Kreativwirtschaft Mit Fingerspitzen und Köpfchen

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Internationale Handwerksmesse und Kreativwirtschaft

Die Kunst- und Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Erfolgstreiber der deutschen Wirtschaft – mit ­positivem Trend. Auch Handwerker profitieren von der florierenden Branche: als kreative Köpfe ebenso wie als geschickte Ideen-Umsetzer.

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    © Stephan Minx
    »Die Projekte müssen auf hohem Niveau zeitgerecht funktionieren.« Rüdiger Schiefer, Schreinermeister und Inhaber des gleichnamigen Betriebs im fränkischen Neustadt an der Aisch.
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    © Christian Hüller
    »Kreativmärkte sind nicht so umkämpft, und es gibt weniger Streit.« Oliver Häse, Geschäftsführer der Jaeger Maler Plus GmbH in Zwenkau bei Leipzig.
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    »Wir sehen uns als Kulturdienstleister für Filmindustrie und Theater.« Nikola Fölster, die Leiterin der Kostümabteilung beim Berliner Betrieb Theaterkunst.

Tagelang haben die Schneiderinnen sich mit dem aufwendigen Kostüm beschäftigt.Nun präsentiert sich das Renaissance-Kleid mit ausladendem Rock und Spitzenbesatz fertig auf der Schneiderpuppe. In wenigen Tagen wird die Schauspielerin in die Theaterkunst GmbH kommen, um das Stück anzuprobieren, in das die Handwerkerinnen viele Stunden Arbeit gesteckt haben: mit der Recherche, wie Kleider dieser Epoche geschneidert wurden; mit dem Nähen – teilweise von Hand. In der Werkstatt von Theaterkunst geht es nicht nur darum, nach Vorgaben Kleidung zu produzieren, sondern um Authentizität.

Das Berliner Unternehmen schneidert, vermietet und verkauft Kostüme an Film und Fernsehproduktionen. Auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern beinhaltet der Fundus etwa zehn Millionen Kostümteile. „Wir sind eigentlich ein Kulturbetrieb – auch wenn in der Werkstatt hundertprozentig handwerklich gefertigt wird“, sagt Nikola Fölster, die Leiterin der Kostümabteilung bei Theaterkunst.

Umsatz durch künstlerische, schöpferische und kreative Produkte oder Dienstleistungen

Handwerk und Kultur schließen sich keineswegs aus. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) ist Deutschlands Kultur- und Kreativwirtschaft einer der größten Wirtschaftsbereiche: mit großem Innovationspotenzial und hohem Jahresumsatz. Tendenz steigend. Von dieser positiven Entwicklung kann auch das Handwerk profitieren. Und zwar nicht nur die Betriebe, die sich selbst der Kunstbranche zurechnen, sondern auch solche, die sich als Dienstleister für Kultureinrichtungen sehen.

Laut Monitoring-Bericht des BMWI von Ende 2015 sind insgesamt fast 250.000 Unternehmen und Selbstständige in der Kulturindustrie tätig, mit mehr als einer Million Erwerbstätigen. Gemeinsam erwirtschafteten sie im Jahr 2014 einen Umsatz von 146 Milliarden Euro. Definiert wird der Bereich vor allem dadurch, dass der Umsatz durch künstlerische, schöpferische und kreative Produkte oder Dienstleistungen erwirtschaftet wird. Ein sehr vielseitiges Feld von Goldschmieden über Musiker und Schauspieler bis hin zur Games- und Software-Industrie.

Handwerksbetriebe beteiligen sich

Um die Chancen für das Handwerk herauszuarbeiten, beauftragte das BMWI bereits 2011 das Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh) und das Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln (KWF) mit einer Studie. Demnach waren zu dieser Zeit 175.000 Handwerksunternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig – und zwar in mehr als der Hälfte der Gewerke (siehe Übersicht unten). Das machte etwa 21 Prozent der gesamten Betriebe aus. Das ist laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) noch heute so.

„Wir sehen uns als Kulturdienstleister“, sagt Nikola Fölster deutlich und positioniert Theaterkunst damit zwischen dem Handwerk und den Künstlern. Andere Handwerker – allerdings nur ein sehr kleiner Teil – schreiben sich hingegen voll und ganz der Kunst zu: So sehen sich Holzbildhauer, Schmuckhersteller oder Metallbildner eher als Künstler. Eine weitere Chance bietet die Branche denjenigen, die sich ausschließlich als Handwerker sehen und die Kulturbranche lediglich als einen Abnehmer in der Kundenakte führen.

„Als kunstaffin würde ich mich nicht bezeichnen“, sagt Rüdiger Schiefer aus dem fränkischen Neustadt an der Aisch. Für Ausstellungs- und und Museumsbesuche fehle dem Tischler einfach die Zeit, erklärt er – zumindest in seiner Freizeit. In seiner Schreinerei hingegen bleibt die Auseinandersetzung mit kulturellen Themen nicht aus. Denn Schiefer betreut das Kunstpalais Erlangen sowie den Comic Salon, der Ende Mai in Erlangen stattgefunden hat.

