Risikomanagement KFZ Fahrerflucht: Was tun, wenn es gekracht hat?

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Rund 1.600 Autofahrer werden pro Tag in Deutschland wegen einer Unfallflucht angezeigt. Und die Zahlen steigen – das hat unsere exklusive Abfrage bei den zuständigen regionalen Behörden ergeben. Wie sich Handwerksunternehmer schützen können und warum Sie auf keinen Fall selbst zum Täter werden dürfen.

Unfallflucht
»Treten gehäuft Unfälle auf, will die Versicherung bald mehr Prämie. Jeder Flottenversicherer hat eine Schmerzgrenze.« Johannes Brück, Versicherungmakler aus Düsseldorf. - © Meal_meaW/istockphoto.com

Wer sich die Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden ansieht, könnte glauben, dass Unfallflucht kein relevantes Thema in Deutschland ist. Für 2017 werden 39.864 Fälle aufgeführt. Wer aber wie handwerk magazin bei den zuständigen Behörden der Bundesländer nachfragt, erhält für 2017 eine ganz andere Zahl: 575.000 Unfallfluchten wurden insgesamt registriert, knapp 1.600 Fälle pro Tag. Das sind 14-mal mehr, als das Bundesamt ausweist. Der Grund für die Abweichung: Die Statistiker erfassen ausschließlich Unfallfluchten mit Personenschäden und schweren Sachschäden. Ein Abbild der Realität ist das nicht.

Handwerksunternehmer wissen, wie es wirklich aussieht – Sachschäden an ihrem Fuhrpark sind keine Seltenheit. Insbesondere wer häufig in der Stadt unterwegs ist, hat immer wieder mit Schäden an seinen Fahrzeugen zu tun. Beispiele für erlittene Schäden ohne Meldung durch den Unfallverursacher gibt es viele. So bleibt etwa der Besitzer eines Klein-Lkw aus Freiberg am Neckar auf rund 3.000 Euro Sachschaden sitzen, weil ein anderes Fahrzeug sein geparktes Auto beim Vorbeifahren touchiert hat. Der Unternehmer stellt seinen Wagen im Juni zum Feierabend auf der Straße „Am Altneckar“ ab. Zum Arbeitsstart am nächsten Morgen findet er sein Fahrzeug stark beschädigt vor. Vom Tatfahrzeug fehlt jede Spur, die Polizei aus Marbach sucht Zeugen. Ähnlich erging es einem Handwerker aus Dülmen. Er parkte seinen Firmensprinter auf der Straße Steinbach. Mittags hört er einen lauten Knall und stellt fest, dass der linke Außenspiegel mitsamt Elektronikeinbauten durch ein vorbeifahrendes Auto beschädigt wurde. Der Verursacher ist nicht zu finden.

Opfer und Täter

Handwerker sind aber nicht immer nur Opfer. Sie sind auch Täter. So sucht die Polizei aus dem schwäbischen Backnang derzeit einen roten Kleinlaster, der in der Nähe von Oppenweiler beim Abbiegen einen am rechten Fahrstreifen stehenden Mercedes streifte. Und die Polizei aus dem bayerischen Burghausen fahndet nach einem weißen Handwerkerfahrzeug mit vermutlich Hamburger Kennzeichen. Der Fahrer hatte nach einer Vorfahrtsverletzung einen Renault-Pkw gestreift und trotzdem seine Fahrt fortgesetzt.
Meist bleiben die Opfer auf ihrem Schaden sitzen. Weder für private Fahrer, noch für Unternehmer lohnt es, den Schaden der Versicherung zu melden. Sei es, weil die Aufklärungsquote mit knapp 40 Prozent ohnehin gering ist oder weil bei jeder Schadensmeldung eine Erhöhung der Versicherungsprämie droht. Bei kleinen Sachschäden dürfte die Aufklärungsquote noch niedriger sein, denn der polizeiliche Ermittlungseinsatz für kleine Schäden ist oft gering. Experten kalkulieren bei diesen Schäden mit einer jährlichen Summe, die weit über einer Milliarde Euro liegt.

