Video-Tutorials: Fernsehen aus der Werkstatt

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Jeder zweite Youtube-Nutzer sucht laut Bitkom-Studie nach Anleitungen für handwerkliche Tätigkeiten. Wie Sie mit Fachkompetenz und einem authentischen Auftritt neue Kunden für sich gewinnen.

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    Lothar Jansen-Greef, Tischlermeister in Bad Arolsen, gehört mit über drei Millionen Abrufen bei Youtube zu den Quotenkönigen im deutschen Handwerk.
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    Jeder zweite der insgesamt 20 Millionen Youtube-Nutzer sucht laut Bitkom Tipps zu handwerklichen Tätigkeiten.
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    „Ich erkläre die Dinge so, wie ich sie einem Freund erklären würde.“ Tischlermeister Lothar Jansen-Greef beim Schnitt seiner Videos.

Lob gibt es für Lothar Jansen-Greef reichlich bei Youtube. „Immer wieder Danke für die tollen Videos“, postet ein Nutzer. Ein Fan aus der Schweiz schwärmt, nachdem er die Anleitung des Tischlermeisters zum Thema „Neues Eichenholz mit Öl schleifen und polieren“ gesehen hat: „Wow, was für tolle Sachen machst du da :-)!“ Ein anderer kommentiert den fast 14-minütigen Streifen mit den Worten: „Vielen Dank für die tollen Tipps. Daumen hoch.“

Wer im Internet nach Insidertricks zu Holzarbeiten sucht, kommt an Lothar Jansen-Greef kaum vorbei. Ob es um die Beseitigung von Schwundrissen an alten Möbeln oder um die Erneuerung historischer Dielenböden geht: im Youtube-Kanal des 58-Jährigen findet sich zu fast allen Fragen rund um den Naturwerkstoff eine Videoanleitung. Mehr als 150 dieser hilfreichen Kurzfilme hat der erfahrene Restaurator aus Bad Arolsen inzwischen auf der weltweit größten Videoplattform online gestellt. Über drei Millionen Abrufe und mehr als 8000 Abonnenten machen ihn zu einem der „Quotenkönige“ unter deutschen Handwerkern.

Kein geborener Entertainer

Dabei hatte der eher zurückhaltende Unternehmer alles andere als eine Medienkarriere im Sinn, als er vor sechs Jahren seine ersten beiden Videos ins Netz stellte. „Mit dem einen wollte ich die leider in Vergessenheit geratene Schellack-Politur wieder etwas ins Blickfeld rücken. Mit dem anderen zeigen, wie man ohne Gift wirksam Holzwürmer bekämpfen kann“, blickt er auf seine Erstlingswerke zurück. Zu seiner großen Überraschung verzeichneten die automatischen Zähler der Videoplattform bald vier- und fünfstellige Abrufzahlen für seine beiden Eigenproduktionen. Trotzdem sollten fast drei Jahre ins Land gehen, bis es auf seinem Youtube-Kanal etwas Neues zu sehen gab. „An Ideen mangelte es nicht“, verrät Jansen-Greef, „aber über die Umsetzung war ich mir sehr unsicher.“ So halte er sich nicht für den geborenen Entertainer, bekennt der Unternehmer, „und auch von Kameraführung, Moderation oder Schnitt habe ich ja nicht wirklich Ahnung“.

Dass er damit keineswegs allein steht, beobachtet Andreas Graap, Onlinemarketing-Experte der ersten Stunde und Berater namhafter Unternehmen, mit einigem Bedauern. „Handwerker sind aufgrund ihrer Kompetenz eigentlich prädestiniert dafür, Laien Tricks und Kniffe in vielen Bereichen des Lebens anschaulich zu erklären“, ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches „Video-Marketing“ überzeugt, „auf Youtube aber sind sie unterrepräsentiert“.

Welches Marketingpotenzial in Ratgeber-Videos steckt, zeigt eine Befragung des Branchenverbandes Bitkom. Ihr zufolge hat mehr als jeder dritte deutsche Internetnutzer (37 Prozent) schon Online-Tutorials genutzt. „Die Hälfte davon holt sich Unterstützung bei handwerklichen Tätigkeiten“, weiß Bitkom-Experte Timm Lutter, „vom Möbelzusammenbau bis zum Wechsel der Autobatterie“. Zum Vergleich: Für Sportanleitungen interessierten sich nur 29 Prozent. Besonders hoch im Kurs standen Haushaltsthemen, vom Backen übers Kochen bis hin zur Fleckentfernung (63 Prozent). „Auch das sind ja im Grunde Handwerkerdomänen“, gibt Experte Andreas Graap zu bedenken.

