Zukunft: „Die Industrie spielt Manufaktur“

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Zukunftsperspektiven im Handwerk

Qualitativ hochwertige und nachhaltige Produkte können nur bis zu bestimmten Stückzahlen produziert werden, nicht im industriellen Massengeschäft, sagt der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer.

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    Prof. Dr. Harald Welzer (geb. 1958) ist Soziologe und Sozialpsychologe. Mitbegründer und Direktor von „Futurzwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit“, Professor für Transformationsdesign und -vermittlung an der Uni Flensburg, ständiger Gastprofessor für Sozialpsychologie an der Uni Sankt Gallen. Bücher: Täter, 2005; Klimakriege, 2008; Soldaten (mit Sönke Neitzel), 2011; Selbst denken (mit Bernd Sommer), 2013.
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    Mehr als hundert innovative und nachhaltige Projekte und Start-ups beschreibt die aktuelle Veröffentlichung von FuturZwei, Fischer Verlag, 16,99 Euro.
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    „Discounter wie etwa Lidl sind als Qualitätslieferant doch überhaupt nicht glaubwürdig.“
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Wie passend! Auf dem Weg zum Institut von Harald Welzer liegt ein Carglass-Betrieb: das Symbol für die moderne Industrialisierung von Handwerksleistungen. „Futur-zwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit“ nennt der Psychologe und Sozialpsychologe seine gemeinnützige Stiftung in Potsdam, von wo aus er innovative und nachhaltige wirtschaftliche Projekte und Unternehmen untersucht.

Immer mehr Bereiche industrialisieren sich. Discounter versuchen Begriffe wie Qualität zu besetzen. Gibt es typische Strategien, mit denen kleine Unternehmen ihre Zukunft sichern können?

Harald Welzer: Bei einem kleineren Teil der Verbraucher ist eine steigende Sehnsucht nach Qualität, nach Handwerklichkeit zu beobachten. Die Menschen wollen wissen, wo ein Produkt herkommt, wer es gemacht hat, wie die Ausgangsstoffe sind, wo sie herkommen. Alles, was bei einem klassischen handwerklichen Produkt im Vordergrund steht, wird immer wichtiger.

Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Erstens halten viele Produkte immer weniger lang, gehen zu früh kaputt. Zweitens gibt es ein gesteigertes Nachhaltigkeitsbewusstsein. Und es gibt viele soziale Bereiche, wo diese Kriterien eine große Rolle spielen.

Könnte sich denn daraus eine breite Massenbewegung entwickeln?

Die Frage ist, wie viele Leute darauf einsteigen. Denn solche Produkte sind erst einmal notwendigerweise teurer in der Anschaffung und viele Menschen operieren in der Regel mit kurzfristigen Rationalitäten.

Bei den Lebensmitteln kann man sehen, dass die meisten Menschen Lebensmittel beim Discounter, Billigfleisch aus der Massentierhaltung kaufen. Eine Qualitätsdiskussion findet also im Mainstream nicht statt.

Doch, diese Diskussion findet statt, aber sie hat keine Konsequenzen. Die aktuellen Studien zu Konsum- und Umweltbewusstsein zeigen eine extreme Diskrepanz: Mehr als 80 Prozent sind ganz furchtbar bewusst darüber, wie der Zustand der Natur ist, dass das alles erhaltenswert ist und so weiter. Aber wenn es darum geht, dass man selber eine Verantwortung wahrnimmt, dann sind es nur noch 13 Prozent oder weniger. Und diese 13 Prozent sind immer noch sozial erwünscht. Wenn es zum Schwur kommt, sind es dann noch drei oder fünf Prozent. Wir haben im Umgang mit der Zukunft eine Kultur entwickelt, die sich nur in symbolischem ­Handeln ausdrückt. Das hat die Funktion, praktisch nichts tun zu müssen. Die ständige Diskussion über Nachhaltigkeit hat die Funktion einer Ersatzhandlung.

Das führt in die gegenteilige Richtung?

Das führt dazu, dass die meisten Menschen hier der Auffassung sind, dass man schon wahnsinnig nachhaltig sei. Dabei ist man weiter hinter der Nachhaltigkeit zurück, wie sie etwa in den 60er-Jahren in unserem Land geherrscht hat. Die Leute wissen nicht, dass sie im Vergleich zu dieser Zeit mittlerweile das Vierfache verbrauchen. Hauptsache es klebt irgendwo ein Bio- oder Fair-Label zur Beruhigung drauf.

