Events: Fette Beats bei leckerer Wurst

In Berlin feiern junge Handwerker und Food-Aktivisten das Wurstmachen als laute Party mit House-Beats und DJ. Nebenbei geben sie dem Metzgerhandwerk eine ganz neue Bühne – und ein junges Image.

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    Onur Elci, Olaf Deharde, beide von der „Kitchen Guerilla“, und Hendrik Haase (von re.) feiern das Handwerk.
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Diskutierend steht Hendrik Haase mit zwei Gästen an einem Kleiderständer, von dem dünne und dicke, weiße und schwarze Würste an Fäden herunterbaumeln. Eine Hand am Bier, die andere greift zum handbeschriebenen Schild mit Informationen zur jeweiligen Wurst. Echtes Interesse, wertschätzendes Staunen. Zusammen mit rund 130 Leuten erleben sie die erste Wurstgalerie in der Berliner Malzfabrik. Hier darf die ausgestellte (Handwerks-)Kunst nicht nur betrachtet, sondern auch gleich probiert werden. Mit einem Messer, direkt vom Kleiderständer weg oder an einer der beiden Tafeln sitzend, an deren Kopfende Peter Inhoven sein Equipment aufgebaut hat. Der Metzgermeister ist aus Düsseldorf angereist. Wurst-Papst, Fleischstylist, Kult-Metzger nennen sie ihn dort. Mit seiner über 80 Jahre alten Füllmaschine produziert er live die Bratwürste, die kurze Zeit später – bei lautem Sound des DJs – fein angerichtet verzehrt werden.

Hendrik Haase ist Wurstblogger, Food-Aktivist, kulinarischer Kurator und an diesem Abend hauptsächlich Moderator. In seiner Tischrede erzählt er davon, dass das Metzgerhandwerk bedroht ist, wenn sich keiner darum kümmert. Er begeistert, erklärt, warnt, wünscht guten Appetit. Für viele ist es ein Spaß-Event unter Genießerfreunden, ja, aber eben mit Botschaft.

In der Szene geht es um die Wurst

Die Idee zur Wurstgalerie hatten die Jungs der mobilen Kocheinheit „Kitchen Guerilla“ schon 2012. Doch erst im Februar 2014 realisierten die Hamburger ihre kulinarische Ausstellung mit Live-Cooking-Performance zum ersten Mal. In Berlin, weil „cool“, dann im Mai auch in Düsseldorf. Als Köche sorgen sie dabei für die Gerichte, alle zum Thema „Füllen“, und haben auch sonst alles im Griff, vom Aufbau über den Service bis hin zum Video-Rückblick auf Youtube. „Wurst wird mehr Trend“, sagt Guerilla-Koch Koral Elci, der vorher eher eine Unterschätzung dieses Lebensmittels beobachtet hat.

Auch Metzger Inhoven versucht seit Jahren, das Interesse an Wurst und dem Fleischerhandwerk zu steigern. In letzter Zeit nahm er sich dafür die Sterne-Köche zum Vorbild, die es längst gewohnt sind, ihr Können vor großem Publikum zu zeigen. Mittlerweile hat er selbst zwei bis drei Auftritte pro Woche, von der Whisky-Messe bis zum Charity-Event. „Mit meinen Wurstauftritten erreiche ich Leute, die mir sagen: ‚Normalerweise esse ich überhaupt keine Bratwurst mehr, denn man weiß ja nicht, was da so alles drin ist; aber Ihre Bratwurstschau ist transparent, da kann man alles genau nachvollziehen. Ich hab noch nie so eine leckere Bratwurst gegessen.‘“

Party für das Fleischerhandwerk

Im Oktober trifft Moderator Haase die Kitchen Guerilla und Peter Inhoven in Sachen Wurst wieder. Dieses Mal auf dem Berliner „Stadt Land Food“-Festival in der Markthalle Neun. Knapp 100 000 Menschen besuchen das in Kooperation mit Slow Food und dem alternativen Agrar-Bündnis „Meine Landwirtschaft“ organisierte Festival an vier Tagen und passieren am Wochenende auch die „Werkstatt Wurst“. Im Zweistundentakt bekommen Bratwurst-Kreateure wie Inhoven hier eine Bühne oder, besser gesagt, eine Art „gläserne Manufaktur“ und zerlegen, schnippeln, würzen, füllen – alles per Hand. 5000 Würste werden so in zwei Tagen hergestellt und gleich nebenan gegrillt, auch türkische Sucuk und italienische Salsiccia. Nordfranzösische Schweinebratwurst stellt der Berliner Fleischermeister Jörg Förstera von den Wurstkomponisten vor: Saucisse de Toulouse mit geräucherter Paprika, Weißwein, Sahne und frisch geriebener Muskatnuss. Über ein Headset ist er akustisch mit seinem Publikum verbunden. Hinter der transparenten Wand sind alle rund 60 Kopfhörer vergeben, die Zuschauer verfolgen jeden seiner Arbeitsschritte, lauschen, woher das Fleisch kommt, verstehen, dass gute Produkte ihre Zeit brauchen. Sie gehen rüber zum Grill und lecken sich nach der Saucisse die Finger. Nächster Programmpunkt: Schafskäse-Bärlauch-Bratwurst von der Küste, gefertigt von den jungen Metzgermeistern vom LandWert Hof in Stahlbrode.

Nur acht Tage später sind Maik Boeck und Benjamin Jacobi, die LandWert-Metzger, schon wieder in Berlin. Das nächste Food-Event rollt über die Stadt, die erste Berlin Food Week mit dem Kaufhaus Jandorf als Hauptlocation. „From Nose to Tail“ heißt ihr Fleisch- und Wurst-Happening. In zwei Durchgängen wird jeweils ein halbes Schwein zerlegt. „Die Strömung, alle Teile eines Tieres zu verarbeiten – betitelt mit ‚From Nose to Tail‘, erlebt gerade in Berlin großen Zulauf und findet viele überzeugte Anhänger“, sagt Michael Hetzinger, Pressesprecher der Berlin Food Week. „Dabei geht es nicht nur um Aufklärung und darum, Bewusstsein zu schaffen, sondern auch um den Genussaspekt.“ Etwa 1500 Besucher interessieren sich an diesem Sonntag dafür. Einige dürfen sogar mit anpacken. Andere verfolgen das Geschehen über einen der drei Monitore. Sie sehen darauf einen modernen Weg für Fleischer, sich und ihr Handwerk zu präsentieren.