Arbeiten im EU-Ausland Entsenderichtlinie: Transparenz und Bürokratie in der Europäischen Union

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Auslandsgeschäft, Entsenderichtlinie und Schwarzarbeit

Wer Mitarbeiter auf Baustellen ins EU-Ausland schickt, hat es mit einem Konglomerat an Vorschriften zu tun. Unübersichtlich ist das und bedeutet immensen Aufwand für die Betriebe. Verbände machen sich derweil stark für einfach nutzbare Portale über Sprachbarrieren hinweg.

André Glässel ist Geschäftsführer des Ladenbauunternehmens Panzer Shopconzept GmbH & Co. KG
André Glässel ist Geschäftsführer des Ladenbauunternehmens Panzer Shopconzept GmbH & Co. KG im oberpfälzischen Erbendorf. - © Stephan Minx

Wenn André Glässel, Geschäftsführer des familiengeführten Ladenbauunternehmens Panzer Shopconcept GmbH & Co. KG im oberpfälzischen Erbendorf, an frühere Zeiten zurückdenkt, wird er fast ein wenig wehmütig. Hielten seine Leute 2010 bei einer Kontrolle in Österreich nicht alle Unterlagen parat, blieben die Bußgelder überschaubar. „Heute ist man dagegen sofort mit mindestens 1.000 Euro pro entsandtem Mitarbeiter dabei, wenn nur ein Dokument eines Arbeitnehmers fehlt“, bedauert der Geschäftsmann, der die 120 Mitarbeiter des Betriebs als Zuständiger für Buchhaltung und Personal nach Österreich, Luxemburg, Frankreich und auch ins Nicht-EU-Land Schweiz entsendet. „Für unsere namhaften Kunden fahren wir nach Wien, Zürich oder Paris, um Läden oder Ausstellungsflächen zu gestalten.“ Besonders ärgerlich findet er, dass für jede einzelne Montage mit acht Mitarbeitern im EU-Ausland gleich ein bis zwei Arbeitstage in der Buchhaltung fällig sind, um alle Dokumente ordnungsgemäß zusammenzustellen. Das ist aber noch nicht alles: Schwierig wird es vor allem dann, wenn ein Mitarbeiter kurzfristig ausfällt und stattdessen ein Kollege einspringen muss: „Dann kann ich unter Umständen die Unterlagen gar nicht so schnell beschaffen, um sie an der Baustelle vorlegen zu können.“

EU-Richtlinie vielerorts umgesetzt

Grundlage des Ärgers ist unter anderem die Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/957 vom 28. Juni 2018 (zur Änderung der Richtlinie 96/71 EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen des Europäischen Parlaments). Bis 30. Juli dieses Jahres sollte sie in die jeweiligen na­tionalen Gesetzgebungen überführt werden. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, lautet die Idee, die dahinter steht. In Deutschland passierte das Gesetz fristgemäß den Bundesrat und trat im Sommer in Kraft, im EU-Ausland ist die Lage laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) noch uneinheitlich.

Gegen Lohndumping & Konkurrenz

Im Wesentlichen soll die EU-Richtlinie und deren Umsetzung sicherstellen, dass die Arbeitsbedingungen entsandter Arbeitnehmer verbessert und die Betriebe vor Lohndumping und unfairer Konkurrenz geschützt werden. Arbeitnehmer, die etwa nach Deutschland entsandt werden, profitieren von deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, deutsche Betriebe bleiben dadurch geschützt vor billiger Konkurrenz aus dem Ausland. Statt wie bisher nur die Vorschriften für Mindestentgelte bei der Ent­lohnung zu berücksichtigen, werden jetzt auch die Tariftabellen herangezogen. Ganze Lohngitter, Überstundensätze oder auch Zulagen und Sachleistungen des Arbeitgebers müssen für alle in Deutschland arbeitenden Arbeitnehmer geleistet werden. Tätigkeit, Qualifikation und Berufserfahrung fließen in die Entlohnung mit ein.

