Die Bürgschaftsfalle

Kreditsicherung | Wer eine Bürgschaft übernimmt, hält dies oft für eine Formalie. Tatsächlich aber ist das Risiko hoch – denn der Bürge haftet mit seinem gesamten Vermögen.

Die Bürgschaftsfalle

Alles lief bestens. Der Bedarf an Restaurationsarbeiten im Innenbereich für den Stadtteil war ermittelt, die ersten Aufträge liefen ein, selbst Werkzeug war schon vorhanden – und ein kleines Ladengeschäft mit Werkstatt war schnell gefunden. Einziges Problem: Weder der junge Schreinermeister noch seine zwei Mitstreiter konnten die Mietkaution von 30000 Euro auf den Tisch legen. Da traf es sich gut, dass sich die Bank auch mit einer Bürgschaft zufrieden gab. Alle bürgten selbstschuldnerisch, alle für die volle Summe.

Der Katzenjammer kam, als das Unternehmen kaum zwei Jahre später in die Krise schlitterte und schließlich sogar Insolvenz anmelden musste. Einer der drei lebte mittlerweile in Scheidung, der zweite war ohnehin bis über beide Ohren verschuldet. Die Bank hielt sich an den dritten. Und der hatte nun nicht mehr ein, sondern gleich zwei Probleme: ein leeres Bankkonto und zwei Freunde weniger.

Das klingt dramatisch, ist aber keineswegs ein Einzelfall wie Hartmut Drexel, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft bei der Handwerkskammer München und Oberbayern, betont. Drexel weiß, dass viele Menschen, die eine Bürgschaft unterschreiben, dies am Anfang oft für eine Formalie halten. Eine Einschätzung, die von Kreditgebern oft sogar gefördert wird.

Tatsächlich aber kommt es gar nicht selten vor, dass Bürgschaften auch in Anspruch genommen werden – im geschäftlichen wie im privaten Bereich. Fast sieben Millionen überschuldete Haushalte gibt es derzeit laut Schuldner-Atlas Deutschland 2008 der Creditreform. Eine Zahl darüber, wie viele Bürgen für die Summen gerade stehen müssen und um welche Summen es sich dabei handelt, wird zwar nicht erhoben, in den Schuldnerberatungen und Verbraucherzentralen gehören geplatzte Bürgschaften aber seit Jahrzehnten zum Alltag. Zwei Formen von Bürgschaften werden unterschieden. Zum einen die Bürgschaften in eigener Sache, also für Ratenzahlungen oder zum Aufbau eines Geschäftes. Zum anderen die Bürgschaften für fremde Schulden. Schon die ersten können dramatische Folgen haben, wie unser Beispiel zeigt, Experten warnen aber vor allem vor der Letzteren. Denn während sich das eigene Risiko zumeist noch einschätzen lässt, können sich Fremdbürgschaften schnell „zum Fass ohne Boden“ entwickeln, hat Ulrike Weigand, Juristin bei der Verbraucherzentrale Stuttgart, schon mehr als einmal erlebt.

Zwar spricht sich die Expertin nicht grundsätzlich gegen solche Absicherungen aus. Gerade Aval-Bürgschaften für Mietkautionen, wie sie die drei Restaurateure eingingen, können durchaus sinnvoll sein. „Wenn sich die Betroffenen des Risikos bewusst sind.“ Dennoch warnt sie „Wer bürgt, insbesondere für fremde Schulden, sollte bereit und liquide genug sein, das Geld auch zu verschenken.“ Ist er dies nicht: „Finger weg!“

Nicht vorschnell bürgen

Eine Einschätzung, die auch Christiane E. Vollmershausen teilt. Die Münchner Juristin, die sich auf Insolvenzrecht spezialisiert hat, erlebt in ihrer Beratungspraxis immer wieder, dass auch erfahrene Geschäftsleute oft vorschnell Rückendeckung geben. Motto: Es wird schon nichts passieren. Dabei, so ihr Expertenrat, sollte sich jeder potentielle Bürge zunächst einmal fragen, warum der Kreditnehmer überhaupt eine solche Garantie braucht. Oft sind es fehlende andere Sicherheiten. Mit anderen Worten: Das volle Risiko liegt beim Bürgen.

Aber selbst wenn der Schuldner eigene Sicherheiten vorweisen kann, ist Vorsicht angesagt. Dann, so die Juristin, stehe weiter die Frage im Raum, warum die Bank zusätzlich auf einer Bürgschaft besteht. Vielleicht geht das Kreditinstitut dann von vorneherein davon aus, dass die anderen Pfänder nichts wert sind und der Schuldner im Ernstfall doch nicht selbst einstehen kann. Auch dann trägt der Bürge ein erhebliches Risiko.

