Integration Beratung für Flüchtlinge und Betriebe

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Flüchtlinge

Nahezu jede Handwerkskammer bietet spezielle Projekte an, um Flüchtlinge ins Handwerk zu integrieren. Dazu kommen bundesweite Programme wie „Wege in Ausbildung“. Ein Überblick über die Kammer-Aktivitäten.

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    Gesine Keßler-Mohr, zuständig für Fachkräftesicherung bei der Handwerkskammer Hamburg: »Wir wollen alle ­Potenziale auf dem Arbeitsmarkt für das Handwerk gewinnen.«
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    © Angelika Klein
    Justus Wilhelm, Bereichsleiter Ausbildung bei der Handwerkskammer des Saarlandes: »Viele ziehen das Handwerk nur deshalb nicht in Erwägung, weil sie es nicht kennen.«

Als im Herbst 2015 die vielen Flüchtlinge ankamen, waren wir bereits sehr gut vorbereitet und konnten die Menschen sofort in Ausbildung, Qualifizierung, Anerkennung oder Arbeit aufnehmen“, sagt Gesine Keßler-Mohr, zuständig für Fachkräftesicherung für besondere Zielgruppen der HWK Hamburg, heute. Schließlich würde hier am „Tor zur Welt“ seit Jahrhunderten Handel mit der ganzen Welt getrieben. Zuwanderung gehöre da zur Normalität.

Der schnelle Start war möglich, weil das Hamburger Handwerk bereits seit über fünf Jahren das strategische Ziel verfolgt, alle Potenziale auf dem Arbeitsmarkt für das Handwerk zu gewinnen und entsprechende Maßnahmen bereits in vollem Gang sind. So ging im Herbst 2015 die Initiative „Flüchtlinge in Handwerksausbildung“ an den Start. Bundesweit einzigartig ist, dass hier Flüchtlinge aus Erstunterkünften direkt in eine Ausbildung als Gebäudereiniger, Maler oder Bäcker vermittelt werden konnten – ohne besondere Sprachkenntnisse. Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, ist überzeugt: „Wenn wir gemeinsam die Herausforderung annehmen, können wir auch unmöglich erscheinende Dinge erreichen.“

Gemeinsame Offensive

2015 haben es bundesweit rund 2.450 Geflüchtete zwischen 15 und 25 Jahren aus den acht Asylzugangsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) in eine Handwerks­ausbildung geschafft. Weitere 1.500 junge Flüchtlinge befinden sich im Moment in den Projekten der gemeinsamen Qualifizierungsinitiative des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, der Agentur für Arbeit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“.

Bis 2018 sollen 10.000 junge Menschen das Programm „Wege in Ausbildung“ durchlaufen. Neben diesem bundesweiten Programm gibt es bei vielen Kammern noch weitere Berufsorientierungsmaßnahmen, die in Kooperationen auf Länder- und kommunaler Ebene umgesetzt werden.

Über 150 Willkommenslotsen und vergleichbare beratende Stellen sind bei Handwerkskammern und IHKs aktiv. Sie fungieren als Mittler im Dreieck Geflüchteter, Ämter und Betriebe und konnten seit Programmstart bereits rund 1.500 Flüchtlinge an Betriebe vermitteln.

Die Handwerkskammer Dresden hat einen weiteren Ansatzpunkt entwickelt, um die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu fördern. Als Teil von „Weltoffenes Sachsen“ wurde das Projekt „Fit in KMU – Für Integration und Toleranz in kleinen und mittleren Unternehmen“ ins Leben gerufen. Kernziel sei gewesen, erklärt Projektleiterin Annegret Umlauft, Fragen aufzugreifen wie „Was sind kulturelle Unterschiede? Warum erscheint mir mein Gegenüber fremd?“

Praktische Probleme

Doch das war gar nicht das drängendste Problem: Solange eine gewisse Anpassung an vor Ort geltende Werte und Regeln gegeben ist, bringt die kulturelle Herkunft offensichtlich wenig Störungen in den Betrieben mit sich, beschreibt Annegret Umlauft ihre Erfahrungen aus den Kursen. Die wirklichen Probleme in den Betrieben seien meist sehr praktisch gewesen: Wie stelle ich überhaupt Kontakte her zu Flüchtlingen? Unter welchen Bedingungen darf ein Flüchtling eingestellt werden? Wie binde ich einen Neuankömmling schnell und nachhaltig in die Arbeitsprozesse ein?