Das Gesetz verhindert auch, dass Geld, das der Arbeitnehmer zur Erstattung seiner Aufwendungen erhält, auf die Entlohnung angerechnet wird. ETL-Fachanwalt Steffen Pasler aus Rostock, in der Gruppe der ETL-Rechtsanwälte zuständig für Arbeitnehmerentsendungen, erklärt: „Bislang haben viele Betriebe Kost und Logis des Mitarbeiters auf den Lohn angerechnet.“ Damit sei jetzt Schluss. Vor allem osteuropäische Firmen hätten davon in Deutschland rege Gebrauch gemacht, entsprechend hoch sei jetzt der Andrang in seiner Kanzlei. Pasler: „Ungarn und Polen haben sogar Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet.“ Das wundert Pasler nicht: „Für die osteuropäischen Staaten ist die reformierte Entsenderichtlinie eine Form von Protektionismus. Ohne sie konnten die Osteuropäer mit den Franzosen konkurrieren.“

Schluss mit getarnten Kosten

Nach der EU-Richtlinie profitieren langzeitentsandte Arbeitnehmer nach zwölf, spätestens nach 18 Monaten grundsätzlich von allen vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen im jeweiligen Land. Dies gilt sowohl für gesetzlich als auch für in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen geregelte Arbeitsbedingungen. Details sind laut Pasler aber noch offen, etwa ob dies auch für Dienstwagenregel, Betriebskindergarten oder Kantine gelte. „Das wird sich in zwölf Monaten zeigen, und wann sich dann die Gerichte damit beschäftigen, weiß man noch nicht.“

Unabhängig davon, ob die Richtlinie bereits in die nationalen Regelwerke überführt wurde, Jan Dannenbring vom ZDH weiß: „Die einzelnen EU-Länder gehen ganz unterschiedlich damit um.“ Während etwa Deutschland das Arbeitnehmerentsendegesetz auf den Weg brachte, sind es in Frankreich über 18 Dekrete, wundert sich der Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht im ZDH. „Die Komplexität hat extrem zugenommen“, meint er und fügt hinzu: „In Frankreich sind die Regeln für den Unternehmer kaum zu überblicken, geschweige denn einzuhalten.“

Unübersichtliche Regelwerke

Auch Katharina Wierer von der Handwerkskammer (HWK) Niederbayern-Oberpfalz in Regensburg kennt die Nöte der Unternehmen. „Unsere Betriebe sehen sich einem undurchsichtigen und schwer zu verstehenden Regelwerk gegenüber“, so die Abteilungsleiterin Außenwirtschaftsberatung. Sie wünscht sich eine EU-einheitliche Plattform: „Für uns wäre eine übergeordnete Homepage wichtig, die die diversen Regeln mehrsprachig abbildet.“ Das Meldeportal sollte Funktionen beinhalten, um Formulare, etwa Arbeitsverträge, Mindestlohn- oder Sozial­­ver­sicherungsnachweise, einfach hochzuladen. Sie seien dann bei Kontrollen zentral einsehbar.

Georg Hofer, Inhaber des Lehmbaufachbetriebs Georg Hofer Lehm & Bau in Kößlarn im niederbayerischen Rottal, macht seinem Unmut Luft. Mit seinem 20-köpfigen Team bedient er neben heimischen auch Kunden in Österreich. „Die Regeln sind mit dem Datenschutz gar nicht vereinbar“, sagt der Bauunternehmer. Denn Gehalts­­abrechnungen, Überweisungsbelege und Arbeitsverträge, die er in Österreich vorhalten soll, könnten zwar mit dem Adressaufkleber der Firma verschlossen auf die Baustelle in Österreich mitgenommen werden, aber nach der Prüfung durch die Behörden seien die Kuverts offen und für alle einsehbar. „Wir betreiben einen Riesenaufwand, um unsere Büros datenschutzrechtlich korrekt zu führen, und auf den Baustellen liegen hochempfindliche Daten im Kombi offen zugänglich herum.“ Zwar könnten die Unterlagen und Formulare auch bei einem Anwalt sicher hinterlegt werden, das ergibt für Hofer allerdings keinen Sinn: „Wenn ich auf der Baustelle 500 Euro verdiene, gehen davon dann 300 Euro an den Anwalt?“ HWK-Beraterin Wierer kennt Unternehmer, die auf Montagen im EU-Ausland einen verschließbaren Koffer zur Aufbewahrung der Gehaltsdaten und Verträge mitführen. „Was aber, wenn der Koffer geklaut wird?“, fragt sich Hofer. Unterlagen mobil bereit zu halten – auch eine Option – birgt Risiken: etwa wenn der Akku des Geräts leer oder der Empfang am Kontrollort schlecht ist.

Wie Kollege Glässel hat auch Hofer Erfahrungen mit dem österreichischen Zoll gemacht: „Meine Leute hatten morgens die Kuverts versehentlich im Betrieb liegen gelassen, just an diesem Tag gab es eine Kontrolle.“ Der prüfende Bundespolizist in Österreich bat den Handwerkschef daraufhin, die Unterlagen doch schnell vorbeizubringen. „St. Johann liegt aber drei Stunden von Kößlarn entfernt“, entrüstet sich Hofer. Selbst die Übermittlung der Formulare per Fax an die der Baustelle benachbarte Bäckerei konnte die Behörden nicht von einem Bußgeldbescheid über 4.000 Euro abbringen. „ Reine Schikane ist das“, ärgert sich der Unternehmer. Nur mithilfe eines Briefwechsels konnte er das Verfahrensgeld dann auf 165 Euro begrenzen.

