Öffentliche Aufträge: Tariftreue- und Vergabegesetze benachteiligen das Handwerk

Tariftreue- und Vergabegesetze machen es Handwerkern fast unmöglich, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Den Betrieben wird eine gewaltige Bürokratielast auferlegt.

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    Im Bau- und Ausbaubereich sind öffentliche Aufträge für Handwerksbetriebe oft die Regel.
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    „Das Tariftreuegesetz erweist dem Handwerk einen Bärendienst.“ Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags.
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    Im Gesamthandwerk spielen öffentliche Aufträge keine große Rolle, im Baugewerbe liegt der Umsatzanteil aber bei 32 Prozent.

Bürokratiechaos Vergaberecht

Ob er bei seinen Arbeitshandschuhen nachweisen muss, dass sie nicht in einem Entwicklungsland von Kindern gefertigt wurden, fragte ein Kreishandwerksmeister aus Nordrhein-Westfalen ganz im Ernst. Die Experten einer Veranstaltung zum Thema Tariftreue- und Vergabegesetz zeigten sich ratlos. Denn tatsächlich verlangt das neue Tariftreue- und Vergabegesetz in NRW, dass Betriebe bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen keine Waren verwenden dürfen, die unter Missachtung der von der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen festgelegten Mindeststandards hergestellt werden. Dazu zählt auch die Kinderarbeit.

Ein krasses Beispiel für die Regelungswut der Politik. In elf Bundesländern gibt es Tariftreue- und Vergabegesetze, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sind gerade dabei, ein Gesetz zu verabschieden. Und überall übt das Handwerk scharfe Kritik. Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, welche Bedingungen Betriebe erfüllen müssen, wenn sie sich für öffentliche Aufträge bewerben. Im Kern geht es um zwei Bereiche: die Tariftreue und sogenannte vergabefremde Kriterien wie Sozialverträglichkeit, Frauenförderung, Umweltschutz oder Mittelstandsförderung.

Ehrenwerte Ziele

Dabei sind die Ziele der Politik durchaus ehrenwert. „Die Landesregierung will mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz Lohndumping und zweifelhafte Produktionsbedingungen wirksam bekämpfen und Sozialstandards stärker berücksichtigen“, sagt Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen. Doch herausgekommen ist nach Meinung des NRW-Handwerks ein Paragrafendschungel, der es Handwerksbetrieben nahezu unmöglich macht, noch an öffentliche Aufträge zu kommen, weil sie die Nachweise für die vergabefremden Vorgaben einfach nicht erbringen können. Ein Beispiel: Wie soll ein Handwerksbetrieb nachweisen, dass er Frauen fördert, wenn er gar keine beschäftigt? Zwar gibt es für die Frauenförderung ähnlich wie für andere Regelungen in den Vergabegesetzen Untergrenzen von meist 20 Beschäftigten oder einem Auftragswert von 50000 Euro (in NRW). „Betroffenen Unternehmen oberhalb dieser Grenzen ist damit allerdings nicht geholfen“, erklärt Josef Zipfel, Hauptgeschäftsfüher des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstags (NWHT).

In Baden-Württemberg ist das geplante Gesetz noch nicht in Kraft, doch „dem Handwerk erweist es einen Bärendienst“, ereifert sich Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags. So schütze es Handwerksbetriebe noch nicht einmal vor externer Dumpingkonkurrenz, was ja eigentlich ein Hauptanliegen der Vorschriften sein sollte. Vogel nennt ein Beispiel: Ein baden-württembergischer Elektrobetrieb muss seinen Mitarbeitern einen tariflichen Mindestlohn von 12,69 Euro zahlen, während seine Konkurrenz aus anderen Bundesländern oder dem EU-Ausland nach dem Gesetz bei öffentlichen Aufträgen mit 8,50 Euro Mindestlohn kalkulieren kann.

Staat soll sich heraushalten

Mit ihren Tariftreuegesetzen haben es die Länderregierungen sogar geschafft, das Handwerk in einem Bereich zu ärgern, der die Betriebe eigentlich schützen sollte und vom Handwerk selbst gefordert wurde. „Aber es macht keinen Sinn, Mindestlöhne über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu regeln“, erklärt NWHT-Hauptgeschäftsführer Zipfel und gibt damit die Meinung vieler Handwerker wieder: Mindestlöhne sollen über allgemeinverbindliche Tarifverträge geregelt werden, der Staat soll sich heraushalten. Doch das macht er nicht. So auch in Schleswig-Holstein, wo ein Tariftreue- und Vergabegesetz nach NRW-Vorbild geplant ist. Tim Brockmann, Geschäftsführer der Vereinigung der Fachverbände und Kreishandwerkerschaften in Schleswig-Holstein, ist sicher: „Der Bürokratieaufwand wird dazu führen, dass bei kleineren und mittleren Betrieben die Bereitschaft weiter zurückgehen wird, sich überhaupt an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen.“ Bereits jetzt fänden sich bei etlichen Ausschreibungen nicht mehr genügend fach- und sachkundige Unternehmen, die sich an öffentlichen Aufträgen beteiligen.

Kein Handwerker muss Angst haben

Wie bürokratisch und kompliziert die Regelungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes sind, zeigt anschaulich die Praxis in NRW. Dort wird eine Durchführungsverordnung als Hilfestellung für die öffentlichen Auftraggeber erarbeitet, die über 80 Seiten dick ist. Eine solche Entwicklung öffne Tür und Tor für intransparente und unfaire Vergaben, obwohl das Gesetz das Gegenteil zum Zweck hat, warnt Brockmann, der ähnliche Probleme in Schleswig-Holstein befürchtet.

NRW-Wirtschaftsminister Duin hält dagegen: „Kein Handwerker muss aus Angst vor vermeintlich komplizierten Anforderungen die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen scheuen. Wir gestalten das Tariftreuegesetz so unbürokratisch, so verständlich, so nachvollziehbar und so sicher wie möglich.“ Das Wirtschaftsministerium sei offen für Anregungen und Kritik und werde die Anregungen aus der Anhörung und aus den Gesprächen mit Kammern, Wirtschaftsverbänden und kommunalen Spitzenverbänden aufgreifen.

Bei Verstoß droht Ausschluss

Es bleibt abzuwarten, ob das Handwerk mit seinen Forderungen Gehör findet. In Nordrhein-Westfalen wenden einige Kommunen das Gesetz schon an, andere warten noch ab. In Schleswig-Holstein sind sich die Koalitionspartner noch nicht über alle Details einig, grundsätzlich wird es ein Gesetz nach dem Vorbild NRW aber geben.

Natürlich könnten Handwerker, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, sagen, Papier ist geduldig, und alles unterschreiben in der Hoffnung, es könne sowieso niemand prüfen, ob zum Beispiel die geforderten Mindestlöhne und Sozialstandards tatsächlich von dem Unternehmen eingehalten werden.

Doch da warnen Experten eindringlich. Bei Verstoß gegen die Vorschriften sehen die Gesetze weitgehende Kontrollmaßnahmen und Sanktionen vor, wie etwa die Zahlung von Vertragsstrafen, der Ausschluss von der Teilnahme an öffentlichen Auftragsvergaben für die Zeit von bis zu drei Jahren sowie die Zahlung von Bußgeldern.