Ausbildung im Handwerk Interview mit Prof. Dr. Michael Heister

Die Grenzen zwischen Ausbildung und Studium verschwimmen, sagt Prof. Dr. Michael Heister, Leiter der Abteilung „Initiativen für die Berufsbildung“ am Bundesinstitut für Berufsbildung.

Dr. Michael Heister geht davon aus, dass die Grenzen zwischen Ausbildung und Studium verschwimmen: »Der Ansatz, dass die berufliche und die akademische Ausbildung zwei getrennte Welten darstellen, die nicht miteinander kompatibel sind, ist überholt.« - © Markus J. Feger

Das berufliche Wissen nimmt immer weiter zu, trotzdem nimmt die Anzahl der Ausbildungsberufe ab. Wie kommt das?
Dr. Michael Heister: Wir hatten früher einmal über 1.000 Ausbildungsberufe, heute gibt es noch etwas mehr als 320 Berufe. Um den Zuwachs an Wissen zu organisieren, sehen wir eher eine Spezialisierung im Beruf, anstatt dafür einen eigenen Beruf zu kreieren. Diese Tendenz wird sich noch fortsetzen. Im Studium ist das Gegenteil der Fall: Dort sehen wir immer mehr Spezialisten-Studiengänge. Im Augenblick nähern wir uns der unglaublichen Zahl von 20.000 unterschiedlichen Studiengängen. Wer soll da noch den Überblick behalten?

Könnte man sagen, dass die Ausbildung damit eher Basisqualifikation wird, entscheidend für die Karriere ist Spezialistenwissen?

Nicht so ganz. In Deutschland wird ja nicht nur für das Unternehmen ausgebildet, in dem der Auszubildende arbeitet. Vielmehr geht es darum, am Ende einen Beruf zu erlernen. Dann muss ich mich auch nach einem Unternehmenswechsel nicht wieder neu einarbeiten. Beim Kfz-Mechatroniker vermitteln wir zum Beispiel seit einigen Jahren die Grundlagen der Elektromobilität, auch wenn in dem Betrieb gar keine Elektrofahrzeuge repariert werden.

Da sich Technologie immer weiterentwickelt, bedeutet das, dass Lifelong-Learning, also lebenslanges Lernen im Handwerk immer wichtiger wird.

Absolut, auch das sieht man sehr gut an der Elektromobilität: Wir haben in den Kfz-Werkstätten eine Generation von Gesellen und Meistern, die damit noch nie in Berührung gekommen ist. Sie werden sich weiterbilden und Schulungen machen müssen. Und mit Themen wie der Vernetzung von Autos und dem autonomen Fahren beschäftigen müssen. Ein anderes Beispiel: Die Stuckateure machen heute sehr viel im Bereich Energiesparen. Die Bildungszentren des Handwerks, insbesondere auch die Kompetenzzentren, nehmen hier eine wichtige Mittlerfunktion wahr.

Eine bestimmte Zeit in einem Kompetenzzentrum ausgebildet zu werden, das weit von der Heimat entfernt liegt, setzt eine gewisse Mobilität der Menschen voraus.

Das ist sicherlich ein Problem. Aber wir haben glücklicherweise ein großes Netz von Bildungszentren des Handwerks, die in vielen Fällen regionale Angebote anbieten können.

Trifft es zu, dass viele junge Menschen ihren Ort gar nicht verlassen wollen, etwa um eine Lehre zu machen?

Das ist ganz schwierig und stellt nicht zuletzt auch ein Kostenproblem dar. Hier brauchen wir mehr kreative Lösungen. Aber Mobilität ist nicht nur im Handwerk ein Problem. Auch bei den Fachhochschulen: Mehr als zwei Drittel der Studenten kommen im Regelfall aus der näheren Umgebung. Das Bild, wonach Studenten mobil sind und die Auszubildenden nicht, ist falsch.

Ist die fehlende Mobilität ein Grund dafür, dass im letzten Jahr rund 27.000 Lehrstellen nicht besetzt werden konnten?

Das ist mit Sicherheit ein Grund. Denn aufgrund fehlender Mobilität nicht besetzte Ausbildungsstellen tragen zum Fachkräftemangel bei.
Man könnte die Ausbildung wie ein Studium betrachten: Ich bin dann mal zwei oder drei Jahre weg.
Die Tradition der Gesellenwanderung gibt es ja im Handwerk. Teilweise wird das noch praktiziert und gelebt.

Welche Gründe sehen Sie noch für den Auszubildenden-Mangel?

Ein wichtiger Grund ist, dass vielen Jugendlichen die Arbeitsbedingungen nicht gefallen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Gastronomie. In technischen Bereichen sind die Anforderungen sehr hoch.

Sehen Sie weitere Ursachen?

Was wir außerdem bis heute nicht in den Griff bekommen haben, ist das Thema Mädchen- und Jungenberufe. Uns gelingt es nicht wirklich, Mädchen für technische Berufe zu begeistern. Und wir beide reden ja auch ganz natürlich vom Mechatroniker und nicht der Mechatronikerin.

Neue Technologien und verändertes Kundenbewusstsein machen auch neue Fähigkeiten nötig: etwa ein Kundengespräch erfolgreich zu führen, Projekte zu managen, empathisch führen, Visualisierungs-Technologien zu beherrschen.

Viele Aspekte davon sind gewerkübergreifend. Standardkenntnisse bei Kommunikation, Planen und Entwerfen, die man über alle Gewerke hinweg können muss, werden in der Ausbildung künftig einen größeren Platz einnehmen. Wobei Planen und Entwerfen natürlich auch sehr starke fachliche Aspekte hat.

Werden nicht hier manche Soft Skills, also diese Zusatzfähigkeiten, zu den Hard Skills, also den zentralen Fähigkeiten der Zukunft?

Das wird so kommen.

Was geschieht mit dem rein fachlichen Teil der Ausbildung?

Die Fachlichkeit wird anspruchsvoller werden. Sie kommt künftig näher an das Studium heran. In den technischen Berufen verschwimmen so die Grenzen zwischen Ausbildung und Studium. Duale Studiengänge verbinden das in gewisser Weise heute schon. Die beiden Formen Studium und Ausbildung gehen stärker ineinander über. Bereits heute gibt es zahlreiche Kooperationen von Berufsschulen und Hochschulen. Vorlesungen an Berufsschulen und praktisches Arbeiten an der Hochschule werden sich in der Zukunft vermutlich weiter verbreiten. Der Ansatz, dass die berufliche und die akademische Ausbildung zwei getrennte Welten darstellen, die nicht miteinander kompatibel sind, ist überholt.

Vita Prof. Dr. Michael Heister

Prof. Heister ist seit 2009 Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Er leitet dort die Abteilung „Initiativen für die Berufsbildung“. Seit 2010 hat er eine Honorarprofessur an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und lehrt dort Personalmanagement. Er studierte von 1981 bis 1987 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Köln, promovierte 1991 zum Dr. rer. pol. Von 2002 bis 2009 war er Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ehemals Wirtschaft und Arbeit.