Die Zeche zahlt immer der Versicherte

Was Handwerker tun können? „Nicht viel“, sagt Versicherungsmakler Johannes Brück aus Düsseldorf. Unter dem Strich würden sie die Schäden immer selbst bezahlen. Entweder über ihre Selbstbeteiligung, die heute in der Vollkaskoversicherung in der Regel zwischen 1.000 Euro und 2.000 Euro pro Schadenfall beträgt. Oder am Ende des Jahres durch eine verschlechterte Schadenquote und steigende Prämien. „Wer etwa bisher 10.000 Euro Nettoprämie gezahlt und für 7.000 Euro Schäden gemeldet hat, liegt mit einer Schadenquote von 70 Prozent in der Regel gerade noch an der Schmerzgrenze des Flottenversicherers“, erläutert Brück. Liegt die Schadenlast höher, müsse der Handwerker im nächsten Jahr mit Nachverhandlungen bei der Flottenpolice rechnen. Brück: „Entweder er zahlt mehr Prämie, oder die Selbstbeteiligung pro Schaden wird nach oben angepasst.“

Versicherer bestätigen, dass Fahrerfluchtschäden „nicht ausgesteuert werden können“– also nicht einfach unberücksichtigt bleiben können. Ein Vorgehen, das bei Großschäden im Flottengeschäft aber üblich ist. Dabei fließt nur ein Teil der gezahlten Schadensumme in die Betrachtung des Schadenverlaufes ein. Solche Ereignisse sind zufallsbedingt und werden daher herausgerechnet, um den positiven Durchschnittsverlauf der Flotte nicht zu belasten. „Das können wir bei Unfallfluchtschäden nicht machen“, sagt der Experte eines großen Flottenversicherers, der nicht genannt werden möchte. Der Grund: Es sei nicht beweisbar, welche Schäden selbst verursacht wurden und welche als Folge einer Unfallflucht entstanden sind.

Was Unternehmer tun können

„Das ist zwar wirklich kundenunfreundlich“, sagt er. Es gäbe aber keine Möglichkeit, anders zu handeln. Oft stünden die Fahrer auch vonseiten des Unternehmens stark unter Druck. „Sie haben vielleicht bereits in diesem Jahr mehrere Schäden selbst verursacht. Daher wird dann ein Eigenschaden als Unfallflucht dargestellt“, so die Erfahrung des Schadenmanagers. Oder die Fahrer begehen selbst eine Unfallflucht, um nicht noch einen Schaden melden zu müssen.

Daher fordert Klaus Berger, Geschäftsführer der RMSecur Consulting GmbH, der Risikoberatung der Schunck Group, beim Schadenmanagement von Handwerksunternehmern eine „offene und transparente Kultur“. So sollte dem Fahrer schon bei der Einstellung ganz klar gesagt werden, dass sich das Unternehmen Ehrlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Daher müsse jeder Schaden sofort gemeldet werden. Berger: „Die eigene Unfallflucht kann, weil das Fahrzeug ja oft das Firmenlogo trägt, echte Imageprobleme mit sich bringen.“ Es sollte eine Fehlerkultur gelebt werden und niemand aus Angst einen Crash verheimlichen müssen. Die sofortige Schadenmeldung sollte aber auch arbeitsrechtlich verankert werden. Gleichzeitig empfiehlt es sich, die Fahrzeuge regelmäßig auf Schäden zu kontrollieren, um sie notfalls dem richtigen Fahrer zuordnen zu können.

Wann selberzahlen sinnvoll ist

Thorsten Kuhr von der Bernhard Assekuranzmakler GmbH aus Sauerlach ist skeptisch, dass Unfallfluchtschäden mit klassischem Schadenmanagement in den Griff zu bekommen sind. „Die Schäden sind ja einfach Pech oder Schicksal, sie passieren.“ Er rät Handwerksunternehmern, solche „Frequenzschäden“ mehrheitlich selbst zu zahlen. Andernfalls bekämen die Versicherer tatsächlich schnell kalte Füße, die Kündigung drohe. Kuhr mahnt mehr Verantwortung an. Es dürfe nicht sein, dass so viele Autofahrer nach einem Parkrempler oder Streifschaden einfach wegführen. „Wer ein solches Verhalten mitbekommt, sollte sich das Kennzeichen notieren und den Täter bei der Polizei anzeigen.“ Das können Handwerksunternehmer ihren Mitarbeitern nahelegen. Unfallflucht wird hart bestraft, die Anzeige sei das einzig wirksame Mittel, um verantwortungsloses Verhalten einzuschränken.

