Erfahrungsschätze sichern

Wissenstransfer - Wenn Mitarbeiter ausscheiden oder der Chef sich zurückzieht, verliert der Betrieb oft wertvolles Know-how. Vermeiden lässt sich das verblüffend einfach: durch Geschichten erzählen.

Im Handwerk sank die Zahl der neuen Ausbildungsverträge leicht. - © sturti- iStockphoto

Erfahrungsschätze sichern

Zugegeben, ohne seine Schwiegertochter, die sich als Beraterin seit Jahren mit dem Thema Wissenstransfer beschäftigt, wäre Ralf Mago wohl nicht auf die Idee gekommen, die anstehende Firmenübergabe erzählerisch in Angriff zu nehmen. Oder, um es wissenschaftlich korrekt auszudrücken: mit der Storytelling-Methode, die in Amerika ihre Ursprünge hat.

Mago ist 65 Jahre alt, seit 40 Jahren führt er einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb in Erkrath. Ein stolzes Unternehmerleben, das natürlich einiges an Höhen und Tiefen bietet. Mitte 2010 will er den Stab weitergeben. Doch trotz mehrmonatiger Vorbereitung lief nicht alles optimal. Immer wieder schlingerten die zukünftigen Unternehmer – sein Sohn Jörg und der langjährige Mitarbeiter Thomas Reinsdorf – bei Problemen, deren Lösung für ihn selbstverständlich ist. Mago: „Offenbar wissen sie noch nicht, was ich weiß.“

Eine ernüchternde Erkenntnis. „Aber weder ungewöhnlich noch neu“, wie Dr. Ali Gholamazad, Projektleiter am Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik in Hannover, betont. Gerade im inhabergeführten Handwerk konzentriert sich das Wissen oft auf eine einzige Person, gleichzeitig aber gibt es keine standardisierten Kommunikationsprozesse. Ohne eine klare Ansage vom Chef, so Gholamazad, passiert auch nichts.

Leichter durch den Alltag kommen

Um das Phänomen in den Griff zu bekommen, arbeiten die Experten des Instituts an einer systematischen Verbesserung des Informationsflusses. Nicht nur der gelungene Generationswechsel oder der Wissenstransfer beim Ausscheiden von Mitarbeitern stehen dabei im Fokus, sondern auch die Verbesserung der täglichen Abläufe, die Vermeidung von Doppelarbeit, die Verbesserung der Produktivität und der reibungsfreiere Umgang mit Kunden oder Auftraggebern. Bei dem seit Juni 2009 in Hannover durchgeführten Projekt sollen nun bereits in der Industrie erprobte Methoden für das Handwerk aufbereitet werden. Eine davon, das von amerikanischen Experten „Storytelling“ getaufte Verfahren, stuft Handwerksexperte Gholamazad nach seinen Erfahrungen auch im Handwerk als „sehr erfolgversprechend“ ein (siehe Interview Seite 34).

Nicht die Übermittlung von Faktenwissen steht dabei im Mittelpunkt, sondern das Weitergeben von „Erfahrungen“, wie dies die Münchner Kommunikations- und Storytelling-Expertin Sigrid Hauer ausdrückt. „Ziel ist es, vorhandenes Wissen in einem Betrieb so aufzubereiten, dass möglichst alle es nutzen können“ (siehe Seite 34).

Grundsätzlich lässt sich Storytelling bei großen Prozessen wie Übergaben und Umstrukturierungen genauso anwenden wie im Alltag. Nicole Leiffermann, Unternehmerfrau des Jahres 2008, hat in ihrer Wunstorfer Tischlerei regelmäßige Erzählrunden eingeführt. Seitdem gibt es nicht nur jeden Morgen eine Teamsitzung, in der die Tagesplanung besprochen wird, sondern zusätzlich monatliche Teamsitzungen. Themen: Wie läuft es bei den Kunden? Wo gibt es Probleme, was sind besonders schwierige Auftraggeber?

Einfach war die Einführung nicht. Das gibt Leiffermann unumwunden zu. Die größte Hürde: Das Team, alles gestandene Männer, dazu zu bringen, überhaupt zu reden. „Am Anfang“, erinnert sie sich mit Grausen, „hat einfach keiner was gesagt.“ Inzwischen aber haben alle gemerkt, dass gerade das Erzählen der Alltagsgeschichten den anderen hilft. Heute kann jeder für jeden einspringen. Wird er mit einem Problem konfrontiert, hat er längst davon gehört – und kennt auch die Lösungswege.

Experte Gholamazad weiß um die Hemmnisse,

Experte Gholamazad weiss um die Erkenntnisse, die Leiffermann erlebte. Neben den Beraterkosten bei größeren Projekten sind es oft psychologische Blockaden – gerade bei Männern –, die Wissenstransfer verhindern: Angst überhaupt zu reden, Angst von Fehlern zu reden und sich zu blamieren. Überwinden lassen sich die Barrieren laut Experte am Besten mit Hilfe von außen.

Vorsprung durch Wissen

Ralf Mago war vollkommen verblüfft über „die Masse an Ereignissen“, die er im Laufe seines Berufslebens bewältigt hat. Zudem wurde ihm durch das Erzählen klar, warum es manchmal harkte bei der Wissenweitergabe an seine Nachfolger. „Die haben eben nicht erlebt, was ich erlebt habe – ich muss es ihnen erzählen.“

kerstin.meier@handwerk-magazin.de