Die Sorge vieler Unternehmer, sich mit Anleitungen im Internet das eigenes Geschäft abzugraben, kann Tischlermeister Lothar Jansen-Greef nicht bestätigen. „Im Gegenteil“, rechnet er vor, „etwa jeder fünfte Kunde, der zu mir kommt, hätte ohne die Videos vermutlich nie den Weg in meine Werkstatt gefunden.“ Sogar aus Österreich und der Schweiz erhält er Aufträge. Die Gründe für den Kundenzuwachs seien vielfältig: „Nicht jeder, der eine Anleitung anschaut, traut sich die Arbeit hinterher auch selber zu“, weiß er aus Kundengesprächen. Vielen fehle zudem schlicht die Zeit oder das Werkzeug zur Umsetzung. „Wenn es irgendwann gilt eine Reparatur in Auftrag zu geben, bin ich für viele meiner Zuschauer schon so etwas wie ein alter Bekannter“, freut sich Jansen-Greef.

A4-Blatt als Drehbuch

Was nicht zuletzt dem sympathischen Erzählstil zu verdanken ist, den Greef aus dem Bauch heraus entwickelt hat. „Ich erkläre die Dinge so, wie ich sie einem guten Freund erklären würde“, fasst er sein Konzept zusammen. Als „Drehbuch“ dient ihm höchstens ein DIN-A4-Blatt, auf dem er die wichtigsten Inhalte vorab notiert. Ein Stativ ersetzt den Kameramann. Auch das übrige Equipment ist denkbar einfach: „Ich drehe mit einer Lumix FZ 150, das ist ein digitaler Fotoapparat, der schon für unter 300 Euro zu haben ist“, verrät Jansen-Greef. Ein externes Mikrofon oder Scheinwerfer? Braucht der Videoautor nicht. Den Schnitt erledigt er mit einer Standardsoftware von Magix für weniger als 100 Euro.

„Selbst mit einem Smartphone können Sie heute schon professionelle Videos drehen, schneiden und direkt ins Netz stellen“, geht Maler- und Lackierermeister Rolf Tingler noch einen Schritt weiter. Der Airbrush-Spezialist aus dem Schwarzwalddörfchen Kappel gehört zu den Youtubern der ersten Stunde. Als er im Sommer 2006 seine ersten Videoanleitungen veröffentlichte, war das Portal eher ein Insidertipp. Tingler erlebte die rasante Entwicklung zum Massenmedium hautnah mit. Allein das meistgeklickte Video seines Kanals „Airbrush Paradise Tingler“, die Anleitung für ein Weltraummotiv, weist fast 600 000 Abrufe aus.

„Wenn ich vor sieben oder acht Jahren ein Tutorial postete, schnellten die Zugriffs­zahlen oft binnen Tagen in den vierstelligen Bereich“, erinnert sich der Unternehmer. Heute dauere es mitunter Monate, bis diese Marke erreicht werde. „Das Angebot bei Youtube ist dank der technischen Vereinfachungen zuletzt rasant gewachsen“, analysiert der 52-Jährige, „jeder kann zum Sender werden, und immer mehr tun es.“

„Gleichzeitig gibt es einen Trend zur Professionalisierung“, weiß Experte Andreas Graap. Ging diese zunächst von den besucherstarken Musik- und Comedy-Kanälen aus, gilt dies zunehmend auch für Do-it-yourself-Videos. „Leichte“ und beliebte Ratgeberthemen – zum Beispiel Kosmetik oder Mode – werden heute von Shootingstars mit sechs- bis siebenstelligen Abonnentenzahlen dominiert, die oftmals von Mediaagenturen promotet werden.

Die Nische finden und sich trauen

Die von ProSieben-Sat1 gepushte 16-jährige „Julia Beautx“ erreichte mit Beauty- und Alltagstipps für Gleichaltrige in wenigen Monaten über 400 000 Abonnenten. Von den Werbeeinnahmen können diese Profi-Youtuber heute gut leben. Rolf Tingler hat die Werbefunktion auf seinem Kanal ebenfalls freigeschaltet. „Die Einnahmen reichen, um meine Internetkosten zu bezahlen“, sagt der Handwerker.

„Kleinere Angebote und Newcomer werden auf Youtube auch weiterhin ihr Publikum finden“, ermutigt Andreas Graap gerade Kleinunternehmer zum Einstieg. Wichtig für den Erfolg sei es, Thema und Zielgruppe möglichst klar einzugrenzen und einen eigenen, authentischen Stil zu entwickeln (siehe Infokasten Seite 37). „Je spezieller die Nische und je origineller die Ansprache, desto größer die Chancen, eine Marke zu setzen“, so der Experte. Der größte Anfängerfehler sei es, „sich nicht zu trauen“.