Europäische Volkspartei (EVP)/CDU+CSU: Manfred Weber Europawahl 2019: "Große ­Themen lösen"

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Europapolitik und Europawahl 2019

Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), will mit einer Mittelstandsklausel kleine und mittlere Unternehmen von europäischer Bürokratie befreien.

Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP)
Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten und Fraktionsvorsitzender. - © Liselotte Sabroe/dpa
Herr Weber, wie wollen Sie ein Auseinanderdriften von Europa verhindern?

Wir haben zehn Jahre Krisenmanagement – Wirtschafts-, Finanz- und Migrationskrise – hinter uns. Europa wird heute zu sehr als eine Union der Wirtschaft, Banken, Rettungsschirme wahrgenommen. Es macht oft nur Schlagzeilen, wenn etwas schlecht läuft. Doch wir haben viel erreicht: 13 Millionen neue Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren, 2018 zwei Prozent Wirtschaftswachstum und eine Neuverschuldung der Euro-Staaten von 0,8 Prozent, also deutlich unter der 3-Prozent-Grenze. In der Steuerung und Begrenzung der Migration kommen wir voran. Beim Klimaschutz sind wir weltweit Vorreiter. Jetzt darf es zu keiner Spaltung zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West kommen. Manche befeuern diese Spaltung bewusst. Ich möchte Brücken bauen. Für uns bedeutet das zum Beispiel, dass wir mehr wahrnehmen, welche Probleme die nächste Generation im Süden Europas hat, Stichwort Arbeitslosigkeit. Oder dass Menschen in Mittel- und Osteuropa etwa die Identität Europas viel emotionaler sehen.

Wo würden Sie die Grenze zwischen nationalen und europäischen Aufgaben und Gesetzgebungen sehen?

Europa muss sich um die großen Fragen kümmern, nicht um die kleinen. Alles, was auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene genauso gut oder besser gemacht werden kann, sollte auch dort gemacht werden. Eine von mir geführte Kommission wird Respekt gegenüber nationalen und regionalen Interessen haben. Die EU hingegen muss sich vor allem um die Konzerne kümmern, und weniger um die Detailvorschriften für Mittelstand und Handwerk. Ich plane mit den nationalen Parlamenten eine Vereinbarung zu treffen, um welche Themen sich die EU in den kommenden fünf Jahren kümmert und wo sie sich raushält.

Sie fordern mehr Soziale Marktwirtschaft, mehr Wettbewerb, weniger Zentralismus. Wie soll das gehen? Die Forderung nach weniger Gurkenkrümmung kam aus der deutschen Lebensmittelindustrie.

Sie haben Recht. Deshalb sind die EU-Staaten, Unternehmen und Verbände genauso gefragt, ihren Beitrag für ein besseres und weniger bürokratisches Europa zu leisten. Ich möchte einen europäischen Normenkontrollrat einsetzen, um besser zu prüfen, welche Gesetzgebung wirklich notwendig ist und welche nicht. Das Thema Bürokratie ist ein Dauerthema. Die Kommission von Jean-Claude Juncker hat eine gute Bilanz. In den vergangenen vier Jahren gab es keine neue Verordnung für Glühbirnen oder Gurkenkrümmung.

Was muss geschehen, damit Europa nicht das der multinationalen Konzerne, sondern der mittelständisch geprägten Wirtschaft wird?

Es ist für den Mittelstand bestimmt kein Nachteil, sollte mit mir jemand Kommissionspräsident werden, der als Ingenieur selbst zwei kleine Firmen gegründet hat. Mir sind die Probleme unserer heimischen Wirtschaft bewusst. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir die Bedürfnisse der kleineren und mittleren Unternehmen in der europäischen Gesetzgebung besser berücksichtigen. Das ist ein großes Thema. Deshalb kann ich mir beispielsweise eine Mittelstandsklausel vorstellen, also dass kleine und mittlere Unternehmen von der Anwendung mancher Gesetze ausgenommen werden.