Andreas Kutschera, Versicherungsberater aus Mönchengladbach, gibt zu bedenken, dass es nach einer Unfallflucht oft einen zweiten Weg gibt, um den Verursacher zur Verantwortung zu ziehen. „Wer über Zeugen das Kennzeichen hat, kann den Schadenersatz direkt beim gegnerischen Versicherer geltend machen“, so Kutschera. Das bringe vor allem eine Zeitersparnis. Denn werde angezeigt, ermittle die Staatsanwaltschaft – ein Vorgang, der dauert. Der Versicherer fordert meist Akteneinsicht, um zu prüfen, ob er seinen Versicherungsnehmer wegen Pflichtverletzung in Regress nehmen kann. So verzögert sich die Schadenregulierung dann schnell über Wochen. Laut Daniela Mielchen , Fachanwältin für Verkehrsrecht aus Hamburg, besteht aus strafrechtlicher Sicht tatsächlich keine Pflicht zur Anzeige einer Unfallflucht. „Allerdings kann es Probleme mit der eigenen Kfz-Versicherung geben, denn es kommt vor, dass der Unfallgegner seinerseits Ansprüche stellt.“ Ihr Tipp: Fragen Sie bei Ihrer Versicherung nach, ob Sie den Fall der Polizei melden müssen. Dann sind Sie auf der sicheren Seite.

Reduziertes Rangier-Risiko

Riskmanager Berger sieht noch eine Handlungsoption für Handwerksbetriebe. „Tatsächlich können wir aus unserer Schadendatenbank nachweisen, dass 45 Prozent aller Unfälle beim Rangieren passieren.“ Parken ist also ein Risikofaktor. Berger meint, Handwerker könnten sich die Umgebung vorab genau anschauen und klären, wo die Fahrzeuge am besten abgestellt werden können. Berger: „Vielleicht sind Absperrung und Kenntlichmachung der Baustelle möglich und sinnvoll.“ Zudem könne man den Auftraggeber mit ins Boot holen und ihn bitten, für ausreichend Parkraum zu sorgen. „Gelingt das nicht, sollte der Handwerker einen Schadenzuschlag einkalkulieren“, fordert der Riskmanager.

Für Handwerker, die viele kurze Einsatzorte haben, sei das Parken in den Innenstädten hingegen ein fast unlösbares Problem. Sie können Unfallfluchtschäden kaum ausweichen. „Trotzdem kann man auch diese Fahrer zu mehr Umsicht schulen“, glaubt Berger. Auch Anreizprämien oder Gutscheine für geringe Schadenquoten eines Fahrers sind ein Mittel, um die Schadensquote zu reduzieren. Wann eine Quote als zu hoch zu bewerten ist, weiß Berger aus seiner Praxis: „Wer kleine Flotten von bis zu zehn Fahrzeugen hat, die pro Jahr zehn versicherte Schäden und 15 Kleinschäden unterhalb der Selbstbeteiligungsgrenze haben, steht schlechter da als der Durchschnitt. Er sollte seine Fahrer schulen .

Versicherungsmakler Brück hat einen weiteren Vorschlag zur Reduzierung von kleinen Schäden an Handwerkerfahrzeugen. Er rät, für kurze Strecken auf E-Bike-Lastenräder umzusteigen. „Für zugeparkte Innenstädte könnte das eine imageträchtige, grüne Alternative sein.“ Als Firmenfahrzeug können diese Lastenräder ebenfalls gegen Schäden versichert werden.

Kostentreiber Reparatur

Wer häufig mit Lackschäden und kleinen Beulen zu tun hat, braucht eine geeignete Werkstatt, die diese Schäden nicht nur schnell, sondern auch kostengünstig instand setzt. Smart-Repair-Verfahren und die Spot Lackierung sind zwei Methoden, um Reparaturkosten zu senken. „Eine Untersuchung des Allianz Zentrum für Technik aus dem Jahr 2011 hat eine durchschnittliche Schadenhöhe für Park- und Manövrieransprüche von 1.698 Euro im Bereich Haftpflicht und 2.130 Euro im Bereich Kasko ergeben“, erzählt Johann Gwehenberger, Unfallforscher im Allianz Zentrum für Technik (AZT). Diese Kosten ließen sich mit obigen Verfahren reduzieren. In welcher Höhe, möchte der Experte aber nicht beziffern. „Das hängt maßgeblich von der Art des Schadens und der Größe des betroffenen Bauteils ab.“

