Erbschaftsteuer: Verfassungsrichter kippen Steuerprivilegien

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Erbschaftsteuer und Nachfolge

Das Bundesverfassungsgericht hat das lang erwartete Grundsatzurteil zur Erbschaftsteuer gefällt. Die gute Nachricht für Handwerksbetriebe: Sie dürfen auch zukünftig mit weitgehender Steuerverschonung durch den Gesetzgeber rechnen, wenn sie Arbeitsplätze erhalten. Allerdings müssen sie wohl stärker als bisher zwischen privatem und betrieblichem Vermögen trennen.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden. - © Digitalstoc

Das Bundesverfassungsgericht hat zum dritten Mal innerhalb der letzten zwanzig Jahre Teile des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt (Az.: 1 BvL 21/12). Die Verschonungsregelungen bei Firmenübertragungen verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes, weil sie Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens ungleich behandelten. Gleich zu Beginn stellt das höchste deutsche Gericht allerdings klar, dass es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers liegt, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen.

ZDH-Präsident appelliert an die Politik

Das ist nach Einschätzung von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), die gute Nachricht der Entscheidung. „Betriebsvermögen von kleinen und mittleren Betrieben, die in personaler Verantwortung geführt werden, dürfen im Erbfall verschont werden. Die Politik muss bei der weiteren Reform der Erbschaftsteuer diesen Grundsatz berücksichtigen“, fordert Wollseifer. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner heutigen Entscheidung klar, dass der Gesetzgeber nicht gehindert sei, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förderziele zu verfolgen. „Er verfügt über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält und welche Verschonungen von der Steuer er zur Erreichung dieser Ziele vorsieht. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Je nach Intensität der Ungleichbehandlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundesverfassungsgericht führen“, betonte das Gericht.

Arbeitsplatzerhalt muss künftig nachgewiesen werden

Die schlechte Nachricht schickte das Bundesverfassungsgericht gleich hinterher. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens sei insofern unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Ebenfalls unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sind nach Ansicht der Karlsruher Richter die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 Prozent. Nach bisheriger Rechtslage mussten Handwerksbetriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern keinen Nachweis erbringen, dass sie über mindestens fünf Jahre nahezu alle Arbeitsplätze erhalten hatten, um von der Erbschaftsteuer befreit zu werden. Außerdem konnten sie bis zu 50 Prozent nicht betriebsnotwendigen Vermögens wie etwa Immobilien vor der Erbschaftsteuer retten.

Wirtschaft nicht das Rückgrat brechen

Damit ist die Sache erledigt. Zumindest formaljuristisch. Denn jetzt muss die Bundesregierung bis 30.06.2016 das in Teilen marode Erbschaftsteuerrecht reformieren. „Der Gesetzgeber ist jetzt gefordert, schnell ein neues Gesetz zu erarbeiten, das den hohen Anforderungen der Verfassungsrichter genügt“, mahnt Rechtsanwalt Christian Rödl von Rödl & Partner. „Das Urteil darf aber nicht als Feigenblatt für eine Steuererhöhung missbraucht werden. Wer die Unternehmensnachfolge durch Steuern übermäßig belastet, bricht der deutschen Wirtschaft das Rückgrat. Angesichts des geringen Volumens und der hoch komplexen Anforderungen wäre es die beste Lösung, die Erbschaftsteuer abzuschaffen. Das würde einen Investitionsschub auslösen und die Konjunktur beflügeln. Die Gegenfinanzierung des Steuerausfalls über die Einkommensteuer wäre der richtige Weg.“

Verkaufslawine losgetreten

Doch welches Recht gilt für den Übergangszeitraum? Und was ändert sich für Handwerksbetriebe? „Für alle bestandskräftigen und nicht mehr änderbaren Steuerbescheide sind aus der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Konsequenzen zu erwarten - diese Bescheide bleiben unverändert bestehen“, gilt die Steuerrechtsexpertin Jana Ilchmann von Brandi Rechtsanwälte in Bielefeld Entwarnung. „Auch vorläufige Steuerfestsetzungen bleiben zunächst vorläufig bestehen. Unzulässig ist hier eine Änderung der Bescheide zuungunsten des Steuerpflichtigen.“ Und der Münchener Fachanwalt für Erbrecht Anton Steiner erklärt: „Für Schenkungen und Erbschaften bis zum 30.06.2016 kann alles beim Alten bleiben, da das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist gewährt hat, um nachzubessern. Erfahrungsgemäß wird die Politik diese Frist voll ausschöpfen“. Steiner, der zugleich Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht e.V. ist, geht allerdings davon aus, dass viele Handwerksbetriebe noch vor dem 30. Juni 2016 veräußern werden, da bis dahin an die Steuerbefreiung nicht der Nachweis des Arbeitsplatzerhalts geknüpft werde.

Spätere Reue nicht ausgeschlossen

Ein Unsicherheitsfaktor für Unternehmensübergaben in der nächsten Zeit bleibt allerdings. Denn das Bundesverfassungsgericht schreibt, dass die Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen es dem Gesetzgeber nicht verbietet, rückwirkend auf den heutigen Tag der Urteilsverkündung eine Verschärfung des Erbschaftsteuerrechts einzuführen, mit der einer „exzessiven Ausnutzung“ der bisherigen Steuerprivilegien ein Riegel vorgeschoben werden kann. „Diese Einschränkung des Bundesverfassungsgerichts wird der Beraterschaft noch Kopfzerbrechen bereiten“, sagt Rechtsanwalt Christian Rödl. Es spreche zwar Einiges dafür, dass das Bundesverfassungsgericht damit lediglich Bezug auf missbräuchliche Strukturen in Form von Cash-GmbH´s und Betriebsaufspaltungen gemeint habe. „Ich traue mich aber nicht, jetzt zu sagen, Unternehmer hätten bis 2016 Zeit“, so Rödl.