Als Messebau bezeichnet der 50-jährige Handwerker seine Tätigkeiten dort: Spanplatten aufstellen, Säulen installieren und Tische bauen, Wände stellen. Es ist ein kleiner Betrieb – und ein vielseitiger. Seine Schwerpunkte sind eigentlich Privatkundenaufträge: Innenausbau, Badgestaltung, Möbelanfertigungen. Die Aufträge von Kultureinrichtungen machen seiner Aussage nach nur einen sehr kleinen Teil aus. Durchschnittlich dreimal im Jahr wird er ein bis zwei Wochen vom Kunstpalais in Anspruch genommen; alle zwei Jahre etwa eine Woche vom Comic Salon.

Der Zeitdruck ist enorm

Sich ganz auf die Kulturbranche zu spezialisieren ist gar nicht Schiefers Ziel. Der pragmatische Handwerksmeister genießt die Vielseitigkeit seines Jobs; da kommen die Kulturaufträge gerade recht. „Letztendlich ist es ein Kunde wie alle anderen“, sagt Schiefer über das Kunstpalais. Nur einen großen Unterschied gebe es: Die zeitlichen Abläufe sind bei Kunstpalais und Comic Salon immer sehr knapp bemessen.

Meist hat der Schreinermeister nur eine Woche vom Auftragseingang bis zur Fertigstellung. „Es muss einfach immer schnell gehen.“ Da komme es schon mal vor, dass er und sein Geselle in dieser einen Woche mehrere 15-Stunden-Tage einlegen müssten. „Bei etwa 100 Spanplatten mit entsprechendem Gewicht ist man am Ende schon ein bisschen erledigt.“

Insgesamt passt der Zwei-Mann-Betrieb von der Betriebsstruktur genau ins Bild der typischen kultur- und kreativwirtschaftlichen Unternehmen. Denn laut Monitorbericht des BMWI handelt es sich zu großen Teilen um Klein- oder Kleinstbetriebe, die bei der Kundengewinnung vor allem auf Empfehlungen und gute Netzwerkarbeit setzen. Das ifh gibt an, dass mehr als 50 Prozent Solo-Selbstständige sind; eine große Anzahl der Betriebe beschäftigt weniger als zehn Mitarbeiter.

Ganz anders sieht es bei der Jaeger Maler Plus GmbH in Zwenkau aus. Der Betrieb, den Oliver Häse als Geschäftsführer leitet, ist fester Bestandteil der Unternehmensgruppe Jaeger Ausbau, die deutschlandweit 28 Standorte hat. Malerarbeiten bietet nur der Betrieb in Zwenkau an. „Unser Brot- und Buttergeschäft ist eigentlich die Industrie“, erklärt Häse. Aufträge der kreativen Branche würden höchstens zehn Prozent ausmachen. Vor allem übernimmt das Unternehmen die Maler- und Lackierarbeiten von Wohn- und Bürogebäuden, aber auch die Innengestaltung von Kreuzfahrtschiffen gehört dazu, und es hat auch schon Fernsehstudios bearbeitet. Eine Besonderheit war 2015 der Ausbau des rumänischen Kunstpavillons auf der Biennale in Venedig.

Der Auftrag kam durch Geschäftsbeziehungen zustande: Der Berliner Standort von Jaeger war mit dem Innenausbau beauftragt; die Malerarbeiten gingen nach Zwenkau. „Ich freue mich immer sehr, wenn die Arbeit ein bisschen vom Tagesgeschäft abweicht“, betont der Handwerksmeister, der sich selbst durchaus als kunstaffin bezeichnet. Sein Vater war Künstler, der Bruder studierte Design.

Die Herausforderung bei solchen Aufträgen: Man benötigt Improvisationstalent sowie Kreativität, und sie führen häufig ins Ausland. Denn, so auch die Studie des ifh, dort nimmt das deutsche Handwerk einen großen Stellenwert ein. Insbesondere die Logistik sei dann schwierig, wenn beispielsweise die Farbe ausgeht oder plötzlich Sonderwünsche aufkommen. Zudem würden im kreativen Bereich die Auftraggeber eher die Meinung der Experten einholen, als es in seinem Tagesgeschäft der Fall ist. Deshalb gehöre viel Erfahrung ins Gepäck sowie Erfindungsgeist und Selbstvertrauen, ist Häse bewusst: „Die Leute müssen selbstständig arbeiten und auch entscheiden können.“

Hohe Innovationskraft

Die eigenen Spielräume sind also größer; die Qualifizierung der Mitarbeiter spielt eine wichtige Rolle. Laut Angaben des ifh gibt es in 75 Prozent der kultur- und kreativwirtschaftlichen Handwerksunternehmen mindestens eine Person mit Gesellenprüfung, bei etwa 60 Prozent ist ein Meister tätig. Und immerhin in jedem vierten Betrieb arbeite eine Person mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Zusätzlich bietet das Handwerk spezielle Zusatzqualifizierungen wie den Restaurator und den Gestalter im Handwerk an (siehe handwerk magazin 06/16).