Kostentreiber Leasing

Ist die Fahrsicherheit nicht gefährdet, können Handwerker auch schlicht auf die Reparatur von kleinen Blechschäden verzichten. „Dafür müssen sie aber aus dem Leasing aussteigen“, sagt Andreas Kutschera , Versicherungsberater aus Mönchengladbach. Denn diese Verträge sehen die Rückgabe eines einwandfreien Fahrzeugs vor. Welches Auto „verbeult“ bleiben darf, ist bei den unterschiedlichen Gewerken verschieden. Das Geschäftsführerfahrzeug und möglicherweise auch Servicefahrzeuge sollten weiterhin klassisch instandgesetzt werden. Kutschera: „Sie sind ja ein wichtiges Aushängeschild des Handwerkers.“

Die Rechtslage bei Flucht nach Unfall

Plus Tipps von Daniela Mielchen , Fachanwältin für Verkehrsrecht aus Hamburg. Wer in der Schrecksekunde falsch reagiert und wegfährt, seht sprichwörtlich „im Regen“. Mit schnellem Rechtsrat kann er die „Traufe“ meist vermeiden.

  1. Meldepflicht Als Versicherungsnehmer sind Sie verpflichtet, Ihrer Versicherung einen Schaden unverzüglich zu melden.
  2. Wartepflicht Ein Schadenverursacher darf den Unfallort auch nach der Meldung an die Versicherung nicht verlassen.
    Er muss auf den Geschädigten warten – wie lange, wird im Gesetz nicht eindeutig definiert und ist den Umständen geschuldet. Eine Stunde auf dem Parkplatz eines Supermarktes zu warten gilt als zumutbar. Wer nachts in einem Wohngebiet unterwegs ist, wird wohl weniger lange warten müssen.
  3. Pflichtverletzung Wer sich früher vom Tatort entfernt, begeht eine Obliegenheitspflichtverletzung, für die ihn seine Versicherung mit bis zu 5.000 Euro in Regress nehmen kann. Das geschieht in der Praxis jedoch nur dann, wenn der Versicherungsnehmer wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt wird.
  4. Vorsatz Die Behauptung, man habe den Unfall nicht bemerkt, kann den Unfallflüchtigen retten. Grund: Unfallflucht ist ein Vorsatzdelikt, wer nichts bemerkt hat, konnte auch nicht bewusst den Unfallort verlassen. Vorsicht: Die Strafverfolgungsbehörden schalten oft einen Gutachter ein. Stellt dieser fest, dass ein etwaiger Anstoß bemerkbar war, und wird der Täter daraufhin verurteilt, muss er nicht nur eine Geldstrafe zahlen, sondern auch die Verfahrens-kosten inklusive der meist hohen Gutachterkosten. Insgesamt kann eine Unfallflucht so den finanziellen Ruin bedeuten.
  5. Strafen Eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ist für Fahrerflucht möglich. Bei einem Ersttäter wird in der Regel eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen festgesetzt, wobei sich die Höhe des Tagessatzes an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters ausrichtet. Gleichzeitig muss der Täter mit einem Fahrverbot von einem bis zu sechs Monaten rechnen.
  6. Führerschein Unfall mit Personenschaden oder Sachschaden ab rund 1.300 Euro: Die Fahrerlaubnis wird meist entzogen, und für die Neuerteilung gibt es eine Sperrfrist von sechs bis zwölf Monaten. Ohne Führerschein kann der Täter dann auch seinen Arbeitsplatz verlieren.
  7. Rechtsschutzversicherung Eine Verkehrsrechtsschutzversicherung kann die Kosten absichern – achten Sie ­darauf, dass der Kostenschutz auch bei Fahrerflucht gilt. Wird der Unfallflüchtige nicht verurteilt, übernimmt jede Verkehrsrechtsschutzversicherung die Kosten.
  8. Ermittlungsverfahren Grundsätzlich sollten sich Betroffene, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, sofort an einen Verkehrsanwalt wenden. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) rät zudem zu eisernem Schweigen gegenüber der Staatsanwaltschaft, damit keine rechtlichen Fehler begangen werden.
Grafik: Rund ein Drittel der Unfallfluchten werden aufgeklärt
Unfallfluchten
© handwerk magazin/Uwe Schmid-Kasparek