Steuerharmonisierung anstatt Steuerwettbewerb?

Bei den Unternehmenssteuern braucht es Bewegung. So sollte es einheitliche Bemessungsgrundlagen geben, etwa einheitliche Regeln, wo Unternehmen besteuert werden. Wir wollen, dass alle Unternehmen ihre Steuern da zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften.

Unsere duale Ausbildung ist angeblich ein Exportschlager, doch viel tut sich hier im europäischen Ausland nicht. Oder täusche ich mich?

Unsere duale Ausbildung kommt im Ausland auf jeden Fall gut an. In vielen Ländern, wie Frankreich und Spanien, sind hierzu Initiativen angelaufen. Allerdings ist das ein längerer Prozess. Man muss den Unternehmen erst einmal klarmachen, dass es sich lohnt, Lehrlinge auch in der Ausbildung zu bezahlen, selbst wenn die Gefahr besteht, dass sie nach dem Abschluss der Ausbildung in einen anderen Betrieb wechseln. Es gibt meist erstmal eine geringere Anzahl an Ausbildungsplätzen, etwa in Form von Pilotprojekten. Ich bin aber zuversichtlich, dass dieses Modell in den Ländern wirklich Fuß fassen kann, weil gute ausgebildete Fachkräfte ein zentraler Motor für die Wirtschaft sind.

Macht es Sinn, wenn jungen Menschen aus Portugal oder anderen südeuropäischen Ländern uns helfen, den Fachkräftemangel zu bewältigen?

Mich persönlich würde es am meisten freuen, wenn sich die jüngere Generation wieder mehr für Ausbildungsberufe interessieren würde. Aber solange wir so viele unbesetzte Lehrstellen haben, müssen wir natürlich versuchen, diese auch irgendwie zu besetzen. Das ist zurzeit ein echtes Problem in vielen Betrieben. Dagegen gibt es in vielen südeuropäischen Ländern noch immer Jugendarbeitslosigkeit über 30 Prozent. Wenn es gelingt, beide Seiten zusammenzuführen, wäre das natürlich zum Nutzen aller. Allerdings müssen wir uns auch der Erkenntnis stellen, dass die langfristige Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt häufig ein Problem ist.

Die Diskussion um die deutsche Meisterpflicht als Maßnahme der Marktabschottung scheint erst einmal beendet, richtig?

Der Meisterbrief ist in Deutschland kein Instrument der Marktabschottung, sondern schlicht ein Garant für die hohe Qualität in unserem Handwerk. Wir als Unionsparteien stehen daher voll hinter der Meisterpflicht. Sämtliche Vorschläge der EU-Kommission im Rahmen des Dienstleistungspakets, die dafür eine Gefährdung mitgebracht hätten, konnten wir so verändern, dass die Meisterpflicht nicht in Gefahr ist.

Steuerharmonisierung anstatt Steuerwettbewerb ist doch eine gute Idee, um Steuerschlupflöcher wie Irland oder Malta zu stopfen?

Die Gerechtigkeitsfrage bei der Steuerpolitik ist ein großes Thema. Es kann schlicht nicht sein, dass manche Internetriesen mit minimalen Steuersätzen davon kommen während der Handwerker oder Mittelständler anständig seine Steuern zahlt. Die Steuerpolitik fällt grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip und damit ist klar, dass Ergebnisse schwierig sind. Aber zumindest bei den Unternehmenssteuern braucht es Bewegung. So sollte es einheitliche Bemessungsgrundlagen geben, etwa einheitliche Regeln, wo Unternehmen besteuert werden. Wir wollen, dass alle Unternehmen ihre Steuern da zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Dann kann dadurch nicht mehr so einfach ein Steuerschlupfloch entstehen, weil es sich das Unternehmen nicht mehr aussuchen kann, wo es seine Steuern zahlt. Im Moment blockieren die EU-Finanzminister hier aber einen Fortschritt.

