Die Stimmungsmacher

Konjunkturprognosen | Die Trefferquote der Wirtschaftsforscher ist umstritten, aber ihr Einfluss auf Politik und Wirtschaft ist groß. Für 2010 sind sich die großen Institute einig: Das Schlimmste ist vorbei.

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Die Stimmungsmacher

Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), verblüffte im Frühjahr die Zunft der Konjunkturprognostiker: Er weigerte sich, angesichts des Rekordeinbruchs der deutschen Wirtschaft, eine Einschätzung für 2010 abzugeben. „Seit der Verschärfung der Finanzkrise liefen die Prognosen der Entwicklung hinterher“, begründete Zimmermann seinen Entschluss. Sämtliche Prognostiker, das DIW inbegriffen, hätten die Entwicklung in all ihrer Dramatik so nicht vorausgesehen.

Die Ehrlichkeit des DIW-Präsidenten brachte ihm manche Häme von Kollegen ein, aber auch Respekt. Wolfgang Clement, ehemaliger Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und Bundeswirtschaftsminister nannte es einen „ungewöhnlichen, aber aus meiner Sicht nachvollziehbaren Schritt, wenn man sich erinnert, dass die prognostizierten Daten vor einigen Monaten noch zwischen minus 1 bis minus 6 Prozent schwankten“ (siehe Interview auf Seite 24).

Berechtigte Kritik

Nicht erst seit der Wirtschaftskrise stehen die Forscher in der Kritik. Wertet man die reine Treffsicherheit der Wachstums- oder Schrumpfungsprognosen aus, scheint sie durchaus berechtigt. Bisweilen liegen ihre Prognosen nicht nur klar daneben, sie widersprechen sich auch. Trotzdem orientieren sich Politiker, Ökonomen und Unternehmer an den Zahlen. Sie sind daher geeignet, die Konjunktur massiv zu beeinflussen, Stimmung kaputt- oder schönzureden. handwerk magazin hat Prognosen der großen Konjunkturforscher analysiert, um zu sehen, wie hilfreich sie wirklich sind.

In der Tat ist nicht immer Verlass auf die Trendrechnungen. So prophezeite der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung während des vorletzten Booms Ende 2000, dass der Aufschwung weitergehen werde. Tatsächlich stieg das Bruttoinlandsprodukt um magere 1,2 Prozent. Umgekehrt war es zu Beginn der letzten Wachstumsphase Ende 2005. Die Prognose der „Fünf Wirtschaftsweisen“ für das Folgejahr lag bei einem Prozent, tatsächlich gab es dann drei Prozent Wachstum (siehe Grafik).

„Weite Teile der Öffentlichkeit messen uns an den Trefferquoten der Prognosen, obwohl das sinnlos ist“, verteidigt Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und Mitglied des Sachverständigenrats, die Konjunkturforscher. Entscheidend seien das Erkennen ökonomischer Entwicklungen, die sorgfältige Auswertung von Daten und die darauf aufbauende Politikberatung. Diese Aufgaben hätten der Sachverständigenrat und die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute stets geleistet.

Ähnlich argumentiert Klaus Abberger, wissenschaftlicher Koordinator für den monatlichen Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts. Zwar stehe in der Öffentlichkeit die Prognose des Bruttoinlandsprodukts im Vordergrund, tatsächlich basiere ein Gutachten auf vielen Indikatoren, Modellen und auch Befragungen von Unternehmen. „Zum Beispiel analysieren wir, wie die aktuellen Einkommen den Konsum beeinflussen oder die Zinsen Auswirkungen auf die Investitionen der Unternehmen haben“, erklärt Abberger. „Die Politik hat großes Interesse an solchen ausführlichen Konjunkturberichten, so war das erste Konjunkturpaket der Bundesregierung eine Folge der Prognosen der Wirtschaftsforscher“, ergänzt der Ifo-Experte.

Dass die Prognosen von Sachverständigenrat oder den Forschungsinstituten die Stimmung in der Wirtschaft und in der Politik beeinflussen, ist für Wolfgang Clement eindeutig. Er rät Unternehmern zur ausführlichen Lektüre der Gutachten, um sich frühzeitig auf Entwicklungen der Wirtschaft einstellen zu können.

Tatsächlich zeigt auch der von handwerk magazin erstellte langfristige Vergleich der Prognosen des Sachverständigenrats mit den vom Statistischen Bundesamt errechneten „Endergebnissen“, dass die Weisen mit ihren Vorhersagen in der Regel gut lagen (siehe Grafik).

Ein Beleg, wie fundiert die Prognosen sind, ist auch die geringe Abweichung bei den Einschätzungen der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die handwerk magazin verglichen hat (siehe Übersicht). Zumindest für die Aussichten 2010 finden sich doch große Übereinstimmungen: Die Null überwiegt, was bedeutet, die Konjunkturwende kommt in Sicht. Die verhalten optimistische Stimmungsmache der Prognostiker zeigte sofort Wirkung, denn auch das Bundeswirtschaftsministerium sieht „vermehrt Anzeichen für eine Stabilisierung“. Selbst Prognoseverweigerer Zimmermann bekennt sich zum Stimmungswandel.„Der Konjunkturverlauf ist wieder etwas überschaubarer geworden“, sagte der DIW-Präsident. „Daher legen wir wieder eine Prognose für das kommende Jahr vor.“ -

reinhold.mulatz@handwerk-magazin.de