Abbruchmaßnahmen und Entsorgung Mantelverordnung: Sinkt die Recycling-Quote bei Bauabfällen?

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Die Mantelverordnung passierte kurz vor der Sommerpause den Bundesrat und kann somit 2023 in Kraft treten. 16 Jahre wurde um das Gesetzeskonglomerat gerungen, trotzdem sind nicht alle glücklich damit. Ein Lagebericht.

Michael Weiß, Geschäftsführer der Ettengruber GmbH in München
Michael Weiß, Geschäftsführer der Ettengruber GmbH in München: "Die Abbruchbaustelle von heute ist das Rohstofflager von morgen." - © Benjamin Schmidt

Michael Weiß ist Geschäftsführer der Ettengruber GmbH in München und dort zuständig für Recycling und Verwertung. Die Firmengruppe deckt mit 120 eigenen Mitarbeitern und weiteren 100 externen Fachkräften die Bereiche Abbruch, Tiefbau, Transport, Recycling, Grubenbetrieb und Erdaufbereitung ab. Abfallströme am Bau sind für Weiß tägliches Geschäft. Als Vorsitzender des Fachausschusses Recycling und Entsorgung im Deutschen Abbruchverband hat er die politischen Diskussionen über die Mantelverordnung über Jahre verfolgt und versucht, Einfluss auf den Inhalt zu nehmen: „Es entsteht viel Bürokratie, an manchen Stellen geht die Verordnung zu sehr ins Detail, an anderer Stelle bleiben Sachverhalte offen“, sagt er und bedauert, dass die Bedenken der Branche nicht ausreichend Gehör fanden. Denn die Mantelverordnung birgt in den Augen von Praktikern viel Zündstoff: zu hohe Auflagen, um qualitätsgesicherte mineralische Ersatzbaustoffe auf dem Markt vorteilhaft zu platzieren, zu strenge Grenzwerte, um Mineralik wiederzuverwerten. Manches Anliegen der Bau- und Abbruchwirtschaft wurde vermutlich aus Unkenntnis der praktischen Abläufe auf Baustellen nicht berücksichtigt. Vor allem verärgert sind Branchenvertreter über die fehlende bundeseinheitliche Einordnung, wann mineralische Rückbaumaterialien nach Aufbereitung und Gütesicherung Produktstatus erlangen und deswegen an Attraktivität für Planer und Bauherren gewinnen. Kritiker befürchten auch, dass durch strengere Grenzwerte die regionale Nutzung von Bodenaushub auf Baustellen, in der Landwirtschaft und für die Rekultivierung von Sand- und Kiesgruben schwieriger werden könnte.

Deponien: Ausgelastet & weit weg

Es sind hehre Ziele, um die Bau- und Abbruchwirtschaft, Verbände, Länder und Bund rangen: Boden- und Grundwasserschutz, Ressourcenschutz durch Kreislaufwirtschaft, weniger Abfälle, hohe Verwertungs- und Recyclingquoten und weniger Stoffstrom Richtung Deponien. Praktiker Weiß berichtet: „Wir fahren etwa DK2- und DK3-Materialien – das sind Materialklassen nach Deponieverordnung, die tatsächlich nicht wiederverwertbar sind – bis zu 500 Kilometer nach Schkopau in Sachsen-Anhalt.“ Vielerorts befinden sich die Aufnahmekapazitäten am Limit, mancher Betreiber nimmt ohnehin nur bestimmte Qualitäten auf. Gerade bei den Aufräumarbeiten in den Hochwassergebieten macht sich dies bemerkbar. Eine Deponiestrategie von Bund und Ländern wird angesichts solcher Ereignisse noch dringlicher, damit auch in der Fläche Kapazitäten bereitstehen.

Recycling gegen Materialmangel

Anhaltend hohe Bauaktivität bei gleichzeitigem Materialmangel animierte die Politik, den Fokus im Gesetzgebungsprozess verstärkt auf Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz zu legen. Recycling mineralischer Abfälle, die sowohl beim Neubau, der Modernisierung als auch im Abbruch anfallen, ist daher ein Kernanliegen. „Mineralik“ steht als Sammelbegriff für Bodenmaterial, Bauschutt, Straßenaufbruch, Schlacken, Aschen, Sande und Gleisschotter. Beton, Ziegel und Dachziegel zählen etwa dazu in der Fraktion Bauschutt, ebenso Putz und Mörtel, Keramikreste und Fliesen. Denn – und das ist das Spannende – mineralische Sekundärmaterialien können sowohl technisch als auch unter Umweltgesichtspunkten mit Primärbaustoffen bestens konkurrieren. Als ganz neue Regelung unter dem Dach der Mantelverordnung soll daher die Ersatzbaustoffverordnung greifen.