Auch die HWK München und Oberbayern bietet einen ganzen Katalog an Maßnahmen und Beratungsleistungen für Geflüchtete und Betriebe an. Mit Erfolg, denn in den bayerischen Handwerksbetrieben gibt es mehr als 1.300 junge Flüchtlinge in Ausbildung. Diese Entwicklung könnte jetzt allerdings abreißen. Denn das bayerische Innenministerium beruft sich aktuell auf einen Halbsatz im Integrationsgesetz, nach dem die Duldung für die Dauer der Ausbildung nur dann erteilt werden soll, wenn „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“. So hat sie die Ausländerbehörden angewiesen, die Aufnahme einer Ausbildung nur unter sehr strengen Voraussetzungen zu erlauben. Der bayerische Flüchtlingsrat sieht hier vor allem unbegleitete Minderjährige sowie Menschen mit geringen Anerkennungschancen betroffen.

Mehr Rechtssicherheit

Lothar Semper, Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Handwerkskammern, macht sich deswegen Sorgen: „Wir befürchten, dass die Bereitschaft unserer Betriebe zur Ausbildung deutlich zurückgeht, wenn das Integrationsgesetz Flüchtlinge nicht ausreichend vor einer Abschiebung während der Lehre schützt. Auch die 3+2-Regel liefe ins Leere, die den Betrieben eigentlich Rechtssicherheit geben sollte.“

„Natürlich lassen sich nicht alle syrischen, eritreischen oder irakischen Jugendlichen, die nach Deutschland kommen, ins Handwerk integrieren“, so Justus Wilhelm, Bereichsleiter Ausbildung der Handwerkskammer des Saarlands. „Aber nach unserer Erfahrung ziehen viele dieser jungen Menschen das Handwerk nur deshalb nicht in Erwägung, weil sie es nicht kennen.“

Wichtig seien deshalb Orientierungsmaßnahmen und persönliche Beratung, um den neu nach Deutschland Gekommenen zu vermitteln, wie das Handwerk in Deutschland organisiert ist und wie die duale Ausbildung funktioniert. Für viele Jugendliche sei ein Job mit einem attraktiv erscheinenden Verdienst viel naheliegender als eine Ausbildung. „Die Flüchtlinge kennen das Handwerk und die duale Ausbildung nicht. Das ist der Punkt, an dem wir mit Beratungen, Betriebsbesuchen, Praktika und Orientierungsmaßnahmen etwas bewegen können“, so Wilhelm.

Umfrage-Ergebnisse Das leisten die Kammern

handwerk magazin führte unter den Handwerkskammern eine Bestandsaufnahme durch, um einen Überblick aller Aktivitäten zu erhalten. Aktuell lassen sich folgende Ergebnisse ablesen.

Engagierte Betriebe
In allen HWK sind Betriebe bekannt, die Geflüchtete beschäftigen. Rund die Hälfte der HWK geben an, dass unter diesen Betrieben ein Austausch besteht.

Flächendeckende Beratung
Alle HWK finden die spezielle Beratung der Betriebe so wichtig, dass sie mindestens einen Willkommenslotsen, Kümmerer oder Netzwerker beschäftigen.

Unterschiedliche Projektstruktur
Etwa die Hälfte der HWK geben an, eine Maßnahme im Rahmen von „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“, einem gemeinsamen Projekt der BA, des BMBF und des ZDH, anzubieten. Die meisten anderen HWK bieten eigene, regionale Projekte im Bereich Berufsorientierung und -vorbereitung für Flüchtlinge an. 90 Prozent der HWK bieten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung bzw. zur beruflichen Orientierung von jungen Geflüchteten an.

Konkrete Lösungen
Einige HWK bieten zusätzlich spezielle Deutschkurse an, andere Schulungen in interkultureller Kompetenz und zur Förderung der Willkommenskultur. Manche Kammern legen besonderen Wert auf die Förderung der Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem Ausland. Die Initiativen zielen auf die größten Probleme bei der Integration in die Arbeitswelt ab: mangelnde Sprachkompetenzen, ausbaufähige kulturelle Kompetenzen und schwer identifizierbare berufliche Kompetenzen.

Sämtliche Ergebnisse finden Sie in unserem Buch „Flüchtlinge im Handwerk integrieren und beschäftigen“ www.handwerk-magazin.de/fluechtlinge