Fehlkalkulationen: BGH hilft Handwerkern aus der Klemme

Der Bundesgerichtshof kommt Handwerkern entgegen, die sich bei öffentlichen Aufträgen irrtümlich verrechnet haben. Sie können ihr Angebot wieder zurückziehen und schulden dem Staat keinen Schadensersatz.

Prof. Dr. Ralf Leinemann, Vergaberechtler und Baurechtsexperte, Berlin, kommentiert für handwerk magazin interessante Urteile. - © Leinemann

Der Fall

Der betreffende Bieter hatte bestimmte Straßenbauarbeiten zu einem Preis von 455.000 Euro angeboten. Das nächstgünstigste Angebot belief sich auf 621.000 Euro. Vor Zuschlagserteilung erklärte er gegenüber der Vergabestelle, in einer Angebotsposition einen falschen Mengenansatz gewählt zu haben, und bat um Ausschluss seines Angebots von der Wertung. Dieser Bitte kam das beklagte Land Niedersachsen nicht nach, sondern erteilte dem Bieter den Zuschlag. Da dieser den Auftrag auf Basis seines abgegebenen Angebots nicht ausführen wollte, trat das Land Niedersachsen vom Vertrag zurück und beauftragte ein anderes Unternehmen, das die Leistung zu einem höheren Preis erbrachte. Die Mehrkosten verlangte das Land Niedersachsen vom ursprünglich beauftragten Bieter als Schadensersatz.

Das Urteil

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber gegen die ihm durch das Bürgerliche Gesetzbuch auferlegten Rücksichtnahmepflichten verstößt, wenn er den Bieter an der Ausführung des Auftrags zu einem Preis festhalten will, der auf einem erheblichen Kalkulationsirrtum beruht. Der Bundesgerichtshof hat dabei klargestellt, dass nicht jeder noch so geringe diesbezügliche Irrtum ausreicht und dass auch sichergestellt sein muss, dass sich ein Bieter nicht unter dem Vorwand des Kalkulationsirrtums von einem bewusst sehr günstig kalkulierten Angebot loslöst, weil er es im Nachhinein als für ihn selbst zu nachteilig empfindet.

Die Praxisfolgen

Einen konkreten Prozentsatz, ab wann genau eine relevante Fehlkaklulation vorliegt, nennt das Gericht nicht. Die Schwelle ist im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge nach Ansicht der höchsten deutschen Zivilrichter aber „ausnahmsweise“ dann überschritten, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, an dem Angebot festzuhalten.

Der Tipp

„Wenn ein nicht nur geringfügiger, sondern ein schwerer Fehler mit erheblichen preislichen Auswirkungen vorliegt, der dem Auftraggeber vor Vertragsschluss bekannt wird, darf er den Auftragnehmer nicht in den Vertrag ,hineinzwingen‘. Geschieht dies – wie im hier entschiedenen Fall – dennoch, steht dem Auftragnehmer ein Schadensersatzanspruch zu“, kommentiert der Vergaberechtsexperte Ralf Leinemann die Entscheidung. „Grundlage ist die Erwägung, dass der Auftraggeber bei pflichtgemäßem Verhalten die Leistungen ohnehin nur zu dem – korrekterweise – höheren Preis hätte erhalten können, den andere Bieter angeboten haben“, erläutert Leinemann. Allerdings könne zukünftig nicht jeder schlechte Preis auf diese Weise aufgebessert werden. „Für das Gericht muss feststehen, dass es sich um einen gravierenden, unverschuldeten Irrtum handelt, Leistung und Preis in einem Missverhältnis stehen und kein spekulatives Angebot vorliegt“, zählt Rechtsanwalt Leinemann auf.