Wie relevant kann dieser Wertewandel dann überhaupt sein?

Der Wertewandel existiert im Mainstream nur auf einer symbolischen Ebene. Eine Gesellschaft, die nachhaltig wäre, würde über Nachhaltigkeit nicht sprechen. Genauso wie eine Gesellschaft, die innovativ wäre, über Innovation nicht sprechen würde. Man muss immer über das reden, was man nicht hat, um sich symbolisch zu versichern, dass man das Problem bewältigt. Deshalb ist der Mainstream auch überhaupt nicht nachhaltig. Das sehen wir an den Wachstumsraten, der Steigerung der Produktmengen und an der Verkürzung der Produktzyklen. Der Zug fährt nach wie vor völlig in die falsche Richtung. Und außer dass man über Nachhaltigkeit redet, ist da nichts nachhaltig.

Wir sehen im Augenblick, dass Discounter wie etwa Lidl versuchen, Eigenschaften wie Qualität zu besetzen. Was soll denn der handwerkliche Bäckerbetrieb machen, wenn er nun feststellt, dass man ihm den Begriff Qualität praktisch weggenommen hat? Dem kann er ja kaum etwas entgegensetzen.

Außer, dass er kleiner Unternehmer ist.

Als Beleg für die Qualität?

Die Frage wäre: Ist Lidl tatsächlich glaubwürdig? Ist es deren Sellingpoint? Etwa wie Opel als Lifestyle-Produkt. Da hat man ja auch Schwierigkeiten, das zu glauben. Wenn es Lidl gelingen sollte, sich als Qualitätsproduzent zu profilieren, sollte mich das eher wundern, denn deswegen gehen die Leute dort ja nicht einkaufen.

Weniger als Top-Qualitätsproduzent, sondern eher Händler, der ausreichende Qualität liefert, damit sich die Kunden wohlfühlen?

Sie meinen, damit sich die Kunden nicht mehr schämen, bei Lidl zu kaufen? Das könnte sein.

Die Frage kann man meiner Ansicht nach verallgemeinern: Was kann man tun, damit die Industrie bestimmte Begriffe wie zum Beispiel Qualität nicht weiter entwertet?

Wenig, so funktioniert der Kapitalismus eben. In vielen Bereichen wird Manufaktur gespielt. Oder nehmen Sie die Phaeton-Manufaktur, die gläserne Fabrik von VW in Dresden. Das ist ja der simulierte Autobau, wo die Kunden bei der Geburt ihres Autos zusehen können. Das Fahrzeug wird ja wie aus dem Mutterleib aus einem Fahrstuhl herausgefahren. Da wird nicht wirklich produziert, und die Arbeiter machen nur Show-Arbeit. Oder nehmen Sie diese ganze Pseudo-Handwerklichkeit in den Interieurs von Autos. Dagegen kann man nichts machen. Dieses Wirtschaftssystem funktioniert so, dass es jede Form der Marktchance okkupiert und mit größeren Mitteln umsetzt. Und zwar mit solchen Standards, die für den Massengeschmack gerade tauglich sind. Gerade gut genug, damit es alle noch in Ordnung finden.

Damit wären qualitativ hochwertige Produkte nicht beliebig nach oben skalierbar. Mit einer bestimmten Stückzahl kommt die Schwelle, ab der keine Qualität mehr produziert werden kann.

Oder sich das eben großindustriell nicht rechnet. Das, was ich für das Produkt einsetzen muss, macht es am Ende teurer und meine Gewinnspanne bleibt relativ klein. Und deshalb ist es uninteressant, es großmaßstäblich herzustellen.

Vita:
Prof. Dr. Harald Welzer (geb. 1958) ist Soziologe und Sozialpsychologe. Mitbegründer und Direktor von „FuturZwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit“, Professor für Transformationsdesign und -vermittlung an der Uni Flensburg, ständiger Gastprofessor für Sozialpsychologie an der Uni Sankt Gallen. Bücher: Täter, 2005; Klimakriege, 2008; Soldaten (mit Sönke Neitzel), 2011; Selbst denken (mit Bernd Sommer), 2013.