Die Zinswende in Europa scheint erst einmal abgeblasen. Sehen Sie Anzeichen, dass die EZB den Zins wieder anhebt? Was muss passieren, damit das wieder eintritt?

Für mich ist klar, dass die Zinswende Stück für Stück kommen muss. Die Wirtschaft ist europaweit viel robuster als vor einigen Jahren, der Euro steht stabil. Die EZB hat die Zinswende immer daran geknüpft, wie sich Inflation entwickelt und die ist noch immer nicht bei den anvisierten zwei Prozent angekommen, steigt aber langsam. Ich erwarte, dass die EZB entsprechend in absehbarer Zeit ihren Kurs ändert.

Kann man wirklich behaupten, dass Europa sei keine Transferunion? Sie ist es doch schon längst … alles andere wäre doch Populismus?

Die EU ist eine Solidargemeinschaft. Deshalb wird innerhalb der EU natürlich auch Geld transferiert, vor allem über die Regionalförderung. Dabei geht es aber nicht um einen Finanzausgleich, sondern um die Förderung konkreter Projekte, der Infrastruktur oder den Agrarsektor. Es sind also zweckgebundene Mittel, die den Menschen vor Ort zugutekommen und nicht dem allgemeinen Staatshaushalt. Diese Strukturförderung ist – bei allen notwendigen Weiterentwicklungen – übrigens ausgesprochen erfolgreich, wenn Sie sich die Entwicklung im Süden oder Osten Europas ansehen, aber zum Beispiel auch in schwächeren Regionen Deutschlands. Eine Transferunion würde dagegen bedeuten, dass sich Staaten zu einem regelmäßigen Finanzausgleich untereinander verpflichten. Die linken Parteien in Europa wollen hier insbesondere Eurobonds schaffen, die letzten Endes zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führen würden. Genauso sprechen sie sich zum Teil für eine Vereinheitlichung der Sozialsysteme aus. Das ist mit uns nicht zu machen. Es muss weiterhin gelten, dass das Eigenverantwortungsprinzip gilt.

Bitte drei kurze Stichworte, wie wir das Migrationsproblem von Europa lösen können.

Wirksamer Schutz und Kontrolle der Außengrenzen sowie Kampf gegen die illegale Migration, Bekenntnis zu unseren humanitären Verpflichtungen und Bekämpfung der Fluchtursachen sowie Hilfe für die Herkunftsländer.

Warum sollte man zur Wahl gehen?

Die Europawahl am 26. Mai ist eine Richtungswahl, welches Europa es in Zukunft geben soll: Eines der Partnerschaft oder des Gegeneinanders. Es kann passieren, dass die Radikalen im Europäischen Parlament so stark werden, dass sie verschiedene Entscheidungen blockieren können. Und dann würde Europa stillstehen. Ich möchte die Menschen wachrütteln. Ein Blick nach Großbritannien macht deutlich, was passiert, wenn Populisten und Nationalisten die Oberhand bekommen: Dort herrschen politisches Chaos, wirtschaftliche Unsicherheit und die Gesellschaft wird gespalten. Das darf nicht auf die anderen EU-Staaten übergreifen. Deshalb bitte ich darum, die Wahl ernst zu nehmen, und natürlich auch um das Vertrauen der Wähler.

Mit welcher Wahlbeteiligung rechnen Sie?

Es würde mich freuen, wenn es geling, die Wahlbeteiligung gegenüber 2014 zu steigern. Es darf nicht passieren, dass die Menschen – wie beim Brexit-Referendum – am Tag nach der Wahl aufwachen und sich in einem Europa wiederfinden, das von Populisten und Nationalisten dominiert wird. Meine Wahrnehmung ist aber, dass die Zahl derer steigt, denen sehr bewusst ist, dass die Europawahl keine Nebenwahl ist.

Herr Weber, besten Dank für das Gespräch.

Manfred Weber (46) ist europaweiter Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des Kommissionspräsidenten und Spitzenkandidat von CDU und CSU zur Europawahl. Seit 2014 führt er die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.

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