Verwertungsquoten mineralischer Bauabfälle

Die Verwertungsquote mineralischer Bauabfälle liegt bei 89,7 Prozent. Von 218,8 wurden 196,3 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle verwertet. Am niedrigsten liegt die Quote für Boden und Steine.

BauabfälleProzent
Boden und Steine86,2
Bauschutt93,5
Straßenaufbruch97,5
Baustellenabfälle98,7

Quelle: Mineralische Bauabfälle Monitoring 2018, Kreislaufwirtschaft Bau 2021

Vorteil: einheitliche Regeln

Ein rechtlicher und vor allem auch praktischer Vorteil der neuen Mantelverordnung, die den Rahmen bildet: Sie ersetzt den Flickenteppich länderspezifischer Gesetze und Regelungen durch bundeseinheitliche Vorgaben für Herstellung und Einsatz mineralischer Sekundärbaustoffe. Unterschiedliche Ländervorgaben erschweren grenznahen oder überregional tätigen Unternehmen im Moment, eine optimale Entsorgungspraxis. Rechtsanwalt Rolf Kemper von der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein sieht die neue Mantelverordnung gerade deswegen positiv: „Wer bundesweit tätig ist, muss nun nicht mehr gucken, was am jeweiligen Einsatzort gilt.“ Die Länder können sich über Öffnungsklauseln für Verfüllungen von Gruben, Brüchen und Tagebauen dennoch landes- oder regionalspezifische Regeln bewahren. Bayern will davon Gebrauch machen.

Endlich ein Produkt?

Bislang ist die Nachfrage nach recyceltem Material noch verhalten, unter anderem weil rechtsverbindliche Qualitätsstandards für die Herstellung und Verwertung mineralischer Ersatzbaustoffe fehlten oder unzureichend sind. Die neue Ersatzbaustoffverordnung legt nun die Standards bundesweit einheitlich fest. Private und öffentliche Bauherren sollen recyceltes Material und Bodenaushub einsetzen können, ohne Sorge tragen zu müssen, sich damit rechtlich in einer Grauzone zu bewegen. Primärbaustoffe wie Kies oder Sand könnten geschont werden, so die Überlegung.

Die deutschlandweit aktive QUBA (Abkürzung für Qualitätssicherung Sekundärbaustoffe GmbH – Gesellschafter sind Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung , Deutscher Abbruchverband und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes) kümmert sich schon jetzt um Qualitätssicherung und Zertifizierung. Ihr kommt künftig eine bedeutendere Rolle zu. Im Juli gründeten überdies 20 Fachverbände der bauausführenden Wirtschaft sowie der mineralischen Baustoff- und Recyclingindustrie die „Initiative nachhaltig mineralisch bauen“, die politisch forcieren möchte, dass deutlich mehr Sekundärbaustoffe aus dem Abfallstatus entlassen und als Produkt deklariert werden können. Unter welchen Bedingungen mineralische Bauabfälle ihr Abfallende erreichen oder gar Produktstatus erlangen, sei trotz langjähriger Forderung der Bau- und Abbruchbranche noch nicht zufriedenstellend geregelt, bestätigt auch Recycling-Fachmann Weiß. Auch die Ettengruber GmbH ist da­rauf angewiesen. Aus Bauschutt und Betonabbruch etwa stellt das Unternehmen Produkte für Straßen- und Erdbau her.

Kostenersparnisse? Wirklich?

Bundesumweltministerin Svenja Schulze frohlockte im Frühjahr: „Mit dieser Verordnung wird die Bauwirtschaft immer mehr zur Kreislaufwirtschaft.“ Auch Kemper sieht Vorteile: „Sie fußt auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik.“ Deswegen hält er mittel- bis langfristig höhere Erlöse für die Bauwirtschaft für möglich: „Es geht darum, künftig aus Abbruch Erträge zu erzielen.“ Zwar müssten Unternehmen jetzt ihre Prozesse umstellen und dafür erst einmal Geld in die Hand nehmen, dafür gebe es dann aber flächendeckend Produkte in klar definierter Qualität, für die höhere Erlöse winkten. Zudem rechnet er mit Preiserhöhungen in der Umstellungsphase, die etwa von Entsorgern als Mitnahmeeffekte realisiert werden könnten, auch wenn nach einer gewissen Zeit keine Kosten mehr anfallen.

