Für Mitarbeiter mit Rückenbeschwerden sei das zum Beispiel neben einer ergonomischen Arbeitsweise und entsprechender Ausgleichsgymnastik auch die Möglichkeit, Aufgaben und Arbeitspositionen öfters zu wechseln und Stressfaktoren wie Termindruck zu reduzieren.

Durch das Drehen an verschiedenen Stellschrauben hat auch Kfz-Meister Hans-Dieter Morrkopf, Geschäftsführer eines Autohauses in Weingarten, die Gesundheit seines Teams gestärkt und Fehlzeiten reduziert. „Die Hauptproblematik ist bei uns im Unternehmen natürlich der Rücken“, sagt Morrkopf. Vor allem das Heben von schweren Lasten, etwa Rädern, und die gebückte Haltung über den Fahrzeugen haben bei den Mechatronikern in der Vergangenheit immer wieder zu Beschwerden geführt. Ein Mitarbeiter musste sogar wegen anhaltender Beschwerden vorzeitig in den Ruhestand gehen.

Morrkopf selbst litt durch langes Sitzen unter Verspannungen im Nacken. Ein Angebot der IKK Classic für mehr Rückengesundheit nahm das Autohaus deshalb gerne an.

Hauptbestandteil war die Rückenschule: Einmal pro Woche kam innerhalb eines begrenzten Zeit-raums morgens eine Wirbelsäulen-Trainerin in den Betrieb. Die Hälfte der Zeit war Arbeitszeit, die andere Freizeit der Mitarbeiter. Nicht alle im Team haben mitgemacht. „Aber alle, die Beschwerden hatten“, so Morrkopf. Und natürlich der Chef selbst und seine Frau, die den Betrieb im Büro unterstützt. „Jeder hat da ein paar Übungen mit rausgenommen“, sagt der 59-Jährige.

Gleichzeitig habe der Betrieb aber auch Hebeeinrichtungen für die Werkstatt angeschafft und die Arbeitsplätze im Büro verändert. „Ich selbst habe mir noch eine andere Brille zugelegt“, sagt Unternehmer Morrkopf. „Die verkrampfte Haltung liegt ja nicht nur am falschen Stuhl.“

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Betriebliche Gesundheitsvorsorge: Ursachen aufspüren

Sich über die Ursachen von Beschwerden im Klaren zu sein spielt bei der betrieblichen Gesundheitsvorsorge eine entscheidende Rolle. So entstehen etwa Rückenbeschwerden zum Großteil durch schwache Muskulatur und nicht wegen eines Schadens der Wirbelsäule. „Mit gezieltem Muskelaufbau lassen sich daher auch oft Beschwerden lindern, die schon viele Jahre bestehen“, sagt Dirk Ditchen, Experte für Rückengesundheit im Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Wie viel Veränderungen tatsächlich bewirken können, lässt sich aber nur ausprobieren, wenn das Mitarbeiterteam sich auch aktiv beteiligt. Wer etwa bei Wilfried und Mark Niemann in der Freizeit ins Schwimmbad oder in ein Fitnessstudio geht, kann sich dort einen Stempel geben lassen. Für vier Stempel spendiert das Unternehmen einen Tankgutschein in Höhe von zehn Euro. „Mit Geld kriegt man mehr Leute“, sagt der Gesundheitsbeauftragte Detlef Kopke. „Doch natürlich können nicht alle den inneren Schweinehund überwinden.“