Christian Lindner Wir erleben die zweite industrielle Revolution

Mit Slogans wie „Beta Republik Deutschland“ versucht der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner seine Partei als Plattform für den Aufbruch zu positionieren. handwerk magazin hat mit ihm gesprochen.

Christian Lindner sieht in der Digitalisierung einen wichtigen Hebel zur Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit. - © Markus Feger

A n diesem Tag debattiert der nordrhein-westfälische Landtag in Düsseldorf über die Folgen des Brexits für das Bundesland. Generaldebatte. Ein Hauch von großer Politik durchweht das Landesparlament. Wir warten auf Christian Lindner auf der Empore. Vielleicht will er noch einmal sprechen, sagt seine Assistentin. Dann doch nicht. Los gehts, sagt er. Zeit ist knapp.

Muss Deutschland ein Start-up werden?

Wenn man darunter Veränderungs- und Risikobereitschaft, Mut und Freude an Innovation versteht, dann ja. Wir müssen die Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, wirklich für uns nutzen.

Wir haben eine tolle Konjunktur, Vollbeschäftigung, sind Exportweltmeister, in vielen Branchen Markt- und Know-how-Führer. Ist das überhaupt notwendig?

Deutschland ist in einer tollen Verfassung. Aber das ist keine Garantie für die Zukunft. Eine robuste Weltkonjunktur, der niedrige Ölpreis, der künstlich niedrige Außenwert des Euro, Niedrigzins und die Baby-Boomer im Erwerbsleben sind Sonderfaktoren, die nicht auf Dauer so bleiben müssen. Denken Sie an einen möglichen Präsidenten Trump. Oder: Das Zinsniveau wird nicht ewig so niedrig bleiben. Wer glaubt, die gegenwärtige Stärke sei eine Selbstverständlichkeit, der beginnt, diese Stärke zu verspielen. Wir sollten die jetzige gute Situation nutzen, um uns für unsichere Zeiten zu rüsten und um noch besser zu werden.

Was muss konkret geschehen?

Der Staat muss in digitale Infrastruktur und das Verkehrsnetz investieren. Es kann nicht sein, dass Millionen Stunden wertvoller Lebenszeit im Stau verschwendet werden. Wir müssen auch Privatinvestitionen fördern. Wir sollten dagegen auf unnütze Subventionen – wie etwa für das Elektroauto – verzichten, wenn davon nur eine einzige Branche profitiert. Stattdessen Wiedereinführung der degressiven Abschreibung, einheitlicher Steuersatz ohne Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sowie die Apples, Googles, Amazons und Starbucks dieser Welt zu einem fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehen.

Gibt es einen Strukturwandel in Deutschland, der die kleinen und mittleren Unternehmen zunehmend unter Druck setzt?

Das glaube ich nicht. Das Handwerk hat immer wieder gezeigt, dass es Tradition mit Erneuerung, mit neuen Technologien, Methoden und Kenntnissen verbinden kann. Kleine und mittlere Unternehmen, Start-ups und das Handwerk sind so etwas wie die ausgelagerte Forschungsabteilung Deutschlands, weil diese Firmen schneller als große Konzerne in der Lage sind, neue Entwicklungen aufzunehmen und darauf zu reagieren.

Im Handwerk fehlen in den nächsten fünf Jahren rund 270.000 Nachfolger. Was muss geschehen, damit die Gründungsbereitschaft steigt?

Erstens: Wir müssen diesen grassierenden Bürokratismus stoppen, damit es mehr Bewegungsfreiheit gibt – beim Arbeitszeitgesetz, der Arbeitsstättenverordnung, den Vorgaben für Gründer, beim Eintritt in den Ruhestand und der Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen. Hier können wir schlanker werden. Das macht die öffentliche Verwaltung günstiger.

Zweitens: Wir müssen etwas für die Ausbildung und die Ausbildungsfähigkeit tun. Den Fachkräftemangel müssen wir auch dadurch bekämpfen, indem wir verhindern, dass junge Menschen nicht mehr ohne Schulabschluss ins Leben entlassen werden oder keine Ausbildungsreife haben. In der beruflichen Bildung und Ausbildung darf nicht länger gekürzt werden.

Und drittens: Mehr Beispiele von erfolgreichen Gründern und Unternehmern in Schulen und Universitäten. Denn das Bild des Selbstständigen und Unternehmers in Deutschland hat vielfach nichts mit der Realität zu tun.

Viele Menschen befürchten, dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze verloren gehen.

Die Arbeitswelt wird sich verändern und es werden neue Aufgaben auf uns zukommen. Der Handwerksbetrieb 4.0 kommt nicht ohne Menschen aus, aber sie werden andere, möglicherweise höher qualifizierte Aufgaben haben. Deshalb ist Bildung eine Schlüsselfrage. Der Dachdeckerbetrieb wird auch künftig Fachkräfte brauchen, aber die werden eine Drohne etwa für die Vermessung oder Prüfung steuern können müssen.

Stehen wir vor einer Art Niveausprung?

Wir stehen mitten in der zweiten industriellen Revolution. Dieser Prozess bietet viele Vorteile für die Menschen, weil es soziale Teilhabe und mehr Produktivität bringt. Damit wir unser Wohlstandsniveau halten können, brauchen wir mehr Produktivität. Und die Digitalisierung ist dafür ein großer Hebel.

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie hier in wenigen Tagen!