Berater stochern im Nebel

Eine weitere Unsicherheit dürfte für Handwerksbetriebe darin liegen, dass die Verfassungsrichter die bisherige Möglichkeit einkassiert haben, Betriebsvermögen bis zur Hälfte aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen wie etwa Bargeld oder Immobilien von der Erbschaftsteuer zu befreien. Eine genaue Größenvorgabe hat das Bundesverfassungsgericht in der heutigen ausführlichen Pressemitteilung nicht gemacht. Christian Rödl gesteht insofern für die gesamte Beraterbranche ein: „Im Grunde genommen stochern wir derzeit im Nebel. Denn das Bundesverfassungsgericht hat weder definiert, ab welcher Kennzahl ein Betrieb ein großes Unternehmen ist, noch hat es festgelegt, bis zu welcher Grenze künftig nicht betriebsnotwendiges Vermögen privilegiert werden darf“. Laut Rödl ist nur eines derzeit klar: „Für die großen Unternehmen wird sich das Erbschaftsteuerrecht verschlechtern“. Der Grund: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, hier eine Bedürfnisprüfung einzuführen. Das dürfte darauf hinauslaufen, dass künftig nur diejenigen Großunternehmen von der Erbschaftsteuer befreit werden, die aufgrund von Liquiditätsengpässen bei Zahlung der fälligen Erbschaftsteuer in ihrer Existenz gefährdet wären.

Halbherzige Entscheidung

Laut dem Erbrechtsexperten Steiner enthält das Erbschaftsteuerrecht enorme Ungerechtigkeiten, „mancher erbt wenig und zahlt viel, anderer erbt viel und zahlt nichts.“ Dies liege daran, dass die Politik von dem eigentlichen Grundgedanken des Erbschaftsteuerrechts, eine Bereicherung moderat zu besteuern, mit zahlreichen Ausnahmen abgewichen sei. „Die Besteuerungsgerechtigkeit ging dabei über Bord. Das Bundesverfassungsgericht hat dies erkannt, aber leider nicht kraftvoll die erforderliche Konsequenz gezogen. Stattdessen fordert es nur Detailkorrekturen bei der Besteuerung von Unternehmen. Dies geht an dem eigentlichen Gerechtigkeitsproblem vorbei und führt nur dazu, dass Steuerbürger und Unternehmen noch stärker bürokratisch gegängelt werden.“ Das Deutsche Forum für Erbrecht e.V. fordert deshalb, künftig jeden Erbfall moderat und gerecht zwischen zwei und zehn Prozent zu besteuern. Unternehmen müssten sachgerecht bewertet werden. Und das unternehmerische Risiko müsse durch entsprechende Wertabschläge berücksichtigt werden.

Mittelstand fordert völlige Abschaffung

Noch wenige Stunden vor Verkündung des heutigen Urteils forderte der Mittelstand die Große Koalition zum Handeln auf. „Statt eine verfassungsrechtlich wackelige Reform nachzubessern, gehört diese unternehmensfeindliche Steuer komplett abgeschafft“, betont Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft e.V. (BVMW). „Bereits versteuertes Betriebsvermögen abermals zu versteuern, bedroht die Existenz von jährlich 27.000 Familienunternehmen, in denen der Generationswechsel ansteht. Damit stehen rund 400.000 Arbeitsplätze pro Jahr auf der Kippe. Die Investitionsquote würde ihre Talfahrt fortsetzen. Meldungen über Betriebsverlagerungen ins Ausland würden zunehmen“, warnt Ohoven. Deutschland solle sich ein Beispiel an vielen seiner europäischen Nachbarländer nehmen, so der Mittelstandspräsident. Österreich und die Schweiz haben die Erbschaftsteuer bereits abgeschafft. Polen, die Niederlande und Luxemburg haben sie weitgehend entschärft. „Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber das Problem bei der Wurzel packt. Der Mittelstand erwartet ein klares Signal für mehr Investitionen und weniger Bürokratie“, fordert Ohoven.

Staatsbeteiligung für klamme Unternehmen

Im Vorfeld der Entscheidung hatten sich jüngst die politischen Lager der Großen Koalition über die Medien positioniert, obwohl im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart worden war, an der Erbschaftsteuer nicht mehr zu drehen, als das Bundesverfassungsgericht vorgibt. Während die CDU-Vertreter dafür plädieren, die Erbschaftsteuer bei Familienunternehmen nicht zu erhöhen, um weiterhin einen reibungslosen Generationswechsel zu gewährleisten, sinnierten SPD-Politiker darüber, wie man Unternehmern die künftig erwartete höhere Erbschaftsteuer über 10 Jahre stunden könne. Der SPD-Vize Ralf Stegner schlug gar in der FAZ vor, Erben zu erlauben, mit Unternehmensanteilen ihre Steuerschulden zu begleichen. Im Klartext heißt das: Der Staat wird Anteilseigner. Stegner stellt sich das so vor, dass die einzelnen Bundesländer die Beteiligungen in einem Sondervermögen bündeln. Das bedeutet: Die Anteile werden dort lediglich geparkt, der Staat soll keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik der einzelnen Unternehmen ausüben. Das jährliche Aufkommen der Erbschaftsteuer beträgt derzeit rund 4,5 Milliarden Euro. Durch die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen nahm der Staat zwischen 2009 und 2012 rund 18 Milliarden Euro weniger ein. Befürworter einer weitgehenden Verschonung führen allerdings an, dass dadurch die Investitionsbereitschaft der Familienunternehmer gestärkt werde und der Staat unter dem Strich durch andere Steuerquellen mehr einnehme.