Datenökonomie: Daten werden das neue Öl

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Warum sich unsere Wirtschaft in eine Datenökonomie verwandelt und was dies für das Handwerk bedeutet. Daten und ihre automatische Verarbeitung werden allgegenwärtig. Algorithmen entwickeln sich zu den neuen Fließbändern, Daten sind ihre Rohstoffe.

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Ein Bekannter wollte kürzlich ein Privatdarlehen aufnehmen. Sein Berater schüttelte den Kopf. Solche „Kleinkredite“ mache jetzt eine bundesweit agierende Tochtergesellschaft. Dort war aber niemand zu sprechen. Stattdessen gab es eine Eingabemaske auf der Website, in der Darlehenshöhe, Einkommen, Arbeitgeber, wie lange er dort bereits beschäftigt ist usw. einzutragen waren. Kopien oder besser gesagt Scans seiner letzten drei Gehaltsabrechnungen bitte an diese E-Mail-Adresse schicken. Kurze Zeit darauf informierte ihn eine Mail über die Konditionen.

Einige Tage später lag der Vertrag samt Tilgungsplan im Briefkasten: Bitte unterschreiben und zurückschicken. Dann wurde das Geld überwiesen. Weitere Kommunikation war nur für den Fall einer Störung vorgesehen: wenn Raten nicht pünktlich kommen.

Beim künftigen Darlehensgeschäft entscheidet der Bankberater immer weniger. Er gibt die nötigen Kunden- oder Firmendaten in den Rechner ein und liest dem Kunden dann vor, was der Rechner ausgibt. Dafür kreierte der ehemalige IBM-Manager und Buchautor Gunter Dueck das Wort „Flachbildschirmrückseitenberatung“. Der Berater soll nur noch das menschliche Fremdeln vor der Maschine abmildern.

Marketing-Systeme agieren autonom

Nicht nur bei den Banken regeln Daten und ihre Verarbeitung mit Formeln oder sogenannten Algorithmen die Geschäfte. Die Börsen begannen als Erste damit, ihre Transaktionen von Rechnern nach bestimmten Vorgaben durchzuführen. Nur ein Beispiel: Heute kaufen Maschinen Millionen von Aktien, nur um die Transaktion sofort wieder rückgängig zu machen. So lassen die Betreiber testen, wie viel Liquidität im Markt ist.

Wer beim Weinversender einen Gutschein ergattern will, bestellt drei oder vier Monate regelmäßig relativ große Mengen. Das Kundenmanagement- System klassifiziert den Besteller als A-Kunde. Dann keine Bestellungen mehr absetzen. Das System bemerkt, dass der Premium-Kunde schweigt, und startet die Kundenwiedergewinnung- Routine: Der Versender versucht, sich mit einem Geschenk in Erinnerung zu bringen.

Formeln führen Krieg

Überall entscheiden Daten und Algorithmen. Sogar im Krieg. Die Amerikanische Armee praktiziert einen Drohnenangriff namens „Signature Strike“. Dabei wissen weder Pilot noch Rechner, wer genau bombardiert wird. Grundlage des Angriffs sind Daten. Etwa Worte, Begriffe oder Kontakte, die in der Handy-Kommunikation der Person vorkommen. Lediglich die Datenspur bildet die Basis für den Angriff. Die Formeln führen den Krieg.

Sie fragen sich an der Stelle möglicherweise, welche Relevanz das für das Handwerk haben soll. Geldgeschäfte, Börsentransaktionen und Drohnenangriffe sind schließlich nicht gerade Ihr Kerngeschäft. Doch diese Entwicklung ist längst bei Ihnen.

Immer mehr Anwendungen

Viele Betriebe verarbeiten ihre Kundendaten heute bereits digital und organisieren ihre Marketing-Aktivitäten mit Software. Ein Beispiel: Nils Grimm, Inhaber der gleichnamigen Tischlerei in Hamburg, verlegt und pflegt Holzböden, meist für private Bauherren. Das Holz sollte jedes Jahr neu geölt werden. Aus diesem Grund hat er sein Programm so eingestellt, dass es automatisch ein Jahr nach dem letzten Ölen eine Mail an den Kunden mit einer Erinnerung und einer Auftragsanfrage generiert. Ganz automatisch präsentiert ihm das System die fertige Mail. Er muss sie nur noch abschicken. Die Umwandlungsquote liegt bei über 30 Prozent.

Dieses Prinzip kennen wir bereits seit Jahren, etwa wenn wir die Postkarte unseres Autohauses aus dem Briefkasten fischen, die uns an den nächsten TÜV oder das Wechseln der Winterreifen erinnert. Neu ist, dass es – erstens – immer mehr solcher Anwendungen gibt, da die entsprechenden Kundendaten dafür jetzt zur Verfügung stehen. Dass – zweitens – die digitale Realisierung im Gegensatz zur Postkarte eine wesentlich höhere Produktivität ermöglicht. Und – drittens – das Zusammenwachsen dieser Strukturen.

So erlaubt die Digitalisierung des Marketings die automatisierte Verarbeitung von Adressdaten Dritter, etwa von Adressbuchverlagen.

Algorithmen werden die neuen Fließbänder

In der Produktion ist es ähnlich: Die Kieler Firma Meteolytics entwickelte eine Software, mit der Bäckereien ermitteln lassen können, was in welcher Menge herzustellen ist: Durch den Abgleich von Abverkaufsdaten der Vergangenheit mit den damaligen Wetterdaten sowie der Wettervorhersage berechnet sie die ideale Produktionsmenge und das ideale Produktsortiment für den nächsten Tag.

Im Baugewerbe werden Standards wie etwa BIM – Building Information Modeling –, das demnächst bei öffentlichen Aufträgen verbindlich werden soll, etabliert, welche die Planung von Gebäuden digital bis zum Griff jeder Tür simulieren, lange bevor der Bagger zum Aushub der Baugrube anrollt. Der 3D-Drucker wird dafür sorgen, dass sich unsere Produktion auf Dauer ähnlich dezentral organisiert, wie wir das bei der Energieversorgung anstreben.

Man kann sich ein Szenario vorstellen, bei dem Monteure einfache Bauteile, die nicht im Transporter vorrätig sind, direkt vom 3D-Drucker auf der Ladefläche ausdrucken. Die Spezifikation wurde vorher aus dem Internet in den Drucker heruntergeladen. Gehandelt wird das Ausgangsmaterial, praktisch die Druckerkartuschen, sowie die Daten-Spezifikation aus der Wolke.

So wie sich Produktentwicklung, Planung, Produktion, Marketingkommunikation, Kunden-, Auftrags- und Projektmanagement digitalisieren, übernehmen Formeln oder Algorithmen ganze Teilbereiche. Daten und ihre automatische Verarbeitung werden allgegenwärtig. Algorithmen entwickeln sich zu den neuen Fließbändern, Daten sind ihre Rohstoffe. Wer davon abgehängt ist, kann wegen fallender Produktivität immer weniger wettbewerbsgerecht anbieten. Und verliert.