Hans Peter Wollseifer: „Wir tragen eine Verantwortung“

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Hans Peter Wollseifer fordert ein humanitäres Bleiberecht für Flüchtlinge, die sich im Handwerk ausbilden lassen. Das sind wir unserer Geschichte schuldig, sagt der ZDH-Präsident im Interview.

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    Hans Peter Wollseifer, geboren am 5. August 1955 in Hürth, verheiratet, zwei Kinder. 1976 Meisterprüfung des Maler- und Lackiererhandwerks und Übernahme des elterlichen Betriebs. Präsident der Kölner Handwerkskammer und seit Dezember 2013 Präsident des ZDH. In der Freizeit passionierter Harley-Fahrer.
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    „Es geht nicht darum, ob ­Migranten ein gesellschaft­liches Verlustgeschäft sind oder nicht.“

Schwere Wolken am Himmel von Berlin. Es ist Mittwochvormittag, genau eine Woche nach den schrecklichen Attentaten von Paris. Im obersten Stockwerk des Gebäudes des Zentralverbands des Deutschen Handwerks am Gendarmenmarkt warten Brezel, Butter und Kaffee auf dem Tisch. In der Ferne flattern die bundesdeutschen Farben über Parlament und Kanzleramt. Es gibt nur wenige Themen, über die sich an diesem Tag wirklich zu sprechen lohnt.

Glauben Sie, dass die Idee, politische Flüchtlinge zu Auszubildenden im Handwerk zu machen, auf breite Zustimmung stößt?

Hans Peter Wollseifer: Wir im Handwerk haben eine hohe Willkommenskultur. Umfragen der Kammern belegen: Das Handwerk ist bereit zu helfen und die vielen jungen Leute, die aus Kriegsgebieten kommen und teilweise traumatisiert sind, die allein geflüchteten Kinder auszubilden.
Junge Familien, die oftmals eine gute Bildung haben und handwerkliches Geschick, können weiter qualifiziert werden. Und eine handwerkliche Ausbildung ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und eine Lebens­perspektive.

Die Betriebe müssen aber sicher sein können, dass kein Auszubildender abgeschoben wird. Hier muss die Politik mitwirken. Wir möchten ein humanitäres Bleiberecht: für die Zeit der Ausbildung plus zwei Jahre. Dann wären die Betriebe zusätzlich motiviert, da sie nach der Ausbildung noch ein bis zwei Jahre über gute Fachkräfte verfügen. Danach können diese gut ausgebildeten Menschen in ihrem Land beim Aufbau mithelfen. Oder sie bleiben hier und der deutschen Wirtschaft erhalten. Wir können sie sehr gut gebrauchen.

Scheinbar gibt es immer mehr Menschen in Deutschland, die Flüchtlinge möglichst schnell wieder loswerden wollen?

Ja, es gibt einige Menschen, die anders denken und diese Flüchtlinge schnell zurückschicken wollen. Aber wir haben hier eine gesellschaftliche Verantwortung. Auch aufgrund unserer Geschichte sind wir diejenigen, die diesen Menschen helfen müssen. Das ist ein Teil der Völkerverständigung, eine humanitäre Aufgabe, die wir angehen müssen.

Seit einigen Wochen gibt es etliche sich widersprechende Studien und Analysen zu den Kosten. Was glauben Sie: Sind Migranten ein gesellschaftliches Verlustgeschäft oder nicht?

Es ist nicht angemessen, die Lebensleistung in Euro aufzurechnen. Das führt nur zu einer Diskussion über „Humankapital“. Stattdessen müssen wir  versuchen, Zuwanderer und Flüchtlinge  sprachlich und beruflich zu qualifizieren und erfolgreich zu integrieren. Wenn sie Asylrecht bekommen, können sie unsere Wirtschaft unterstützen. Wir müssen künftig Wachstum generieren, um den Wohlstand zu erhalten. Und die demografische Entwicklung zeigt die Dringlichkeit meiner Aussage. Wir brauchen Fachkräfte, und das ist vielleicht ein Teil der Lösung, die wir benötigen.

Soll, wer arbeitet oder sich im Handwerk ausbilden lässt, ein begrenztes Bleiberecht bekommen, auch wenn sein Asylantrag negativ beschieden wurde?

Wir können diese Menschen nicht zum Nichtstun verdonnern. Sie müssen während der Wartezeit beschäftigt werden. Sie benötigen sofort ­einen Deutschkurs. Das können wir leisten in diesem Land.

Spitzen wir die Fragestellung ein wenig zu: Kann mehr Multikulti helfen, das Problem des Fachkräftemangels zu lösen?

Im Zentrum steht zuerst die humanitäre Sichtweise. Das Handwerk ist prädestiniert für die Integration junger Menschen. Und wir tun das nicht nur aktuell bei dem Thema Flüchtlinge, wir haben das immer getan: Während der Balkankrise haben wir junge Leute hier ausgebildet, teilweise sind sie hier geblieben, teilweise zurückgegangen und haben in ihren Ländern die Wirtschaft wieder aufgebaut. Diese Länder sind jetzt zum Teil in der EU. Es hat einen guten Verlauf genommen. Der Erfolg ist sichtbar. Diesen Weg müssen wir weitergehen.

Zusätzlich ist es eine Facette zur Fachkräftesicherung. Aber es sind nur ein paar tausend junge Menschen, die das betrifft. Aus diesem Grund entsteht dadurch auch kein Wettbewerb oder eine Konkurrenz mit gering Qualifizierten oder mit Arbeitslosen – das möchte ich ganz deutlich sagen. Angesichts von 20 000 offenen Ausbildungsstellen in 2014 und mit der Perspektive, dass diese Zahl noch ansteigen wird, brauchen wir alle.

