Israel: Wenn Handwerk Herzen öffnet

Wände streichen, Leitungen verlegen, Möbel reparieren: In Israel sanieren mittlerweile über das Jahr verteilt 130 deutsche Handwerker unentgeltlich die Wohnungen von Holocaust-Überlebenden.

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    © Michael Sawitzki
    Jerusalem ist für die Handwerker nicht nur ein Arbeitsort. In der Freizeit am Abend oder am Wochenende besichtigen sie wichtige historische Stätten wie die Altstadt mit Felsendom.
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Antisemitismus: Was bei vielen bereits als veraltet und in Deutschland überwunden gilt, zeigt sich doch jeden Tag aufs Neue, wenn Nachrichten von Beleidigungen und Angriffen gegenüber Juden bekannt werden. Umso wertvoller ist es dann, wenn Menschen gegen eine solche Haltung klar und deutlich Stellung beziehen und sich für eine Wiedergutmachung einsetzen. Der Handwerkerdienst der Sächsischen Israelfreunde in Rossau bei Freiberg hat sich genau das zum Ziel gesetzt: Gemeinsam bringen Handwerker unermüdlich ihre Expertise und ihr Können in Israel ein, um Holocaust-Überlebenden ein schönes Leben zu ermöglichen. Und beim Sägen, Hämmern, Streichen und Leitungen verlegen zeigen sie, dass Handwerk nicht nur Wohnungen sanieren, sondern auch die Beziehungen zweier Völker kitten kann. Angefangen hatte alles vor etwa elf Jahren, als Michael Sawitzki und vier befreundete Handwerker nach Israel reisten, um in Jerusalem einer Hilfsorganisation ihr handwerkliches Können zur Verfügung zu stellen.

Drei bis vier Wohnungen pro Monat

Dort kam der selbständige Handwerker und Natursteinexperte in engen Kontakt mit einigen Holocaust-Überlebenden. Und mit deren großer Dankbarkeit. „Wir haben es erst gar nicht verstehen können, als sie einfach zu uns Deutschen sagten, dass sie uns lieb hätten“, erinnert sich der 54-Jährige. Der Funke war auf ihn übergesprungen und das Bedürfnis zu helfen wuchs weiter. Schnell sprach sich das Projekt herum und immer mehr Handwerker schlossen sich an. Nach einigen Jahren waren es schon 80 Helfer, die den Menschen in Israel etwas Gutes tun wollten.

Viele der Holocaust-Überlebenden hätten nur begrenzte finanzielle Mittel, erklärt Sawitzki. Wer das Konzentrationslager überlebt hat, erhält eine Rente der Bundesrepublik. Doch das sind längst nicht alle; wer in Ghettos lebte oder geflüchtet ist, bekommt eine solche Unterstützung nicht. Für sie bleibt heute nur ein geringer finanzieller Spielraum, und gerade für die Sanierung der Wohnungen steht häufig kein Geld zur Verfügung. Dass das jedoch dringend notwendig ist, hat der Handwerkerdienst „Hände zum Leben“ schnell erkannt und sich bereits 2008 auf diese Hilfsleistungen konzentriert. Dafür arbeitet er mit Vereinen vor Ort zusammen, die hilfsbedürftige Betroffene vermitteln.

Inzwischen arbeiten das ganze Jahr über freiwillige Helfer in Jerusalem: Beinahe jeden Monat reist ein Team aus 16 Personen für zwei Wochen nach Jerusalem, teilt sich eine Unterkunft und arbeitet tagsüber in den Wohnungen der Überlebenden. Etwa drei bis vier Wohnungen schaffen sie so je Einsatz. Die Kosten für Reise, Ausflüge und Unterkunft zahlen sie selbst – das Material spendet der Verein Sächsische Israelfreunde. Die Hälfte der Teilnehmer sind ausgebildete Handwerker, wie Maler, Elektriker und Installateure – die meisten kommen aus Sachsen. Doch auch aus anderen Teilen Deutschlands gibt es bereits Unterstützung.

Zusätzlich interessieren sich auch handwerklich geschickte Helfer für das Projekt. Mittlerweile gibt es auch einige Frauen, die für den Handwerkerdienst nach Israel reisen. Das sei gerade für die Beziehungsarbeit ein großer Vorteil, erklärt Sawitzki, der sich auch heute noch um die Organisation von „Hände zum Leben“ kümmert. Darauf legt der Handwerkerdienst einen besonderen Fokus: Offen aufeinander zugehen, miteinander sprechen, eine Beziehung eingehen und Menschen versöhnen. Denn genau das geschehe, wenn die Überlebenden ihre Türen für die deutschen Handwerker öffnen und sie in ihr Leben einlassen.

Versöhnung ist möglich

Schließlich sei das nicht für alle selbstverständlich; zu tief sitzen die schrecklichen Erinnerungen bei einigen. Doch die meisten ließen sich dann doch von den Organisatoren der Vereine überzeugen – und erleben die Begegnung dann umso intensiver. „Manche erzählen plötzlich und zum allerersten Mal ihre Geschichte“, berichtet Sawitzki. „Da passiert etwas in den Herzen; es öffnet sich etwas, was jahrelang zu war.“ Und die Menschen gehen versöhnt auseinander.

Und nicht nur für sie sei es eine besondere Situation, erklärt er. Es verändere auch die Helfer. Einige sprechen zum ersten Mal mit Zeugen dieser einschneidenden Zeit, erfahren viel Schmerzhaftes, aber auch Schönes. „Zu sehen, dass Versöhnung möglich ist, ist ein ganz besonderes Geschenk“, erklärt Sawitzki. Darüber hinaus stärkt die gemeinsame Arbeit in Israel viele Teilnehmer auch in ihrem Glauben.

Gemeinsam zu arbeiten, zu essen, Geschichten zu erzählen und gelegentlich auch Tränen zu vergießen – das schweißt die Menschen zusammen. Für die Sächsischen Israelfreunde ist dies ein großer Erfolg, der sich auch in der nicht sinkenden Zahl an Teilnehmeranfragen zeigt. Für 2016 sind bereits fast alle Plätze besetzt.

Nicht einmal die Kämpfe und Anschläge, die Israel Tag für Tag erschüttern, können die Motivation des Handwerkerdienstes bremsen. „Wir haben nicht mehr viel Zeit“, betont Michael Sawitzki mit Blick auf das Alter der Holocaust-Überlebenden. „Und die müssen wir nutzen.“

Fakten: Der Verein ­Sächsische Israelfreunde

Die christliche Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, die Bindung zum „alten Bundesvolk Israel“ zu stärken und durch die Begegnung mit Juden und Arabern die Versöhnung der Völker voranzutreiben. Der Handwerkerdienst arbeitet vor allem in Jerusalem. Es gibt aber auch einen Einsatzort in Sderot direkt am Gazastreifen. Pro Teilnehmer kostet die Reise 800 Euro für Flug, Verpflegung, Unterkunft in einer gemeinsamen Wohnung und Ausflüge. Jeden Morgen gibt es eine gemeinsame Andacht, an der alle teilnehmen müssen.