Die neuen Spielregeln der Industrie

Auftragsakquise Sparzwang und Korruptionsaffären haben das Einkaufsverhalten der Großbetriebe maßgeblich verändert. Wo früher die Flasche Wein genügte, ist heute professionelles Auftreten gefragt.

© Cartoon: Dirk Meissner

Die neuen Spielregeln der Industrie

Wenn Daniela und Werner Albrecht mit Industriekunden über neue Aufträge verhandeln, hängt viel vom Gesprächspartner ab. Telefonate oder Besuchstermine mit professionellen Einkäufern nehmen häufig einen völlig anderen Verlauf als solche mit Inhabern, Geschäftsführern oder Fachabteilungsleitern - so die Erfahrung der Inhaber der Albrecht Feinwerkmechanik GmbH in Planegg bei München. „Viele Einkäufer drängen auf sofortige Herstellung und Lieferung“, klagt Daniela Albrecht. „Außerdem wollen sie vor allem bei größeren Aufträgen die Zahlungsziele auf bis zu 60 Tage verlängern. Von den fachlichen Anforderungen an Feinmechanikprodukte haben sie leider keine Ahnung.“ Weil solche Artikel häufig bis auf ein hundertstel Millimeter genau sein müssen, benötigt die Herstellung an Dreh-, Fräs- und anderen Maschinen Zeit. Angesichts der Vorlaufzeiten von vier bis acht Wochen mussten die Albrechts deshalb wiederholt branchenbekannten Industrieunternehmen absagen.

Laien mit Fakten überzeugen

Im Einkauf liegt der Gewinn. Viele Industrieunternehmen nehmen dieses uralte Sprichwort neuerdings sehr ernst und haben als Folge der Finanzkrise eine zentrale Einkaufsabteilung aufgebaut, die auch für die Etats von Niederlassungen und Fachabteilungen verantwortlich ist. Egal ob Büroartikel, Werkzeuge, Produktkomponenten oder Sondermaschinen: Bei jedem Lieferantengespräch hat der Einkauf die Federführung. Statt mit kompetenten Experten auf Augenhöhe zu verhandeln, muss der Zulieferer deshalb heute oft fachliche Laien von seiner Qualität überzeugen.

Hinzu kommt, dass immer mehr Industrieunternehmen ihr Einkaufsteam bewusst als Kampfeinheit gegen überhöhte Kosten einsetzen. Egal ob Einkäufer in Verhandlungen niedrigere Preise, Mengenrabatte oder längere Zahlungsfristen durchsetzen: Häufig werden solche Ergebnisse mit Prämienzahlungen vergütet. Auch kurze Lieferfristen gelten als probates Mittel, weil dies Lagerkosten reduziert. Da auch immer mehr Handelskonzerne und die Bauwirtschaft dem Trend folgen, rät Verkaufstrainer Wolfgang Hackenberg in Eningen zu sorgfältiger Kalkulation: „Steigt der Druck, orientieren sich viele Lieferanten ausschließlich an den Marktpreisen, egal, ob diese kostendeckend sind oder nicht.“

Mit Offenheit punkten

Neben den Sparauflagen haben auch die Korruptionsskandale um Firmen wie Siemens, MAN oder Ergo das Einkaufsverhalten der Konzerne maßgeblich verändert. „Unsere Compliance Richtlinien sind auch für Zulieferer und Kunden verbindlich“, betont etwa Jorge Almeida, Einkaufsleiter von Continental in Hannover (mehr Info zu Compliance siehe rechts).

Um herauszufinden, was geht und was nicht, setzt Daniela Albrecht auf Offenheit. Einkäufern, die auf verlängerten Zahlungszielen bestehen, teilt sie deshalb unverblümt mit, dass sie dann nur noch als B-Kunden eingestuft werden. „Mancher Gesprächspartner fällt dann fast vom Stuhl“, berichtet die resolute Unternehmerfrau. Aber auch überraschende Zusatzgeschäfte sind möglich. Als unlängst eine Einkäuferin von den langen Lieferfristen hörte, bestellte sie gleich die doppelte Menge.

kerstin.meier@handwerk-magazin.de

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