Interview zum Thema Meister Brüssel-Korrespondent Rolf-Dieter Krause: "Europa erkennt, dass Qualifikation Erfolg bringt"

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Ausbildung und Europapolitik

Zur dualen Ausbildung findet in Europa gerade ein Umdenken statt, die Front gegen den Meister bröckelt, sagt der langjährige Brüssel Korrespondent Rolf-Dieter Krause.

Rolf-Dieter Krause kennt als langjähriger ARD-Journalist die Kräfteverhältnisse bei der EU-Kommission in Brüssel. - © Fabian Zapatka

Wir treffen uns im Restaurant Weyer’s in der Pariser Straße in Berlin-Wilmersdorf. Dort könne man rauchen, sagt Rolf-Dieter Krause vorher am Telefon. Zwei Pfeifen, Tabak und Stopfer liegen auf der weißen Tischdecke. Am 8. März wird er bei der Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Handwerksmesse an der Podiumsdiskussion teilnehmen. Seine Rolle: Als langjähriger Brüssel-Korrespondent das deutsche Handwerk von außen beleuchten. Zeit für ein Gespräch vorab.

Sie sind ein Kenner der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Wie bewertet man dort mittlerweile unsere duale Ausbildung und den Meisterstandard?

Rolf-Dieter Krause: Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass neu antretende Regierungen in Europa sagten, sie wollen jetzt das System der dualen Ausbildung ebenfalls einführen.

Was ist daraus geworden?

Sie tun sich alle damit unheimlich schwer. Denn man braucht Berufsschulen. Die gibt es oft nicht. Man braucht den Meister und den Meisterbetrieb, der in der Lage ist auszubilden. Und den hat man erst einmal nicht. Deswegen ist das ein sehr mühsamer und nicht besonders erfolgreicher Prozess.

Dabei haben alle akzeptiert, dass die duale Ausbildung ein Rezept gegen hohe Jugendarbeitslosigkeit ist.

Schon 1985 kam der Internationale Währungsfonds IWF zum Schluss, dass der entscheidende Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg von Deutschland die Ausbildung der gewerblichen Arbeitnehmer ist.

Andererseits halten viele Politiker in Brüssel, auch teilweise die Kommission, aber auch etliche Wirtschaftswissenschaftler dagegen, dass der Meister ein Wettbewerbshindernis sei.

Wenn man sagt, dass bestimmte Arbeiten nur von Meisterbetrieben erledigt werden dürfen, dann darf aus dem Nachbarland keiner kommen und die Leistungen ohne diese Qualifikation ausführen. Das ist tatsächlich eine Marktzugangsbeschränkung.

Ein lösbarer Gegensatz?

Das ist der klassische politische Konflikt: Es existieren zwei Interessen, die man nicht überein bekommt. Beides hat seine Berechtigung. Aber das ist schon immer ein Widerspruch in der europäischen Politik. Übrigens auch in der nationalen Politik. Nun muss man entscheiden, was einem wichtiger ist.

Was sollte für uns in Bezug auf Europa Priorität haben?

Hier kommen wir an grundsätzliche Fragen: Was machen wir, wenn andere billiger oder hungriger sind? Rohöl, Rohstoffe, seltene Erden haben wir nicht so viel. Wir können nur mit Qualität punkten. Wir können es nur mit unseren Köpfen machen. Insofern ist Qualifikation natürlich der Weg. Kein schneller Weg, kein leichter Weg. Aber der einzige Weg, der uns bleibt.

Irgendwann wird man in Brüssel eine Entscheidung treffen müssen oder wollen. Wie sehen Sie heute und in Zukunft die Kräfteverhältnisse?

Mein Eindruck ist, dass die Besessenheit, das Meisterprivileg zu attackieren, nicht mehr so stark vorhanden ist. Beim Brüsseler Büro des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks sagt man, dass man immer so eine latente Bedrohung fühlt. Aber im Moment gebe es Bereiche, in denen es ausdrücklich zugestanden ist. Ich kenne das Gefühl. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in der EU auch immer latent bedroht.

Also keine Gefahr?

Zur dualen Ausbildung findet gerade ein Umdenken statt. Weg von der strammen Ideologie, dass der Markt funktionieren muss und alles weg muss, was den Markt behindert. Aber wir wollen keine reine Marktwirtschaft, wir wollen eine soziale Marktwirtschaft, eine Marktwirtschaft mit Regeln. Wir haben das gesellschaftliche Ziel einer möglichst hohen Qualifikation nachkommender Generationen. Nun kann man den Pelz nicht waschen, ohne ihn nass zu machen. Man muss akzeptieren, dass da eine Marktzugangsbeschränkung ist.

Schlägt Qualifikationsniveau also Marktzugang – salopp formuliert?

Der Druck der Kommission und der anderen Staaten ist nicht mehr so groß.

Europa hat erkannt, dass Qualifikation der Schlüssel zur Zukunft ist?

Das ist der Punkt. Nur das ist alles noch nicht entschieden. Aber man sieht schon ein: Wenn man diese qualifizierte Berufsausbildung haben will, mit der aus meiner Sicht genialen Kombination aus Theorie und Praxis, kann man nicht gegen den Meister schießen.

Um Ausbildungsabschlüsse vergleichbar zu machen, gibt es den Europäischen Qualifikationsrahmen EQR. Existiert darüber hinaus die Idee einer europäischen Bildungspolitik, ähnlich etwa der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik?

Ich bin nicht sicher, ob man das von Brüssel aus anordnen sollte. Aber es sollte von Brüssel aus ermutigt werden. Schließlich stehen die Staaten und ihre Volkswirtschaften auch im Wettbewerb. Die einen nutzen ihre Chancen, die anderen nicht. Wir sollten aber alle unterstützen, die eine duale Ausbildung einführen wollen. Und dann müssen wir akzeptieren, dass es dort Marktzugangsrestriktionen geben wird, damit der Anreiz Meister zu werden überhaupt da ist. Denn der Hauptgrund, warum jemand Meister werden will, liegt neben allgemeinem Qualifizierungsinteresse, darin, dass er sich damit selbstständig machen kann.