Wie muss man sich das Handwerk in fünf Jahren vorstellen, wenn sich am Problem des Fachkräftemangels nichts ändert? Der soziodemografische Wandel dürfte sich weiter zugespitzt haben, wenn erst die Babyboomer-Generation nicht nur ins Rentenalter, sondern auch noch ins vorgezogene Rentenalter gekommen ist?

Ich bin kein Pessimist. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so ein Negativszenario nicht eintritt. Wir hier im Haus tun alles mit allen Kräften dafür, dass wir dem entgegenwirken. Mit ihren rentenpolitischen Beschlüssen hat die Bundesregierung aber leider die falschen Signale gesetzt. Wir unterstützen die Betriebe dabei, ihre Beschäftigten länger gesund und leistungsfähig zu halten und weiterzubilden.

Und wir versuchen, den Trend zur Akademisierung zu stoppen. Eine aktuelle Studie des BIBB (Bundesinstitut für berufliche Bildung) besagt: Wenn wir diesen Trend nicht stoppen, werden wir  im Jahr 2030 drei Millionen mehr Akademiker haben und eine Million weniger Fachkräfte. Diese Entwicklung geht voll am Arbeitsmarkt vorbei.

Sollten wir nicht aufhören, handwerkliche Ausbildung und akademische Ausbildung gegeneinander auszuspielen? Müssen wir nicht eher deutlich machen, dass das Handwerk die meisten beruflichen Optionen schafft. Anstatt „Handwerk oder Uni“ müsste die Botschaft doch eher lauten: „Das Handwerk bringt dich überall hin – auch auf die Uni.“

Unsere Botschaft war immer: Wir brauchen beide, im richtigen Verhältnis. Die Durchlässigkeit ist ja bereits hoch: Gesellen können auf die Fachhochschule gehen, mit Meisterbrief steht die Universität offen. Doch wir wollen mit einer Bildungsinitiative die „Höhere Berufsbildung“ zu einer echten Alternative zur akademischen Bildung aufbauen.

Das Bundesbildungsministerium haben wir informiert. Wir wollen dafür bessere Berufsorientierung an allen Schulen durch Potenzialanalysen, Berufsfelderkundungen und Praktika. Wir haben die Werkzeuge. Wir müssen sie aber bundesweit anwenden, vor allem an den Gymnasien.
Ein solches Werkzeug ist dabei das „Duale Abitur“ . Wir müssen uns außerdem den Studienaussteigern zuwenden. Über die Hälfte der Handwerkskammern macht Studienaussteigern bereits spezielle Angebote, bietet Karrierewege an.

Wir vergessen dabei aber auch nicht, dass 50 Prozent der Jugendlichen, die bei uns in die Ausbildung kommen, Hauptschüler sind, etwa 38 Prozent Realschüler. Wir kümmern uns darüber hinaus um die Gruppe gering Qualifizierter. Ich bin froh, dass es jetzt die Allianz für Aus- und Weiterbildung gibt. Auf unser Drängen hin sind diesmal auch die Gewerkschaften dabei. Es wird demnächst eine „assistierte Ausbildung“ angeboten: Kleine Betriebe können natürlich keinen Sozialpädagogen im Betrieb haben. Das kompensieren wir durch die assistierte Ausbildung, bei der Menschen, die Unterstützung benötigen, durch die Ausbildung begleitet werden. ABH-Maßnahmen (Ausbildungsbegleitende Hilfen) und Problembewältigungsunterstützung bieten wir Menschen, die es eigentlich nicht zu einem vollständigen Berufsabschluss schaffen würden.

Die Meisterpflicht wird vom Ausland gerne als deutscher Protektionismus interpretiert. Viele interna­tionale Ökonomen gehen davon aus, dass die Meisterpflicht in einem europäischen Binnenmarkt nicht gehalten werden kann. Ist diese Debatte ein Rückzugsgefecht?

Keinesfalls, wir brauchen eine hohe Qualifika­tion. Wir schotten mit der Meisterpflicht ja nicht den Markt gegen andere ab. Schon heute gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, auch ohne Meisterbrief selbständig zu sein. Berufserfahrung im Ausland, etwa als Selbständiger, gehört dazu. Es ist also keine Wettbewerbsschranke, keine Binnenmarktabgrenzung.

Wenn Sie unsere Konjunktur mit jener der umliegenden Staaten vergleichen, dann läuft es in den Ländern der EU gut, in denen es die Meister-Kultur noch gibt. Um die duale Ausbildung durchführen zu können, brauchen wir den Meister. Wer sonst soll ausbilden? Zahlen belegen es: 95 Prozent der Auszubildenden im Handwerk werden in den 41 Meisterberufen ausgebildet.

Ich habe in Brüssel angeboten, dass das deutsche Handwerk hilft, in anderen Ländern das duale Ausbildungssystem aufzubauen. Der Meisterbrief ist die Qualifikationsgrundlage des Mittelstandes für die Zukunft.

Vita

Hans Peter Wollseifer, geboren am 5. August 1955 in Hürth, verheiratet, zwei Kinder. 1976 Meisterprüfung des Maler- und Lackiererhandwerks und Übernahme des elterlichen Betriebs. Präsident der Kölner Handwerkskammer und seit Dezember 2013 Präsident des ZDH. In der Freizeit passionierter Harley-Fahrer.