Zwar gibt es theoretisch auch Bürgschaftsformen, die weniger gefährlich sind (siehe Kasten), auf diese, weiß Vollmershausen, lassen sich Banken aber nur in Ausnahmefällen und bei gutem Verhandlungsgeschick ein. In der Regel werden selbstschuldnerische Bürgschaften verlangt. Und die bedeuten nichts anderes, als dass es sich die Bank später aussuchen kann, von wem sie das Geld holt. Selbst wenn beim Schuldner theoretisch noch etwas zu holen wäre, dies der Bank aber zu kompliziert erscheint, kann sie sich direkt an den Bürgen wenden. Den Titel dafür hat sie schon.

Das Schlimme dabei: Bürgschaftsprobleme sind fast immer auch Beziehungsprobleme. Gerade in kleinen und mittelständischen Betrieben. Die Ehefrau bürgt für ihren Mann, Eltern für ihr Kind oder auch Kinder für ihre Eltern. Nicht einmal die Tragfähigkeit der Idee oder die Zahlen werden dann überprüft – man kennt sich ja.

Wie schnell dann jedoch ein hart erarbeitetes Einfamilienhaus oder eine kleine Erbschaft dahin sind, erlebte Susanne Kleinschmidt (Name von der Redaktion geändert). Die Ehefrau eines Hamburger Bodenlegers hatte das Haus ihrer Eltern geerbt. Als der Betrieb ihres Mannes ein paar Jahre später in Konkurs ging, musste sie ausziehen. Das Schlimmste aber: Zu diesem Zeitpunkt lebte die dreifache Mutter bereits in Scheidung. Heute lebt sie von Hartz IV.

Problem der Sittenwidrigkeit

Zwar gibt es seit ein paar Jahren ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach Bürgschaften unwirksam sein können, wenn sich jemand erstens weit über die eigene Leistungsfähigkeit verbürgt und sich zweitens in einer Abhängigkeitsposition befand und keinerlei persönlichen Nutzen von dem Kredit hat.

Ein Freibrief ist dies allerdings nicht, denn im Zweifel muss die sogenannte Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft erst einmal vor Gericht erstritten werden. Im Handwerk gilt zudem oft ein Sonderfall, wie Betriebsberater Drexel weiß. Weil die Frau des Handwerkers in der Regel recht nah mit dem Betrieb verbunden ist, kann sie im Fall des Falles kaum für sich in Anspruch nehmen, die Sache nicht durchschaut zu haben. Auch Susanne Kleinschmidt arbeitete zum Zeitpunkt der Bürgschaft im Betrieb mit und war sogar geringfügig beteiligt.

Dennoch, betont der Experte, seien Unternehmerfrauen oft einem enormen psychologischen Druck ausgesetzt. Mitunter greifen Banken sogar zu einem Trick. Will die Ehefrau nicht bürgen, bietet man als Alternative, dass sie gleich in den Kredit mit einsteigt. Vielen erscheint dann die Bürgschaft als vermeintlich sicherere Alternative. Fälschlicherweise.

Fest steht in jedem Fall: Scheitert die Finanzierung, sind die Betroffenen damit nicht nur finanziell, sondern oft auch emotional am Ende. Neben der Existenzsicherung, wissen Finanzexperten, geht es daher in einer Schuldnerberatung immer auch um die psychologische Situation der Ratsuchenden. Ein Grund mehr, sich auch und gerade als Ehefrau grundsätzlich nur dann auf Bürgschaften einzulassen, wenn man das Finanzierungsvorhaben genau kennt und den Verlust des Geldes auch wirklich verschmerzen kann.

Doch was passiert, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist? Insbesondere betroffenen Unternehmerfrauen, die nicht selbst am Geschäft beteiligt sind, raten Experten eine Beratungsstelle aufzusuchen. Geduld ist dafür zwar notwendig, denn obwohl laut Schätzungen ohnehin nur fünf bis zehn Prozent der Betroffenen überhaupt Hilfe suchen, sind alle Träger überlastet. Minimal drei Monate dauert es, bis man einen Termin bekommt, in manchen Städten bis zu einem Jahr. Doch das Warten kann sich lohnen. Denn immer mehr Gerichte sind geneigt, keinen Vorteil für die Ehefrau zu sehen, wenn das Geschäft dem Mann gehört. Es kann dann sinnvoll sein, die Rechtmäßigkeit einer Bürgschaft überprüfen zu lassen. Gelingt ein Nachweis der Sittenwidrigkeit nicht, bleibt oft nur die Privatinsolvenz. Hier stehen Schuldnerberatungen und Verbraucherzentralen helfend zur Seite. Vorsicht ist dagegen bei sogenannten gewerblichen Entschuldnern geboten. Zwar gibt es auch private Anbieter, die seriös arbeiten, die sind aber die Ausnahme.

Sabine Hildebrandt-Woeckel

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de