Mikrobrauereien: Brau-Opposition in der Hauptstadt

Berlin entwickelt sich zur Hauptstadt eines Biertrends, der in den USA, Großbritannien und Skandinavien längst riesig ist: Craft Beer, handwerklich gebrautes Bier aus kleinen Brauereien.

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    Tom Crozier, Wahl­berliner und Mikrobrauer, in seinem Vagabund-­Ausschank in Wedding.
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    Vagabund-Poet Stephen King kommt auch in Wedding zu Wort.
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    Den Aufbau der Brauerei finanzierten die drei US-Amerikaner über Crowdfunding.
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    Hinter der Vagabund- Brauerei stehen Tom Crozier, David Spengler und Matt Walthall.
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    Sebastian Mergel (li.) und Julian Schmidt: echte Brauer der Berliner Bierfabrik (BBF).
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    Das Lager der Berliner Bierfabrik: säckeweise Pilsener Malz.
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    Michael Schwab ist in Berlin ein Mikrobrauer der ersten Stunde.
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    In fünf Jahren braute Schwab 100 verschiedene Biersorten. Spezialität: die Berliner Weiße.
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    Markthalle in Berlin-Kreuzberg: Johannes Heidenpeter hat hier einen eigenen Ausschank.
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    Auf ein Bier: Heidenpeter mit Kundin beim Frühschoppen.
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    Alter Zapfhahn: Heidenpeter steht in seinem Ausschank selber hinter dem Tresen.
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    Diplombrauingenieur Thorsten Schoppe: probiert im Brauhaus Südstern in Kreuzberg gerne mal was Neues.

Vielleicht liegt es an der Mütze. Irgendwie sieht Johannes Heidenpeter aus wie ein Brauer von vor 150 Jahren. Und das gefällt ihm. Als er vor drei Jahren das erste Bier zuhause in seiner Küche braute, hat ihn der Gedanke fasziniert, dass das ganz altes Handwerk ist. „Das hatte fast etwas Archaisches. Als ich in meinem Sud gerührt habe, dachte ich immer: Genau so haben die das vor 300 Jahren schon gemacht. Und damals hat das auch so gerochen.“

Ein Jahr lang braute der Wahlberliner hobbymäßig in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg. Wäre er im Oktober 2011 nicht zufällig an einer leerstehenden Metzgerei vorbei gelaufen, täte er das vielleicht heute noch. „Als ich da reingeschaut habe, wusste ich plötzlich: Da muss eine Brauerei rein. Meine Brauerei.“ So wurde Johannes Heidenpeter zum Selfmade- Brauer mit einer eigenen Brauerei: 450-Liter-Sudkessel, 10 000 Liter Lagerkapazität. Eine Mikrobrauerei. Man könnte ihn als Craft-Brewer bezeichnen. Und sein Bier als Craft Beer.

Craft Beer ist der brisanteste Trend der Getränkebranche. Begriff und Bewegung kommen aus den USA („craft“ steht für Handwerk). Dort fingen in den 1970ern immer mehr Leute an, Bier zuhause zu brauen. Eine Art Gegengewicht zur Übermacht der damals drei großen Braukonzerne Anheuser-Busch, Miller und Coors.

Die Szene in Berlin

Craft Beer macht heute 15 Prozent des Umsatzes im US-Biermarkt aus. Vor gut fünf Jahren schwappte die Idee in die Alte Welt. Großbritannien und Skandinavien traf die Craft-Beer-Welle zuerst, in Deutschland tat sich lange nichts – bis vor drei Jahren in Berlin eine Mikrobrauerszene entstand. Das mag zum einen an den vielen Touristen in der Hauptstadt liegen, die das Prinzip Craft Beer bereits kennen. Zum anderen wiederholt sich hier im Kleinen, was in den USA geschehen war: Obwohl die Hauptstadt auf eine stolze Biergeschichte mit einst etlichen kleinen Brauereien zurückschauen kann, gehören heute alle großen Berliner Biere zu einer Gruppe: Radeberger. Eine neue Bewegung macht Sinn. Auch weil das ureigenste aller Berliner Biere in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen droht: die Berliner Weiße.

