Interview Durch Digitalisierung wird der Kunde mächtiger

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Wolfgang Tiefensee, Wirtschaftsminister in Thüringen, sieht das Handwerk für den digitalen Wandel gut gerüstet. Trotzdem werden sich die Betriebe auf tiefgreifende ­Veränderungen einstellen müssen.

Wolfgang Tiefensee ist überzeugt, dass sich die Berufsbilder vieler Branchen durch den digitalen Wandel positiv ändern: »Die jungen Leute werden künftig mehr Spaß am Handwerk haben.« - © Christian Hüller

Pressekonferenz in der Handwerkskammer Erfurt. Es geht um Konjunktur, Digitalisierung und die neue Meisterprämie, die Wolfgang Tiefensee, Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft in Thüringen im ehrwürdigen Meistersaal der Kammer vorstellt. Anschließend gibt Tiefensee handwerk magazin ein Exklusivinterview. Das Thema: der digitale Wandel.

Ihr Ministerium fördert ein Projekt der Handwerkskammer Erfurt, das die Auswirkungen der Digitalisierung im Handwerk untersucht. Dafür wurden auch Hunderte von Betriebsinhabern befragt. Was sind die entscheidenden Erkenntnisse aus der Untersuchung?

Wolfgang Tiefensee: Wir unterstützen die Studie mit 275.000 Euro, weil wir ganz praktisch herausfinden wollen, wo in den einzelnen Gewerken die Herausforderungen der Digitalisierung liegen. Dazu wird es für viele Gewerke Untersuchungen geben, welche Potenziale die Digitalisierung erzeugen wird. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass in allen Gewerken die Digitalisierung sehr ernst genommen wird, sowohl für Produkte als auch für Produktionsprozesse, aber besonders für Geschäftsmodelle und Beziehungen zum Kunden. Die Betriebe haben die Wichtigkeit erkannt, natürlich sind sie noch lange nicht am Ziel.

Wagen Sie einmal einen Vergleich mit der Industrie. Ist das Handwerk besser oder schlechter beim digitalen Wandel?

Ich sehe keinen Qualitätsunterschied zwischen den beiden Wirtschaftsbereichen. Wir müssen aber auch sehen, dass das Handwerk in vielen Teilen sehr dicht an der Industrie ist.

Lassen sich diese Erkenntnisse des Erfurter Projekts auch auf andere Bundesländer übertragen?

Ich denke, man kann es übertragen, genauso wie wir ja auch in andere Studien geschaut haben. Natürlich haben wir in Thüringen eine Sondersituation, wir haben im Vergleich zu anderen Bundesländern mit 23 Prozent einen hohen Anteil von Handwerksbetrieben. Gleichzeitig haben unsere Handwerksbetriebe relativ wenig Beschäftigte, aber das ändert sich gerade Schritt für Schritt, sodass wir uns dem Bundesdurchschnitt nähern.

Wie unterstützt Thüringen das Handwerk auf dem Weg in die Digita­lisierung?

Wir haben viele Fördermöglichkeiten, wir haben ein Kompetenzzentrum Wirtschaft 4.0 zusammen mit den IHKs und Handwerkskammern, wir werden demnächst ein weiteres Kompetenzzentrum in Ilmenau eröffnen, das sich besonders mit der Vernetzung im Mittelstand beschäftigen wird. Das Ministerium gibt in den nächsten drei bis vier Jahren auf unterschiedlichen Feldern ungefähr 100 Millionen Euro aus, um die Digitalisierung zu unterstützen.

Voraussetzung für die Digitalisierung ist ein leistungsfähiges Breitbandnetz, auch in ländlichen Regionen. Wie ist hier die Versorgung in Thüringen und wie viel investieren Sie für den Ausbau schneller Internetverbindungen?

2019 werden wir flächendeckend 50 Megabit haben – und zwar zu 100 Prozent. Gleichzeitig wollen wir bis dahin die Points of interest, das sind Gewerbegebiete, große Unternehmen, Krankenhäuser oder Schulen, mit 500 Megabit oder mehr ausstatten. Dabei hilft uns ein Bundesprogramm mit vier Milliarden Euro.