Wie in vielen Gewerken gibt es aber auch hier Nachwuchsmangel. Dabei seien laut ZDH die beruflichen und ökonomischen Aussichten gerade in den Bereichen mit Zusatzqualifikationen positiver als mit einem akademischen Bildungsweg. Dem hohen Qualifizierungsgrad steht außerdem eine sehr hohe Innovationskraft der Branche zur Seite. Sie gelte nicht nur bei Produktentwicklungen, sondern auch bei Organisationsabläufen und in der Kommunikation.

Nicht das große Geld

Für Häse, als Leiter eines so großen Wirtschaftsunternehmens, bleibt die Branche aber ein kleiner Umsatzbereich. Das große Geld verdiene man mit diesen Aufträgen eher nicht, sagt er. Außer man könne langfristig ganz spezielle Nischen besetzen. Der Auftrag in Venedig jedenfalls habe vor allem die Kosten gedeckt. „Kreativ sein bedeutet meist nicht, dass man schnell reich wird“, so das Fazit des 53-Jährigen. Der Vorteil aber: Die Märkte seien nicht so umkämpft, und juristische Streitereien um die Bezahlung blieben meist aus. Zusammen mit dem Innenausbau war der Kunstpavillon mit etwa 300.000 bis 500.000 Euro ein eher kleines Projekt. Gelohnt hat es sich für Oliver Häse trotzdem.

Die ifh-Studie belegt, dass die Vorleistungen der in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätigen Handwerksbetriebe geringer sind, verglichen mit der Gesamtzahl der Handwerksbetriebe. Damit ergibt sich eine höhere Wertschöpfung gegenüber dem Durchschnitt. Viele können das in ihrer Preispolitik umsetzen. Dazu passt die Anspruchshaltung der Kunden wie der Kulturschaffenden.

Zum Kennzeichen der Branche zählt laut ifh eine regelrechte „Qualitätsversessenheit“. Oder die „Liebe zum Detail“, wie Nikola Fölster es nennt. Bei Theaterkunst gilt das besonders für historische Kostüme, deren Vermietung den Hauptumsatz des Unternehmens ausmacht. Zum Bestand gehören zahlreiche Originalkostüme ab 1890, die restauriert oder aufgearbeitet werden. Viele Outfits fertigen die vier Damen- und Herrenschneiderinnen nach Vorlage an, wie die fünffache Anfertigung der Stewardessen-Uniform aus den 1970er-Jahren, in der Emma Watson im Film „Colonia Dignidad“ diesen Februar im Kino zu sehen war.

Frauen machen sich stark

Spezielles historisches Schneiderwissen und besonderes Geschick sind dafür Voraussetzung. Leider gibt es dafür aber immer weniger Zusatzqualifizierungen. „Man arbeitet sich in die Branche ein“, erklärt Fölster. Männer gibt es zurzeit in der Werkstatt übrigens nicht. Das ist in vielen Handwerkszweigen der kreativen Branche laut ifh-Studie aber nicht untypisch: Mit 34 Prozent liege der Frauenanteil um einiges höher als im Handwerk insgesamt (25 Prozent).

Auffällig ist aber: Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist kein starres Gebilde, das nach strengen Regeln und Mustern funktioniert, sondern sich immer wieder neu erfindet. Das macht für viele Unternehmen, auch aus dem Handwerk, den Reiz der Branche aus: die Vielseitigkeit, die Möglichkeiten, sich selbst einzubringen, die Abwechslung. Und das gilt für Frauen ebenso wie für Männer; für Kunstliebhaber ebenso wie für Kulturbanausen. Ein Vollbluthandwerker wie Rüdiger Schiefer, ein kulturaffiner Manager wie Oliver Häse oder eine Kulturschaffende wie Nikola Fölster – sie alle profitieren vom Erfolg der Kultur- und Kreativbranche. Solange sie flexibel sind und ihre Kreativität einsetzen.

Marktgröße und Betriebstyp

Etwa 175.000 Handwerksbetriebe mit etwa 900.000 Erwerbstätigen arbeiten für die und in der Kultur- und Kreativwirtschaft. 2011 haben diese 21 Prozent der gesamten Handwerksunternehmen einen Umsatz von 77 Milliarden Euro erwirtschaftet – und damit etwa 16 Prozent des gesamten Umsatzes des Handwerks .

Das kultur- und kreativwirtschaftliche Handwerk (KuK) unterscheidet sich von anderen Betrieben durch:
  • Hohe Spezialisierung: KuK-Handwerksunternehmen haben sich in vielen Fällen überdurchschnittlich stark handwerklich spezialisiert.
  • Ausgeprägte Innovation: Die Innovationstätigkeit ist auffallend hoch in KuK-Handwerksbetrieben.
  • Starke Exportorientierung: Auslandstätigkeiten sind besonders häufig zu finden
  • Geringe Betriebsgröße: Es handelt sich mit deutlicher Mehrheit um Klein- und Kleinstbetriebe.
  • Hoher Frauenanteil: Der Frauenanteil sowie der Anteil weiblicher Selbstständigkeit ist höher als im Handwerk insgesamt
  • Hohe Qualifizierung: Die Zahl der Hochschulabsolventen in KuK-Handwerksunternehmen ist sehr hoch. Es gibt hier häufig eine doppelte Qualifizierung.