Berufsbildung Angriff auf das Handwerk abgewehrt

Ist das Abitur mehr wert als die Handwerksausbildung? Das Handwerk hat diese Herabsetzung im Deutschen Qualifikationsrahmen verhindert. Wie Handwerker jetzt eingestuft werden.

In diesen Berufen hatten neu abgeschlossene Ausbildungsverträge 2010 den höchsten Anteil Azubis mit Hochschul- oder Fachhochschulreife. - © Chart. handwerk magazin

Angriff auf das Handwerk abgewehrt

Lars Thullesen sieht es praktisch. Dem Vierfach-Meister - Dachdecker, Zimmerer, Maurer und Klempner - ist es nicht wichtig, ob Abiturient und Handwerksgeselle auf einer Stufe stehen sollen. „Entscheidend ist Wissen und Können“, sagt der Unternehmer aus Neumünster, der im letzten Jahr vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) zum besten Ausbilder im Handwerk gekürt wurde.

Anders argumentiert Thomas Keindorf. Der Schornsteinfegermeister und Präsident der Handwerkskammer Halle (Saale) findet es völlig unverständlich, wenn die handwerkliche Berufsausbildung niedriger bewertet wird, als zum Beispiel das Abitur. Denn eine Ausbildung im Handwerk gebe jungen Menschen Schlüsselqualifikationen mit auf den Weg, die sie für ein langes Berufsleben brauchen. „Wir sollten alles tun, um dieses Modell zu stärken“, so Keindorf.

Was wie eine abgehobene akademische Diskussion klingt, ist in Wahrheit ein langer Streit zwischen der Handwerksspitze und den Kultusministern der Länder. Konkret geht es um den Deutschen Qualifikationsrahmen, in dem in einer achtstufigen Skala Bildungsabschlüsse eingestuft werden. Die Kultusminister wollten das Abitur höher einstufen als Berufsausbildungen wie den Handwerksgesellen. Das Handwerk kämpfte vehement um Gleichheit von Hochschulreife und abgeschlossener Handwerkslehre.

Jetzt wurde in einem Spitzengespräch der Beteiligten ein Kompromiss gefunden, der die handwerkliche Ausbildung attraktiver macht: Zweijährige berufliche Erstausbildungen werden auf Stufe 3 und drei- und dreieinhalbjährige Erstausbildungen auf Stufe 4 eingestuft (siehe Tabelle unten). Schon zuvor bestand Einigkeit, auf Stufe 6 die Abschlüsse Bachelor und Meister zu platzieren. Die allgemeinbildenden Schulabschlüsse wie das Abitur sollen zunächst dem Qualifikationsrahmen gar nicht zugeordnet werden.

Imagegewinn für die Lehre

Was bringt die Einigung beim Deutschen Qualifikationsrahmen für das Handwerk? „Ich hoffe, dass damit der populären Forderung nach mehr Akademikern etwas Wind aus den Segeln genommen wird“, antwortet ZDH-Präsident Otto Kentzler. Die Wirtschaft habe schon bei der Erarbeitung des Qualifikationsrahmens die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung betont. Das sei nun erreicht.

Für das Handwerk ist es in erster Linie ein Imagegewinn, denn bei rückläufigen Bewerberzahlen wäre es fatal, wenn eine Berufsausbildung in einem Handwerk gegenüber dem Abitur an Wertigkeit verliert. „Vielleicht sagen künftig weniger Eltern zu ihren Kindern, mach auf jeden Fall Abitur, das ist das beste Karrieresprungbrett“, äußerte ein Bildungsexperte des ZDH.

Doch der Kompromiss beim Deutschen Qualifikationsrahmen bietet einen weiteren Vorteil für das Handwerk. Denn die Werteskala soll ein Informationsinstrument für Unternehmen sein, die Personal suchen. Die Zuordnung einer Qualifikation zu einer Niveaustufe gibt Aufschluss über das Vermögen eines Bewerbers, unabhängig vom Bildungssystem und dem Lernort, an dem die Qualifikation erworben wurde. Das erleichtert die Suche nach geeignetem Personal auch über Landesgrenzen hinweg.

Leichtere Personalsuche

Der Deutsche Qualifikationsrahmen wird nämlich - wie bei allen anderen EU-Ländern auch - in einen Europäischen Qualifikationsrahmen integriert. Die verbesserte Transparenz von Abschlüssen erleichtert künftig innerhalb Europas die Personalsuche für Betriebe genauso wie die Jobsuche für Bewerber. Das ist zumindest das Ziel der Europäischen Union.

So nannte auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan den Kompromiss zum Deutschen Qualifikationsrahmen „einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Bildungsraum Europa“. Die Ministerin hatte mit ihrem Vorschlag, die allgemeinbildenden Schulabschlüsse vorerst nicht mit aufzunehmen, die verfahrene Situation in den Verhandlungen wieder in Gang gebracht.

Entscheidung vertagt

Ob die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertretern der Wirtschaft und den Kultusministern über die Einstufung endgültig vom Tisch sind, wird sich zeigen. Denn in der jetzigen Version werden in die Werteskala nur Abschlüsse aufgenommen, die auf einen Beruf vorbereiten. Wie Schulabschlüsse eingebunden werden, ist noch nicht entschieden. Das haben die Teilnehmer des Spitzengesprächs erst einmal für fünf Jahre zurückgestellt.

Vierfach-Meister Lars Thullesen aus Neumünster kann mit dem Beschluss zum Deutschen Qualifikationsrahmen gut leben. Er hat schon viele Hauptschüler, aber auch Abiturienten in seinem Betrieb ausgebildet. Entscheidend sei nicht der Schulabschluss, sondern der Wille, sagt der Praktiker. Gerne erinnert er sich an einen Abiturienten, der nach einer Dachdeckerlehre 15 Jahre in seinem Betrieb gearbeitet hat. „Sein Motto war immer, lieber ein guter Handwerker als ein schlechter Lehrer“, so Lars Thullesen.