Wie wird die Digitalisierung das Handwerk verändern?

Wir erleben durch die Digitalisierung völlig neue Arten von Kooperationen, völlig neue Möglichkeiten der Vernetzung, auch weil Daten der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind.

Was bedeutet das für das Handwerk?

Produktionsprozesse in den Betrieben werden stärker vernetzt, wir werden zwischen den Betrieben der gleichen Branche eine Vernetzung haben und damit einen Austausch von Leistungen oder ein Zusammengehen bei Angeboten. Und neben dieser horizontalen Vernetzung werden wir eine vertikale in der Wertschöpfungskette haben.

Was meinen Sie damit genau?

Die Beziehung zum Kunden ändert sich generell: Im 20. Jahrhundert lag die Macht beim Anbieter, im 21. Jahrhundert liegt sie beim Kunden. Und der will die Leistung aus einer Hand, gleichzeitig individuell, flexibel, schnell und hoch qualitativ. Er will die Leistung möglichst vorab sehen, vielleicht im 3D-Modell, er will die Kosten beeinflussen können. Auch ein Friseurkunde will vorher sehen, wie er nach dem Haarschnitt aussehen wird. Das Handwerk ist so nah am Kunden. Wenn es ihm ein Betrieb ermöglicht, die Leistung genau zum festgelegten Preis schon vorher visualisiert zu bekommen, wird dieser Betrieb die Nase vorn haben.

D as Handwerk klagt seit Jahren über Fachkräftemangel. Könnte die Digitalisierung dazu führen, dass der abgemildert wird, weil Betriebe in gewissen Bereichen durch Rationalisierung weniger Personal brauche?

Ja und hier sollte Deutschland Vorreiter sein, sowohl im Handwerk als auch in der Industrie durch die intelligente Gestaltung der Prozesse und Geschäftsmodelle Personal einzusparen und hochqualifizierte Arbeitsplätze anzubieten.

Das heißt natürlich auch, dass sich Berufsbilder im Handwerk ändern.

Absolut, und zwar werden sie sich so ändern, dass die jungen Leute mehr Spaß am Handwerk haben. Sie werden eine Berufswelt vorfinden, in der das haptische, das individuell handwerkliche parallel läuft mit neuen Formen, die auf der Digitalisierung beruhen. Die meisten Berufsbilder werden deutlich anspruchsvoller werden, wir erleben das ja jetzt schon beim Heizungsbau oder im Kfz-Gewerbe und im Bau, wo durch neue Techniken eine Verlagerung von der Baustelle in die Betriebe stattfinden wird. Das macht das Handwerk spannend.

Wird es denn neben den fortschrittlichen Betrieben künftig noch Tradi­tionsbetriebe geben, die so arbeiten wollen wie früher?

Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass die Macht immer mehr auf den Kunden übergeht. Wenn die individuelle Leistungen wollen, wird es natürlich auch weiter einen Markt für Betriebe geben, die kleinteilig und flexibel arbeiten. Die müssen sich aber möglichst vernetzen, vertikal in der Wertschöpfungskette und horizontal mit ihren Kollegen. Dann wird es auch für solche Betriebe eine Zukunft geben, denn der Kunde will nach wie vor das individuelle.

Es wird auch künftig kleine Betriebe geben, die ganz spezielle Produkte hauptsächlich in Handarbeit herstellen, es wird Betriebe geben, die Klein- oder Großserien fertigen, und es wird den Mischbetrieb geben. Das Handwerk wird beste Chancen haben, weil es die Digitalisierung umsetzt, aber auch die Tradition fortführt.

Vita Wolfgang Tiefensee

1955 in Gera geboren, nach dem Abitur Ausbildung zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik, Studienabschluss als Ingenieur für industrielle Elektronik, später Abschluss als Diplomingenieur für Elektrotechnik. 1989 bis 1990 politische Arbeit am Runden Tisch in Leipzig, 1995 Eintritt in die SPD, 1998 Oberbürgermeister von Leipzig. 2005 bis 2009 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, seit 2009 Abgeordneter im Bundestag. Seit Dezember 2014 Thüringer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft.