Fachkräfte: Beste Köpfe gewinnen und halten

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Fachkräftemangel

Hörgeräteakustik vor Klimatechnik – laut neuer Studie führt das Handwerk die Hitliste aller Berufe mit den größten Fachkräfte­engpässen deutlich an. Wie Chefs in ihrem Betrieb gegensteuern können.

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    © Antonio Bello
    Anke Bünting-Walter, Hörgeräteakustikerin in Karlsruhe, lässt ihre Mitarbeiter zu Spezialisten ausbilden.
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    © Steinseifer
    „Der Lohn muss stimmen, erst dann kann die Arbeit­gebermarke auch greifen.“ Klaus Steinseifer, Chef der „Steinseifer ­Seminare“, einem der größten Weiterbildungsanbieter im Handwerk.
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    © Heitzer-Priem
    „Kleinbetriebe haben viele Vorteile; die Chefs müssen diese einfach klarer herausstellen.“ Ulrike Heitzer-Priem, ­Fachkräfteexpertin beim RKW-Kompetenzzentrum.

Ein Produkt verkaufen, das keiner haben will, und Kunden, die fast alle im Rentenalter sind – Hörgeräteakustikermeisterin Anke Bünting-Walter in Karlsruhe kennt die Klischees ihrer Branche: „Viele glauben, Hörgeräte sind nur was für alte Menschen, dabei ist das Einsatzspektrum heutzutage riesengroß.“ Die Palette reicht vom Arbeitsschutz über die Versorgung für Kleinkinder bis hin zum Gehörschutz für Musiker oder Funkanlagen. Da jeder Bereich spezielles Wissen erfordert, nutzt Anke Bünting-Walter die Nischen, um ihren Mitarbeitern nach der Ausbildung eine Perspektive zu bieten. „Viele Kunden wollen einen festen Mitarbeiter als Ansprechpartner, da muss ich mein Team natürlich möglichst lange zusammenhalten“, erklärt die Unternehmerin.

Neben der Möglichkeit der Spezialisierung gibt es im „Haus des Hörens“ auch flexible Arbeitszeiten, sodass die Mitarbeiter Beruf und Familie besser vereinbaren können. Fortbildungen und Entwicklungswünsche klärt die Chefin im Jahresgespräch gemeinsam mit dem Mitarbeiter, dazu kann jeder noch Verantwortung für Teilbereiche wie etwa die Einarbeitung der Azubis oder die Organisation von Veranstaltungen übernehmen. Zusammen mit der freien Produktwahl, die sie ihren Fachkräften im Gegensatz zu den großen Filialketten ermöglicht, hat es der Kleinbetrieb im Herzen von Karlsruhe bislang immer geschafft, genügend Azubis zu finden und die selbst ausgebildeten Fachkräfte weitestgehend im Betrieb zu halten.

Azubi-Mangel nicht unterschätzen

Was lange im Handwerk selbstverständlich war, ist inzwischen in der Hörgeräteakustikbranche die Ausnahme. Wie eine aktuelle Studie vom Kölner „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW) zeigt, kommen hier auf 100 offene Stellen bundesweit gerade einmal 34 potenzielle Kandidaten. Damit führt die Branche die von den IW-Experten ermittelte Hitliste der Berufe mit den größten Fachkräfteengpässen in Deutschland klar an.

Schuld an den vielen Top-Ten-Plätzen des Handwerks in der Fachkräfte-Engpass-Statistik sind allerdings nicht nur falsche Vorstellungen vom Berufsbild, sondern vor allem die mangelnde Sensibilität der Unternehmer. „Die Schmerzgrenze ist beim Thema Fachkräfte noch nicht erreicht“, bestätigt Klaus Steinseifer, Chef der „Steinseifer Seminare“ und größter privater Seminaranbieter im Handwerk. So klagen zwar viele Unternehmer darüber, momentan keine Azubis zu finden, halten das aber nicht für ein Problem. Ein Trugschluss, wie der Berater aus langjähriger Erfahrung weiß: „Die Betriebe finden auch später keine Azubis, wenn sie nichts ändern.“ Deshalb rät er dazu, die Vorteile als Arbeitgeber offensiv zu kommunizieren, etwa per Mitarbeiterbroschüre. Ulrike Heitzer-Priem vom RKW-Kompetenzzentrum Fachkräfte fordert das Handwerk dazu auf, sich nicht länger „unter Wert“ zu verkaufen: „Die meisten Homepages sind für die Kunden optimiert, über die Leistungen für die Mitarbeiter findet sich oft nichts.“

Erfolg durch aktive Kommunikation

Was Transparenz und Öffentlichkeit bewirken können, hat Sabine Schönberger, Geschäftsführerin von Schönberger Stahlbau und Metalltechnik in Wölsendorf, erfahren. Seit der Gründung ist der Betrieb darauf spezialisiert „zu arbeiten, wenn andere Pause haben“ (Schönberger), somit gehörten flexible Arbeitseinsätze für die Mitarbeiter zum Alltag. Das Konzept funktionierte prima, bis BMW im nahen Wackersdorf eine Produktion eröffnete und die Fachkräfte mit warmen Werkshallen und festen Schichten lockte. Ein Dilemma, das die Unternehmerin veranlasste, die Vorteile als Arbeitgeber vom Zeitkonto über die Kinderbetreuung bis zur betrieblichen Altersvorsorge aktiv zu kommunizieren. Dafür gab es von der Bayerischen Staatsregierung nicht nur einen Preis für Familienförderung und viel Öffentlichkeit, sondern der Betrieb erhält seitdem auch 30 Prozent mehr Initiativbewerbungen als früher.