Die zu retten hat sich Michael Schwab auf die Fahne geschrieben. Ein Mikrobrauer der ersten Stunde. 2005, lange bevor Biere wie seine unter dem Begriff Craft Beer eine heiße Sache wurden, machte der Braumeister unter dem Namen Brewbaker besondere Biere in einer Braugaststätte im S-Bahnbogen Bellevue. In fünf Jahren kam er auf 100 verschiedene Biere. Nach zwei Umzügen hat er nun eine größere Braustätte gefunden, wo er eine hochgelobte Berliner Weiße braut, die unbedingt ohne Sirup getrunken werden sollte.

100 Biersorten, das ist erstaunlich. Wer meint, in der Biernation Deutschland gäbe es eine große Bierauswahl, der irrt: Zwar gibt es etwa 1400 Brauereien, doch was sie brauen, ist fast immer gleich: Helles und Pils. Mal ein Kölsch, Alt oder Schwarzbier. Und Weizen. Selten mehr. Davon heben sich Mikrobrauer ab, die gerne mal ein fruchtiges India Pale Ale (IPA), ein trockenes Porter oder ein cremiges Stout, ein Lambic, Saison oder Sauerbier brauen.

Freude am Neuen

Auch Diplombrauingenieur Thorsten Schoppe machte in seinem Brauhaus Südstern in Kreuzberg lange nur standardmäßig ein Helles, ein Dunkles und ein Weißbier. Bis ihm das zu langweilig wurde. Nur 08/15-Biere brauen? „Das hätte ich leichter haben können, wenn ich mich in einer Großbrauerei hätte anstellen lassen.“ Also beschloss er, einfach einmal ein IPA zu machen. Ein obergäriges Bier, doppeltgehopft, mit amerikanischen Hopfensorten. „Das wurde phänomenal angenommen.“ Und so ist es nicht bei seinem Schoppe Bräu „Holy Shit Ale“ geblieben, Schoppe braut heute am Südstern und in seiner zweiten Mikrobrauerei, dem Pfefferbräu in Prenzlauer Berg, ein Roggenbier und ein zehnprozentiges Pale Ale, das er in einem Whiskyfass nachreifen lässt.

Außerdem lässt Thorsten Schoppe neue Mikrobrauer an seine Kessel: Sogenannte Gypsie-Brewer brauen, ohne eine eigene Brauanlage zu besitzen. Sie mieten sich tage- oder sudweise bei anderen ein. Anders hätten die Jungs von der Berliner Bierfabrik ihr Brau-Business nicht anfangen können. Sebastian Mergel, André Schleypen und Julian Schmidt haben ihr Handwerk gelernt, Brauerei- und Getränketechnologie an der TU Berlin studiert und gründeten aus dem Studium heraus. Sie konnten jetzt ihre eigene Mikrobrauerei in Marzahn einweihen.

Brauen ist ehrliches Handwerk

Tom Crozier, David Spengler und Matt Walthall, drei in Berlin lebende Amerikaner, starteten ihre Vagabund Brauerei im Wedding: Zur Finanzierung launchten sie eine Crowdfunding-Kampagne. 20 000 Euro Startkapital kamen für Gärtanks, Pumpen, Zapfanlage zusammen. Die 30 Investoren bekommen, je nach Einlage, ein Jahr oder lebenslang alle zwei Wochen einen Liter frisches Bier. Seitdem haben die drei Wahlberliner ihre Jobs als Englischlehrer und Kindergärtner aufgegeben und sind nun Mikrobrauer im Wedding.

Johannes Heidenpeter, der einen Abschluss an der Berliner Kunstakademie hat, sagt gern, dass er als Brauer arbeite. „Das ist besser als zu sagen, dass man Künstler ist.“ Brauen, das sei eben ein ehrliches Handwerk.