Oft blauäugig unterwegs

Hofer weiß jetzt dank eines Seminars der Handwerkskammer, wie er mit den Behörden in Österreich korrekt umzugehen hat, welche Formulare er vorhalten muss. „Noch heute wird mir ganz übel, wenn ich daran denke, was uns alles hätte blühen können“, resümiert er. Ungerecht findet der Betriebschef: „Obwohl es schwierig ist, an die Informationen heranzukommen, warten dennoch saftige Strafen auf uns.“

ETL-Anwalt Pasler bestätigt Hofers Einschätzung: „ Auch kleine Unterschreitungen des Mindestlohns werden als Ordnungswidrigkeit eingestuft und mit Bußgeldern belegt.“ Pasler hält Seminare in Polen und ist erstaunt, wie unbedarft die Unternehmer dort Arbeitnehmer über die Grenze nach Deutschland schicken. Die Einbindung der Europäischen Arbeitsagentur, die dann arbeits- und sozialrechtliche Bedingungen zentral erhebt, könnte Transparenz schaffen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Vollzugsbehörden der Mitgliedstaaten verbessern, bestätigt Dannenbring.

Panzer-Shopconcept-Geschäftsführer Glässel fragt sich indessen, ob ausländische Betriebe in Deutschland genauso intensiv geprüft würden wie deutsche im EU-Ausland. Sarah Garbers, Fachsprecherin der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Generalzolldirektion in Bonn: „Die FKS des Zolls prüft bei ihren Kontrollen sowohl inländische als auch ausländische Unternehmen.“ So müssten Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, die Regeln zur Anmeldung ebenso beachten wie Betriebe, die Leiharbeitnehmer von einem Verleiher mit Sitz im Ausland im Inland beschäftigen.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz: Die Eckpunkte

  1. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie haben entsandte Arbeitnehmer nicht mehr nur Anspruch auf den Mindestlohn, sondern auch auf den Tariflohn aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen.
  2. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland erhalten zudem künftig Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Schmutz- und Gefahrenzulagen.
  3. Bezahlen Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine Zulage für Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten, darf dieser Betrag nicht – wie bislang oft Praxis – auf den Mindestlohn angerechnet werden.
  4. Werden die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Inland dienstlich auf Reisen geschickt, übernimmt der Arbeitgeber die Reisekosten.
  5. Grundsätzlich gelten für Beschäftigte aus dem Ausland nach zwölf Monaten alle in Deutschland vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen. In begründeten Ausnahmefällen können Arbeitgeber eine Fristverlängerung um sechs Monate beantragen.
  6. Für Fernfahrer gelten die geplanten Regelungen nicht. Der Straßenverkehrssektor ist von den Änderungen ausgenommen.

Zoll-Kontrolle: Diese Unterlagen halten Chefs bereit

Der Zoll kontrolliert die Einhaltung der Arbeitsbedingungen nach § 16 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG) auf deutschen Baustellen. Er ist berechtigt, für Ordnungswidrigkeiten Bußgelder zu erheben. Formulare (in Kopie) sind in deutscher Sprache vorzuhalten.

  • Arbeitsvertrag beziehungsweise die Dokumente, aus denen sich die wesentlichen Inhalte des Beschäftigungsverhältnisses ergeben (siehe sog. Nachweis-Richtlinie 91/533/EWG vom 14. Oktober 1991),
  • Arbeitszeitnachweise, die nach Beschäftigungsorten differenzieren müssen, wenn regional unterschiedliche Mindestlöhne in Betracht kommen,
  • Lohnabrechnungen, Nachweise über erfolgte Lohnzahlungen.
  • Nicht allein die Höhe der Mindestlohnunterschreitung entscheidet über die Höhe des Bußgeldes. Berücksichtigt wird etwa, ob es sich um einen erstmaligen Verstoß handelt, ob der Chef bei der Aufklärung mitgewirkt, diese erschwert oder den Verstoß sogar abgestritten hat. Bei vorsätzlich begangenen Verstößen können bis zu 500.000 Euro fällig werden. Auch darf der wirtschaftliche Vorteil mit der Geldbuße abgeschöpft werden. Ab 250 Euro Bußgeld fließen die wirtschaftlichen Verhältnisse mit ein.