Kritikpunkte der Branche

Die hohen Auflagen aber könnten Praktiker mürbe machen. Sylvi Claußnitzer, Abteilungsleiterin Umweltpolitik und Recycling beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB): „Die Mantelverordnung stellt die derzeit hohe Verwertungsquote infrage, sodass wir eher mit Stoffverschiebung in Richtung Deponie rechnen als mit einer Steigerung des Recyclings.“ Die Verwertungsquote mineralischer Bau- und Abbruchabfälle, die aktuell bei 90 Prozent liege, könnte sogar sinken – so ihre Befürchtung.
Aus Weiß Sicht besteht ein erheblicher Bedarf an technischen Möglichkeiten, automatisierter Sortiertechnik vor allem. Hauptproblem sei, die große Stoffmenge in der Mineralik in den Stoffkreislauf zurückzuführen, ohne das notwendige Instrumentarium in der Fläche. Wenige Großunternehmen gibt es bundesweit und diverse Pilotprojekte laufen.

Folgen für das Bauhandwerk

Überreglementierung führt in der Praxis oft dazu, Sortierung und Recycling anderen zu überlassen. Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern und selbst Bauunternehmer, merkt an: „Ich habe für meinen Betrieb zur Sortierung mehrere Container auf dem Betriebsgelände aufgestellt, die zu verschiedenen Entsorgern gefahren werden. Kleinen Handwerksbetrieben fehlt dafür aber häufig der Platz auf dem Hof und die Lust, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.“ Man müsse sich schon intensiv mit Abbruch beschäftigen und Mitarbeiter schulen, wenn man die Entsorgung vernünftig in die Wege leiten möchte. Peteranderl ist zumindest in dieser Hinsicht zuversichtlich: „Es setzt sich unter Handwerkern langsam das Wissen durch, dass sich aus Abbruchmaterial neue Produkte entwickeln lassen.“

Kosten abwälzen wird schwieriger

Branchenvertreter plädieren dafür, dass sich Bauherren im Vorfeld von Bau- und Abbruchmaßnahmen über die Entsorgung Gedanken machen. Sie sind schließlich Auftraggeber. Claußnitzer stellt klar: „Das Baugewerbe sieht deutlich den Bauherren in seiner abfallrechtlichen Verantwortung. Noch fehlt aber die gesetzliche Festlegung.“ Und sie ergänzt: „Die Entsorgung der mineralischen Abbruchabfälle und anderer Gewerbeabfälle hat natürlich ihren Preis.“ Sie empfiehlt dem Bauherren, der die Leistung beauftragt, bereits in der Planungsphase, also im Vorfeld der Ausschreibung zu ermitteln, welche Bauabfälle anfallen und wie diese zu entsorgen sind. Ein vorausschauendes Ent­sorgungskonzept garantiere effiziente Abläufe und spare Kosten und Zeit. „Hochwertige Kreislaufwirtschaft muss in der Planungsphase ansetzen“, sagt sie.

Peteranderl schildert die Problematik aus seiner Praxis: „Die Bitte an den Bauherren lautet oft, einen Container zu bestellen.“ Zwar seien die Kosten für die Anlieferung für den Häuslebauer vergleichsweise günstig, die böse Überraschung trudele aber mit der Endrechnung ins Haus. „Das schlägt schnell mit mehreren 100 Euro oder sogar vierstellig zu Buche und wird künftig teurer werden“, ist Peteranderl sich sicher. Er ergänzt: „In den vergangenen Jahren sind die Abbruchkosten pro Jahr um zehn bis 15 Prozent gestiegen. Das wird sich fortsetzen.“

Kleine und mittlere Unternehmer, die mineralische Abfälle selbst entsorgen, werden auf große Entsorger angewiesen bleiben. „Der Unternehmer begibt sich künftig noch stärker in wirtschaftliche Abhängigkeit“, meint Weiß. Erschwerend komme hinzu, dass er nicht viele Alternativen habe. „Der Handwerker muss umdenken: Wir bearbeiten Rohstoffe in eingebauter Form“, beharrt Weiß und fügt hinzu: „Die Abbruchbaustelle von heute ist das Rohstofflager von morgen.“ Rechtsanwalt Kemper: „Letztendlich bezahlt der Auftraggeber, da hat es der Handwerker in gewisser Weise einfach.“ Experten empfehlen Chefs, sich frühzeitig mit der neuen Materie zu beschäftigen und die Zeit bis zum Inkrafttreten der Mantelverordnung zu nutzen. Auch die Verbände gehen dieser Tage daran, ihre Mitglieder mit Informationen zu versorgen.